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Vom Protestsong zum Rechtsrock
Der politische Bedeutungswandel in der Popkultur · Von
Martin Büsser
Mitte der 60er-Jahre erlebte die Popmusik ihre erste große
Blütezeit. Mit „Sgt. Peppers“ von den Beatles und
„Pet Sounds“ von den Beach Boys entstanden Platten,
die Popmusik in den Kontext von Pop Art rückten. Eine neue,
gewissermaßen progressive Kunstform war entstanden. Zu dieser
Zeit wäre niemand auf den Gedanken gekommen, Pop in einen Zusammenhang
mit rechter und reaktionärer Gesinnung zu rücken. Im Gegenteil:
Innerhalb kürzester Zeit wurde Popmusik – als Überbegriff,
der sowohl Rock, Folk wie auch Black Music beinhaltet – sowohl
von deren Fans wie auch Gegnern mit einem neuen, der politischen
Linken nahe stehenden Lebensgefühl assoziiert. Musiker wie
Jimi Hendrix, die Rolling Stones und Bob Dylan sorgten weltweit
für den Soundtrack der 68er Bewegung.
Auch noch bis in die 80er-Jahre hinein galt als Konsens, dass Pop
zwar nicht immer politisch links, aber doch meist aufklärerisch
und emanzipatorisch ausgerichtet ist. Als Sprachrohr der Minderheiten
bildete beispielsweise Soul die musikalische Plattform für
die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA, Homosexuelle
nutzten seit den Siebzigern Discomusik als eines ihrer zentralen
Ausdruckmittel. Selbst Punk, die provokante Rebellion gegen die
Hippie-Generation, war eine im Wesentlichen nach vorne gewandte,
progressive Bewegung. Der von den Sex Pistols geprägte „No
future“-Slogan galt ja nicht den Punks selbst, sondern der
Gesellschaft, in der sie lebten und die sie nach eigenen Wertvorstellungen
verändern wollten, etwa indem sich viele Punks innerhalb der
Hausbesetzer-Szene engagierten.
Rückblickend kann also etwas verallgemeinert festgestellt
werden, dass Popmusik über Jahrzehnte emotionaler Begleiter
der neuen sozialen Bewegungen und zahlreicher minoritärer Subkulturen
war, ideales Ausdrucksmittel, um sich gegenüber gesellschaftlichen
Normvorstellungen abzugrenzen. Eine solche Abgrenzung konnte in
Deutschland lange Zeit besonders wirksam vollzogen werden: Dadurch,
dass Pop- und Rockmusik vorwiegend aus den USA kam, und von vielen
– so der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit – als
„undeutsche Sprache“ empfunden wurde, war sie in den
50er- und 60er-Jahren ideales Mittel, um gegenüber der Elterngeneration
auch auf kultureller Ebene einen Schlussstrich zu ziehen. Hinzu
kam die in Deutschland gegenüber den USA wesentlich stärker
ausgeprägte Trennung von E- und U-Musik: Während Kunstmusik
als kulturell hochwertig und sozial anerkannt galt, hafteten Pop
und Rock ein Schmuddelimage an, das mit sexueller Freizügigkeit
und Verrohung der Sitten gleichgesetzt wurde.
Ankunft in der Mitte
All das hat sich inzwischen geändert – und zwar in
mehrfacher Hinsicht. Pop ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen
und als eigenständiges, zum Teil durchaus hochwertiges musikalisches
Ausdrucksmittel anerkannt. Selbst Politiker nutzen Pop längst
als Mittel, das eigene Image aufzupolieren und sich als besonders
jugendlich zu stilisieren. Das Spektrum solcher Synergien reicht
vom früheren, Saxophon spielenden „Woodstock“-Präsidenten
Bill Clinton bis zu Gerhard Schröder, der als frisch gewählter
Kanzler zusammen mit den Scorpions auf der Bühne „Wind
of Change“ anstimmte. Nach den Rolling Stones, einst Inbegriff
der Rebellion, ist ein Mittelklassewagen benannt worden. Parallel
zu dieser Entwicklung muss allerdings auch festgestellt werden,
dass Pop nicht mehr notwendig emanzipatorische Interessen und schon
gar nicht linke Utopien vertritt. In dem Maße, in dem Popkultur
allgegenwärtig und pluralistisch geworden ist, kann sie den
verschiedensten, also auch rechten und reaktionären Interessen
dienen.
