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Mehr als ein Opernführer

Lexikon der Oper, herausgegeben von Elisabeth Schmierer unter Mitarbeit des Forschungsinstituts für Musiktheater der Universität Bayreuth. Verlag Laaber, 2 Bände, je ca. 850 Seiten. 358 Euro

Das vom Laaber-Verlag veröffentlichte Lexikon der Oper bietet im Gegensatz zum gängigen Opernführer wesentlich mehr: neben über 1.000 Werkartikeln (Opern, Operette, Musiktheater) zahlreiche Biografien von Komponisten, Librettisten, Regisseuren, Bühnenbildnern, Sängern, Theoretikern und Impresari, dazu nicht weniger als 300 Sachartikel über opernrelevante Begriffe sowie etliche auf das Theaterleben bezogene Städteporträts, illustriert durch 90 Abbildungen.

Fraglos kann man der Herausgeberin und den 77 Autoren attestieren, dass ihnen ein überaus informatives, dabei verständlich geschriebenes und aufgrund der konsequent eingehaltenen alphabetischen Anordnung praktikables Nachschlagewerk gelungen ist, das in den meisten Fällen den ersten Wissensdrang befriedigen dürfte und für weitergehende Informationsbedürfnisse auf Sekundärliteratur, auf Monografien, Spezialuntersuchungen und andere Nachschlagewerke verweist. Repertoireopern sind mit ausführlichen Abhandlungen bedacht, die neben den technischen Angaben eine Handlungsbeschreibung, einen Werkkommentar sowie einen rezeptionsgeschichtlichen Abschnitt enthalten, Raritäten hingegen werden äußerst knapp beschrieben.

Geht man jedoch davon aus, dass das Theaterrepertoire im engeren Sinne des Begriffes heutzutage nicht mehr als hundert bis hundertzwanzig Opern umfasst, dass dem interessierten Opernfan vielleicht zwei- bis zweihundertfünfzig Werke bekannt sind, so sind etwa 75 Prozent der beschriebenen Opern ausschließlich für den Fachmann interessant, für den Wissenschaftler, vielleicht für den Dramaturgen, kaum noch für den Plattenproduzenten oder den Kritiker. Angesichts des relativ begrenzten Platzes von etwa 1700 Seiten fragt man sich, warum beispielsweise eine Oper wie „Giulio Sabino“ von Giuseppe Sarti mit zweieinhalb Spalten bedacht wurde, obwohl sie bislang auf keiner CD erschienen ist und ihre Rezeptionsgeschichte offensichtlich vor zwei Jahrhunderten abbrach, während andererseits „Manon Lescaut“ sich mit der Hälfte begnügen muss, obwohl sie auf zwei Dutzend CDs verewigt, auf der Bühne nach wie vor präsent ist und Puccinis künstlerischen Durchbruch repräsentiert.

Bei allem erkennbaren Bemühen um Objektivität enthält auch diese Auswahl zwangsläufig ein arbiträres Moment, und wenn nicht alles täuscht, liegt hier ein gewisser Akzent auf den italienischen Opern des 18.Jahrhunderts, der französischen des 19.Jahrhunderts sowie auf dem zeitgenössischem Musiktheater.

Was die Komponistenartikel betrifft, so bringen sie in der erforderlichen Kürze die wichtigsten biografischen Informationen, oft die musikgeschichtliche Stellung und eine ästhetische Einschätzung sowie ein Verzeichnis der wichtigsten Opern, in etlichen Fällen sogar des kompletten dramatischen Oeuvres. Beim Thema „Regisseure“ macht sich der Zwang zu rigoroser Auswahl recht deutlich bemerkbar: Namen wie Luca Ronconi, Franco Zeffirelli und Giorgio Strehler glänzen ebenso durch Abwesenheit wie David Alden, David Pountney und Martin Duncan. Ganz offenkundig liegt hier der Akzent auf den deutschen Regisseuren, insbesondere auf den Vertretern des modernen Regietheaters wie Achim Freyer, Hans Neuenfels, Herbert Wernicke, Peter Mussbach, Peter Konwitschny und anderen. In den zum Teil recht ausführlichen Porträts werden nicht nur die Stationen ihrer Karriere aufgeführt, sondern, was darüber hinaus außerordentlich aufschlussreich ist, auch die ästhetischen Positionen reflektiert. Eine erstaunliche Fülle von Sängern der Gegenwart wie der Vergangenheit wird zwar mit ihren wichtigsten Rollen und Theaterauftritten berücksichtigt, leider jedoch kein einziger Dirigent, was bedauerlich ist.

Auch wenn manche Fachbegriffe nicht aufgeführt sind, andere einfach zu kurz abgehandelt werden, gibt das Lexikon doch in konziser Form Auskunft über die allermeisten Sachbegriffe des Operngebietes, oft versehen mit Literaturangaben.


Fazit: ein interessantes, hinsichtlich seiner Vielseitigkeit und Zuverlässigkeit im großen und ganzen überzeugendes Lexikon, das wahrscheinlich seine Defizite nicht hätte, wäre man bei den Werkartikeln weniger Spezialinteressen gefolgt oder wäre man von vornherein von einer dreibändigen Konzeption ausgegangen; sollten 360 Euro tatsächlich einen entscheidenen Schwellenwert im Kaufverhalten bedeuten?

Norbert Christen

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