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Qualität im Existenzkampf
„Samson und Dalila“ in Eisenach · Von Tatjana
Böhme-Mehner
Was kann ein mitten in politischen Querelen steckendes und unter
massivsten Spardruck gesetztes Theater besseres tun, als durch künstlerische
Leistungen auf sich und seine Notwendigkeit aufmerksam zu machen?
Nichts! Das gegenwärtig stark gebeutelte Eisenacher Musiktheaterensemble
machte so mit allen Möglichkeiten und Kapazitäten und
vor allem mit einer Oper, die man zurzeit in der Bundesrepublik
nicht unbedingt im Repertoire finden kann, auf sich aufmerksam.
Mit einem Werk, das aber trotzdem seine Highlights und Publikumswirksamkeit
hat. Camille Saint-Saëns „Samson und Dalila“ erlebte
dort Anfang Dezember seine umjubelte Premiere. Ein solcher Abend
weist Publikum, Verantwortliche in Stadt und Land auf das hin, was
Oper ist und sein kann, aber ebenso darauf, welchen Apparat gelungene
Oper braucht. Ein gekündigter Opernchor und unsichere Kooperationsaussichten
erwecken nicht gerade große Hoffnungen, dass man derartiges
125 Jahre nach Eröffnung dieses Theaters hier noch oft erleben
darf. Das wäre bedauerlich: denn das, was das Haus da auf die
Beine gestellt hat, konnte sich sehen und vor allen Dingen hören
lassen. Da wäre das Transparent „SPD. Rette den Chor“,
das zum Applaus auf die Bühne getragen wurde, gar nicht nötig
gewesen, denn eine solche Ensembleleistung kommentiert sich von
selbst.
Operndirektor Dieter Reuscher inszenierte das Werk mit eindeutigem
Bezug zum Heute seines Handlungsortes, dem Nahen Osten. Videoprojektionen
liefern im Bühnenbild von Hendrik Kürsten Assoziationen
und Deutungsmöglichkeiten für die ansonsten eher konventionelle
Inszenierung mit spärlicher Personenführung. Zwischen
konkretem und abstraktem Raum spielt er mit Versatzstücken
der Macht und der Zeiten – der Stacheldraht lässt die
Assoziation Ghetto zu, die Bibeltexte lassen gleichzeitig an ursprüngliche
Handlungszeit und Überzeitliches denken, im Kostüm tauchen
auch die Dreißiger- und Vierziger-Jahre des vorigen Jahrhunderts
auf, Dalilas Ledersitzgruppe könnte nicht heutiger sein. Dies
eröffnet einen breiten Interpretationsraum, macht es dem Zuschauer
aber nicht immer ganz leicht, denn gerade im letzten Bild ist die
Flut an optischen Reizen fast zu groß, um dem Geschehen noch
folgen zu können.
Reuscher fokussiert den Problemkreis Gewalt, Rache, Vergeltung,
Vergeltung der Vergeltung – eine Gewaltspirale; lässt
dabei jedoch psychologisierende Deutungsmöglichkeiten, vor
allem der Beziehung von Samson und Dalila weitestgehend außen
vor, verweigert damit auch die – hier in ihr Gegenteil umschlagende
– operngemäße Liebeshandlung, großes Gefühl.
Das macht es den Darstellern nicht gerade leichter, doch gehen sie
sichtlich routiniert mit dieser Situation um.
Es ist schon gewagt und auch nicht so ganz nachzuvollziehen, dass
der gehetzte und gequälte, in die Enge getriebene, ansonsten
handlungsunfähig gemachte Samson zum Selbstmordattentäter
wird, ausgerüstet noch dazu von einer Art Rabbi. Rechtfertigung,
für was oder für wen? Zwanghafte Aktualisierungswut? Oder
einfach die Notwendigkeit, einen Schluss zu finden, in einer Zeit,
in der der alles vernichtende Sturz einer Säule nicht unbedingt
als zeitgemäß erscheint?
Das tut aber dem musikalischen Eindruck und den sängerischen
Leistungen keinen Abbruch. Monika Dehler und Drummond Walker sind
stimmgewaltig Samson und Dalila, auch wenn manches Mal lyrischere
Töne vorstellbar gewesen wären, erscheint die Schwerpunktsetzung
gerade bei der Dramatik auch musikalisch konsequent und sinnvoll,
trägt die musikalische Konzeption diesen Abend. Beachtlich
die Leistungen des durch freiberufliche Gäste verstärkten
Eisenacher Opernchores und des Eisenacher Extra-Chores sowie des
Balletts.
Doch wer erwartet bei Saint- Saëns nicht gerade vom Orchester
Klangsinnlichkeit? Und die gibt es pur und doch nicht zu süß;
wo nötig zu schwelgerischem, stellenweise fast brutalem, existentiell
bewegendem Klang führt Generalmusikdirektor Wolfgang Wappler
die Landeskapelle Eisenach, reizt gewinnbringend räumlich-akustische
und gewiss auch musikalisch-technische Grenzen aus und kompensiert
souverän, die durch den deutschen Text noch verstärkten
rhythmischen und melodischen Klippen dieser Partitur.
Einen besseren Beitrag kann ein solches Theater im Existenzkampf
gar nicht liefern.
Tatjana
Böhme-Mehner
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