Rechte Subkultur
Maßgebliche Veränderungen lassen sich zu Beginn der
90er-Jahre beobachten. Medien und Musikindustrie versuchten damals
mit Nirvana und der Grunge-Bewegung noch einmal eine rebellische
Subkultur nach alten Pop-Parametern zu etablieren. Der Versuch ist
gescheitert, denn obwohl Nirvana Millionen von Platten verkauft
haben, war es nicht möglich, eine Subkultur „von oben“,
nämlich medial vorzugeben. Zur gleichen Zeit breitete sich
in Deutschland eine ganz andere Subkultur „von unten“
aus: Parallel zu den rassistischen Anschlägen in Städten
wie Rostock-Lichtenhagen und Solingen geriet der so genannte Rechtsrock
in die Schlagzeilen. Unabhängig von der öffentlichen Aufmerksamkeit
und Musikindustrie war hier ein Netzwerk entstanden, dessen Vertriebe
vorwiegend aus dem Ausland heraus operierten. Bereits Mitte der
Neunziger gab es mehrere hundert CDs mit eindeutig rechtem Inhalt,
die Zahl steigt bis heute an. Die Aufmerksamkeit richtete sich damals
vor allem auf die Böhsen Onkelz, eine Frankfurter Band, die
bereits in den frühen 80er-Jahren Songs gegen Türken geschrieben
hatte. Seit Mitte der Neunziger erobern die Böhsen Onkelz mit
jeder neuen Veröffentlichung Platz Eins der deutschen LP-Verkaufscharts
– und dies, obwohl sie von zahlreichen Radiostationen und
Plattenläden boykottiert werden.
Als die rechte Gewalt in Deutschland mit den Ereignissen von Rostock-Lichtenhagen
ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, distanzierten
sich die Böhsen Onkelz von ihrer Vergangenheit und begannen
nun, Heavy-Metal-Balladen zu schreiben, die laut eigenen Aussagen
„unpolitisch“ seien. Auch wenn sich in den neueren Texten
der Böhsen Onkelz keine rechten Inhalte mehr finden lassen,
verdankt die Band ihren enormen Erfolg doch ganz dem „verbotenen“
Image: Ohne die allgemein bekannte Vergangenheit hätten sie
nicht auf so viele Fans eine integrative Wirkung haben können,
die das Gefühl suggeriert, zu den „eigentlichen Unterdrückten“
der Gesellschaft zu gehören. Es kam zu einem bemerkenswerten
Bedeutungswandel: Sämtliche Mittel der Provokation, mit denen
Pop einst gespielt hatte, von langen Haaren bis zu den Nietengürteln
der Punks, waren ausgereizt, hatten zum Teil sogar die Parkette
der Modenschauen erobert. Alleine das „Spiel mit dem Feuer“,
das Tabu rechter Ästhetik und Gesinnung, verhalf Musikern noch
zu zweifelhaften Schlagzeilen. Unter dem Schlagwort „Neue
deutsche Härte“ eroberte schließlich auch die Gruppe
Rammstein die Charts. Ihre martialischen Liveauftritte, ein Spiel
mit Muskeln und Feuer, begleitet von einer Art teutonisch brachialem
Metal, gipfelte in dem Videoclip „Stripped“, einer Montage
aus Aufnahmen von Leni Riefenstahls „Olympiade“-Film.
