Monopolisierter Musical-Markt
Die Stage Holding und ihre Konkurrenz · Von Christoph Forsthoff
Das Rezept könnte selbst den Kanzler interessieren: Erfolg
ist planbar. Zumindest in der Musical-Branche und wenn der Stratege
Joop van den Ende heisst. Nach der Marktführerschaft in seiner
Heimat – in den Niederlanden beglückt der einstige Partner
John de Mols seine Landsleute derzeit mit einem halben Dutzend Produktionen
– hat der Großunternehmer der leichten Muse nun die
deutschen Bühnen erobert. Mehr als 700.000 Besucher bislang
bei „Elisabeth“ in Essen, über 1,2 Millionen verkaufter
Tickets beim „König der Löwen“ im Hamburger
Hafen, 97 Prozent Auslastung beim Berliner Uralt-Hit „Cats“,
fast jeden Abend ein ausverkauftes Haus mit dem Abba-Musical „Mamma
Mia!“ auf der Hamburger Reeperbahn: Beinahe jede Woche gibt
es eine neue Rekord-Meldung aus einem der sieben bundesweiten Stage-Theater.
Gute Prognosen
Van den Endes deutscher Statthalter Maik Klokow kommt denn auch
aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus, prognostiziert für
die Stage Holding Deutschland bereits für 2004 schwarze Zahlen
und soll mit einer Rendite von rund fünf Prozent rechnen. Erstaunlich
für ein Unternehmen, das vor gerade mal zweieinhalb Jahren
den ersten Schritt auf deutsches Terrain wagte, als Klokow das erfolgreiche
Rock’n’Roll-Musical „Buddy“ im Hamburger
Hafen übernahm. Beachtlich angesichts der gewaltigen Investitionssumme
von 133 Millionen Euro, die bis 2004 in die verschiedenen (Neu-)Produktionen
und Theaterumbauten geflossen sein werden. Überraschend in
einer Zeit, wo allerorten Klagen über Besucherrückgänge
zu hören sind und die ökonomische Krise die Bundesbürger
sparen lässt. Und fast unglaublich, nachdem vergangenen Sommer
Peter Schwenkow mit der Stella eine grandiose Pleite hingelegt hatte:
Der zweijährige Ausflug ins Musical-Geschäft kostete den
Chef der Deutschen Entertainment AG mehr als 26 Millionen Euro.
Wohl birgt jedes Scheitern auch den Keim für einen Neu-anfang
– nicht mehr allerdings für den Berliner Konzert- und
Tourneeveranstalter.
Statt seiner trat nun die Stage auf den Plan und übernahm
im Handstreich vier weitere der insolventen Stella-Theater –
schon nach der ersten Bauchlandung Stellas 1999 hatten sich die
Holländer deren Essener „Elisabeth“ einverleibt.
Das heißt, natürlich nicht im Handstreich, das hätte
allzu sehr eben jenen Wirtschaftsruch, den van den Ende und Klokow
tunlichst vermeiden wollen. Statt von Standortfaktor und Marketingkonzept
reden die Stage-Macher lieber von lebendigem Musik-Theater und Produzenten
aus Leidenschaft. Meiden Worte wie Produkt und Zielgruppe, sondern
beschwören das „Zusammenspiel von Individualisten und
Verrückten“ und nächtelange Diskussionen über
neue Stücke. Theater, das seien keine Abspielstätten,
sondern künstlerische Treffpunkte.
Qualität contra Bilanzen
Man hat aus den Fehlern der Stella gelernt, die trotz ihrer 15-jährigen
Vorherrschaft auf dem deutschen Musical-Markt doch vieles falsch
gemacht hatte. Dort wurde in erster Linie auf die Bilanzen geschaut,
kaum auf die Kritiken, mussten Produktionen für nicht immer
ganz astreine Immobiliengeschäfte herhalten. In den Musicals
sahen Schwenkow und seine Vorgänger vor allem schier unerschöpfliche
Geldquellen, die – einmal angezapft – ohne große
Pflege unaufhörlich weiter sprudelten. Und vergaßen darüber,
sich um neue Stücke zu kümmern, denn irgendwann war auch
für die scheinbaren Dauerbrenner der Sättigungsgrad an
ihren Standorten erreicht. Volkswirtschaftlich betrachtet.
Nun also die Künstler, die sich entsprechend „The Theatre
Company“ nennen. Van den Ende, der sich am liebsten als Impresario
sieht. Klokow, der letzten Herbst zum „Hamburger des Jahres“
gewählt wurde – allerdings in der Kategorie Wirtschaft.
Und dennoch nicht müde wird, die „eigene Seele“
einer jeden Stage-Produktion zu beschwören, sich gegen die
Vorwürfe einer Vereinheitlichung der Inszenierungs-Ästhetik
und des Branchen-Monopols zu wehren. „Es gibt keine Monopolstellungen
in der Theaterwelt.“ Vielmehr müsse jedes Stück
bei den Menschen ein Bedürfnis wecken und sich seine Anerkennung
beim Publikum „erarbeiten“. „Ich glaube daran,
dass jede Produktion, jedes Musical sich seinen eigenen Markt schafft.“
Markt-Aspekte
Da fällt es dann doch plötzlich, das Unwort: Markt.
Denn natürlich sind auch Klokow und sein Team knallharte Strategen.
Haben sich beim Übernahme-Poker um die bankrotte Stella nicht
nur von deren aufgeblähtem Verwaltungsapparat getrennt, sondern
vom Insolvenzverwalter auch noch die „Abwicklung“ etlicher
hundert weiterer Stellen gefordert – anders wäre dieser
Theater-Coup kaum finanzierbar gewesen. Haben die zuvor (horrenden)
Mieten für die Theater gedrückt sowie die Künstlerverträge
neu ausgehandelt – nicht wenige in der neuen Belegschaft stöhnen
denn auch über schlechtere Arbeitsbedingungen und Löhne.
