Wer ist der Größte?
Die deutsche Ranking-Sehnsucht
Lieben Sie Brahms? Dann sind Sie wohl doch eher ein Außenseiter.
Wenn Sie aber Roy Black oder Richard Wagner, Wolfgang A. Mozart
oder Nena für den/die größte(n) Deutsche(n) halten,
dann liegen Sie schon besser im Trend. Diese Erkenntnis verdanken
wir dem ZDF, das mit erheblichem Aufwand ermittelt hat, wer –
quer durch alle Sparten historischer und lebendiger Prominenz –
zu den Leitbildern deutscher Nation zählt. Herausgekommen ist
eine bunte Mischung, in der sich tatsächlich weniger Dichter
und Denker finden als Musiker (oder Leute, die gemeinhin unter diesem
Label präsentiert werden). Gar nicht schlecht im Rennen lagen
zum Beispiel Heino und Peter Kraus, was auch deshalb bemerkenswert
ist, weil man die – also ehrlich – eher für out
gehalten hätte. Denkste.
Zu den Betagtesten unter den 100 Größten und zugleich
zur kleinen Minderheit der Leitfrauen unter ihnen zählt immerhin
Hildegard von Bingen (*1098); sie aber kurzerhand als Musikerin
zu vereinnahmen und damit die Theologin, Medizinerin und Naturwissenschaftlerin
zu ignorieren, wäre freilich etwas dreist, ähnlich wie
im Falle von – sagen wir Albert Schweitzer oder Dieter Bohlen,
die etwa auf gleicher Höhe rangieren.
Aber dann gibt es noch den herausragenden casus musicus des Daniel
Küblböck; der landete auf dem eigentlich fantastischen
Rang 16, etwa auf der Beethoven-Ebene, aber doch unterhalb der Upper
Ten. Unter denen steht zwischen Gutenberg, Willy Brandt und Einstein
allein J. S. Bach für den Fachbereich Musik. Nicht traurig
sein, Daniel, bei der RTL-Superstar-Suche warst du auf Platz 3 gelandet,
jetzt aber beim ZDF unter den größten Deutschen aller
Zeiten kannst du dich in der Nachbarschaft von Helmut Kohl sonnen
– weit vor Nena! Das ZDF wird deine Platzierung zu honorieren
wissen und dich sicher in der nächsten Sendung seiner tollen
neuen Reihe „Sunday Night Classics“ eine Händel-Arie
krähen und zappeln lassen, vielleicht zwischen einem süß-sanften
Blues mit Nina Ruge und einer knackigen 2’30“-Fassung
von Beethovens Neunter. Cross over, Ludwig!
Michael
Jenne
|