Hier feierte rechte Ästhetik ihren Triumph, ohne dass die Band
selbst einem rechten Kontext entstammte. Genau deshalb sind Rammstein
ein gutes Beispiel dafür, wie sich Werte im Pop auf ästhetischer
Ebene verschoben haben und für latent rechte Gesinnung durchlässig
geworden sind.
Macho-Gesten
Wirkung und Aussage von Popmusik sind selten eindeutig, vieles
findet auf einer sehr assoziativen Ebene statt, wobei das öffentliche
Auftreten von Musikern oft genauso wichtig ist wie die Songtexte.
Auf dieser symbolischen Ebene betreiben Rammstein Politik, so sehr
die Band in Interviews auch immer beteuern mag, dass es ihr bloß
um „Unterhaltung“ ginge. Das von der Band vermittelte
Männerbild, das auf Stärke und Härte zielt, also
eine Art sozialdarwinistisches „Survival of the fittest“
anklingen lässt, propagiert zwar keine rechte Ideologie, sehr
wohl aber den nationalsozialistischen Typ vom „idealen“
Körper. Die Hardrock- und Crossover-Szene, längst aber
auch HipHop, sind durchdrungen von Macho-Gesten – bekanntestes
Beispiel aus jüngster Zeit dürften die schwulenfeindlichen
Äußerungen des weißen US-Rappers Eminem sein. Nachdem
Pop über Jahrzehnte die Rechte von Minderheiten einklagte,
ist es inzwischen schick geworden, den Erfolg auf Kosten von Minderheiten
aufzubauen.
Als Fazit lässt sich also sagen, dass auf der einen Seite
seit den 80er-Jahren ein subkulturelles Netzwerk für rechte
Tonträger aufgebaut wurde, die bis heute illegal verbreitet
werden. Auf der anderen Seite ist die Verbreitung rechter Inhalte
im Mainstream zwar tabu, dennoch ist es auch dort möglich,
trotz rechter Vergangenheit Fuß zu fassen (Böhse Onkelz),
den rechten Bildervorrat als „bloße“ Ästhetik
zu zitieren (Rammstein) oder sich – auf angeblich rein rhetorischer
Ebene – über Minderheiten lustig zu machen (Eminem).
Ursachen
Es lässt sich nicht mit wenigen Sätzen beantworten,
wie es zu einem solchen Wandel innerhalb der Popkultur hat kommen
können. Zum einen wird argumentiert, dass seit dem Zusammenbruch
des Kommunismus linke Utopien auch in der Jugendkultur keine große
Rolle mehr spielen, andere sprechen davon, dass nur noch die Rechte
übrig geblieben ist, wenn es darum geht, mit Musik zu schockieren
oder zu provozieren. Hinzu kommt, dass Subkulturen seit den Halbstarken
in den 50er-Jahren mit Hilfe von Rockmusik mit jeder Generation
aufs neue gegen eine als spießig und verklemmt empfundene
Umwelt rebellierten – ein Umstand, der heute nicht mehr gegeben
ist, wo Großeltern gemeinsam mit ihren Enkeln Rolling-Stones-Konzerte
besuchen und Piercings keinerlei Anstoß mehr erregen.
Popkultur ist pluralistisch geworden, zahlreiche Stile und Genres
existieren nebeneinander. Zum Glück ließen sich noch
immer für jede rechte Band zahllose Gegenbeispiele finden.
Es gibt also noch immer anspruchsvolle, kritische Popmusik, sie
findet jedoch in den zahlreichen „Independent“-Nischen
statt – aufgrund der Fragmentierung ist es nicht mehr möglich,
solche Bands zu einer Bewegung zusammenzufassen. Inmitten einer
Unzahl von monatlichen Neuveröffentlichungen haben es die Tabubrecher
allerdings leichter, sich Gehör zu verschaffen und damit eine
ganze Branche in Verruf zu bringen.
Martin
Büsser
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