Reichlich Gelder sind hingegen in die Umbauten der Spielstätten
zu prachtvollen Glas- und Marmor-Bauten geflossen. Und auch die
„klassischen Theaterfarben Schwarz und Rot“ (Klokow)
fehlen nicht – schon der gleiche Teppichboden garantiert den
Wiedererkennungseffekt in den Spielstätten. Ähnlich wie
die zahlreichen, großformatigen Gemälde in den hellen
und großzügigen Foyers aller Häuser, die Galerien
moderner Kunst gleichen. Eindrücke, die der Musical-Marktforscher
Martin Heins als Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit
des Genres sieht: „Schon die räumliche Gestaltung der
Spielstätten sollte zu einem Erlebnis werden.“
Und auch auf dem eigentlichen Produktionsfeld haben sich die Stage-Macher
als clever kalkulierende Profis gezeigt: Dank Kooperationen mit
Entertainment-Größen wie Disney hat sich der niederländische
Konzern weltweit mehr als 70 Lizenzen gesichert, kann so seine Musicals
durch Städte und Länder rotieren und etwa in Hamburg gleich
drei Stücke parallel laufen lassen: Das poetische Ethno-Musical
„Der König der Löwen“, den Gute-Laune-Hit
„Mamma Mia!“ und seit Dezember auch das technisch höchst
aufwändige Untergangs-Melodram „Titanic“ –
keine Klone, sondern durchaus eigenständige Produktionen. Zum
Imperium gehört ebenso die US-Firma Dodgers Theatricals, „producing
Broadway since 1978“, wie die Rechte für eine Elton John-„Aida“
oder das für 2004 in Berlin geplante Wende-Musical „Change“.
Und in Hamburg soll künftig der Darsteller-Nachwuchs in einer
hauseigenen Kaderschmiede für die Großproduktionen der
Stage getrimmt werden.
Expansion
Klokow macht denn auch aus den Gründen für den Erfolg
kein Geheimnis: Die kürzeren Spielzeiten – zwei bis maximal
vier Jahre –, das exklusive Ambiente der Theater und die Qualität
der Produktionen. Ein klares Konzept, mit dem „The Theatre
Company“ in Deutschland weiter expandieren will. Als neue
Produktionen sind „Aida“, „Les Miserables“
und „42nd Street“ im Gespräch, neben Nachfolgern
für die auslaufenden Musicals „Elisabeth“ (Herbst
2003) und „Tanz der Vampire“ in Stuttgart (2004) soll
künftig auch das Berliner „Theater des Westens“
bespielt werden. Gesucht wird zudem eine Spielstätte in München
– und selbst ein Gang nach Nordrhein-Westfalen scheint nicht
ausgeschlossen.
Bislang ist dort noch eine Gruppe um die Produzenten Thomas Krauth
und Andrea Friedrichs Marktführer, zeigt im Düsseldorfer
„Capitol“ das Tanz-Musical „Miami Nights“
und im Kölner Musical Dome ab Mitte März das zuvor in
Bremen gefloppte „Jekyll & Hyde“. Die Dekorationen
fallen hier nicht ganz so üppig aus, man ist schon mit Auslastungen
von über 80 Prozent „hochzufrieden“ und freut sich
zudem über den Erwerb eines Oldies aus dem Stella-Konkurs:
Der Bochumer „Starlight Express“ rollt nun schon seit
15 Jahren, im Herbst wird der zehnmillionste Besucher erwartet und
selbst eine Verlängerung über den Sommer 2004 hinaus scheint
nicht ausgeschlossen. Dennoch wird auch hier über Expansion
nachgedacht, ist Berlin als weiterer Spielort im Gespräch –
schließlich halten Krauth und Co. die Lizenz für „Saturday
Night Fever“.
Konkurrenz
Mutig, mutig – immerhin würden die Rheinländer
dann in der Hauptstadt auf drei Stage-Produktionen stoßen,
wenn 2004 das geplante Scorpions-Stück „Change“
anläuft. Aber vielleicht richtet Klokow sein Augenmerk ja vorrangig
auch erst mal auf München. Was dann allerdings die Konkurrenz
im nahen Füssen wenig freuen dürfte: Wo der Hamburger
„König der Löwen“ bereits nach einem Jahr
1,2 Millionen verkaufte Tickets vermeldet, zählt das bayrische
König-Ludwig-Musical „Sehnsucht nach dem Paradies“
fast drei Jahre nach seinem Start grade mal die gleiche Besucherzahl.
Zudem hatte das dortige Musical Theater Neuschwanstein 2002 mit
Liquiditätsengpässen zu kämpfen, da für einen
Teil der investierten 46 Millionen Euro zu kurzfristige Kredite
mit zu hohen Tilgungsraten abgeschlossen worden waren. Und obendrein
die mehr als 200 privaten Geldgeber der Ludwig Musical AG &
Co. KG endlich Rendite für ihre Einlagen sehen wollten.
Probleme, die Klokow und seine deutsche Stage Holding nicht haben:
Dank seines Milliarden-Vermögens kalkuliert Joop van den Ende
langfristig. Künstlerisch und geschäftlich. Erfolg ist
eben planbar. Zwar nicht, indem man Produktionen klont. Aber zumindest
die Bedingungen für das perfekte Erlebnis. Auch wenn das eigentliche
Musical damit nicht länger die Hauptrolle spielt.
Christoph
Forsthoff
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