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Kabarett und Karneval
Der Mainzer „Orpheus“ · Von Andreas Hauff
Hat die Operette Zukunft? Den einen gilt sie als miefig, spießig,
verstaubt und veraltet. Die anderen finden sie witzig, spritzig,
anarchisch und aufmüpfig. In der gegenwärtigen Theaterlandschaft
gibt es Indizien für beides; einem arg geschrumpften Repertoire
steht immerhin die Entdeckungslust einiger engagierter Regisseure,
Dramaturgen und Intendanten gegenüber. In Mainz tat Staatstheater-Intendant
Georges Delnon vor zwei Jahren einen guten und beherzten Griff,
als er Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“
dem Kabarettisten Michael Quast anvertraute.
Die Fastnachts- und Kleinkunst-Hochburg Mainz ist in puncto Operette
kein einfaches Pflaster. Einerseits lebt die Operette in gewisser
Weise aus dem rebellischen und dionysischen Geist des Karnevals.
Andererseits ist die organisierte Fastnacht das beste Beispiel dafür,
wie Witz und Satire durch Klamauk und Kokolores verdrängt werden
können. Auch derart abgestandener Humor findet in Mainz –
noch (!) – sein Theaterpublikum. Bei der „Großherzogin
von Gerolstein“ war das anders. Michael Quast schrieb eine
ebenso witzige wie sangbare Textfassung, ohne den Geist der Vorlage
zu verfälschen. So durfte man auf sein nächstes Projekt
in Mainz besonders gespannt sein. Hohe Erwartungen mischten sich
mit leichter Skepsis.
Zu den Stärken der Aufführung gehört zweifellos
die geglückte Textunterlegung. Mit leichter Hand, sorgfältigem
Blick auf den französischen Originaltext und wachem Ohr für
pointierte Deklamation haben Quast und sein Ko-Autor Rainer Dachselt
die deutschen Übersetzungen von Ludwig Kalisch und Frank Harders-Wuthenow
modernisiert. John Carlo Pierce als Orpheus und Janice Creswell
als Eurydike bleiben dann in der Aufführung nichts schuldig;
sie beide und ein äußerst charmanter und wendiger Alexander
Spemann als Aristeus/Pluto beweisen hier, dass Opernsänger
bei genügend intensiver Probenarbeit hervorragend Operette
singen, sprechen und spielen können.
Der erste Akt hat Tempo und Witz. Die Rolle der Öffentlichen
Meinung zeigt die Handschrift des gewieften Kabarettisten; die Figur
ist zweigeteilt in Boulevardpresse und Qualitätsjournalismus.
Beide Damen (Edith Fuhr und Cornelia Niemann) befehden sich heftig,
ziehen aber an einem Strang, wenn es darum geht, Orpheus zur Befreiung
Eurydikes zu mobilisieren. Einen deutlichen Einbruch erfährt
die Aufführung im zweiten Akt. Jupiter, der Weltenherrscher,
wird zum Chef einer nicht näher bezeichneten Firma verkleinert,
und die ihm untergebenen Göttinnen und Götter erscheinen
größtenteils als gebeugte, klapprige Seniorinnen und
Senioren. Die olympische Revolte zu den Klängen der Marseillaise
beschränkt sich auf das Schwenken der Fahnen des örtlichen
Fußballvereins Mainz 05. Über dem Pointensammeln verliert
Quast den dramatischen Faden und nähert sich bedenklich dem
reduzierten Anspruch einer Büttenrede. Das reicht einem Großteil
des Publikums. Anders als im Kammerspiel des ersten Aktes wirkt
auch die Personenführung schwerfällig; dies trifft insbesondere
den Opernchor, den der Regisseur erstaunlich konventionell behandelt,
nachdem er ihn in den beiden vorangegangenen Offenbach-Inszenierungen
jeweils von zwei sehr pointiert auftretenden Schauspielern vertreten
ließ. Die Texte der Ensembles und auch einzelne Couplets sind
kaum zu verstehen, woran allerdings auch die von Kapellmeister Gordian
Teupke gewählten schnellen Tempi ihren Anteil haben. Teupke
und das Philharmonische Orchester des Staatstheaters musizieren
ansonsten sehr ansprechend: schwungvoll, transparent und differenziert.
Genausowenig wie zum Olymp fällt Ausstatter Dietrich von Grebner
etwas Charakteristisches zur Unterwelt ein. Dabei hätte Jupiters
stereotypes „Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen!“
durchaus eine optische Umsetzung vertragen. Auch Pluto verbreitet
im dritten und vierten Akt Sparparolen; wieso es dann allerdings
im Hades interessanter und vergnüglicher zugehen soll als im
Götterhimmel, wird an keiner Stelle so recht deutlich. Dass
die Kinder der Ballettschule des Staatstheaters, die in den Szenenwechseln
schon Auftritte als Engelchen und Teufelchen hatten, nun im Zuge
höllischer Sparmaßnahmen auch den berühmten Cancan
tanzen, ist eine gelungene szenische Überraschung, trägt
aber erst recht zur zunehmenden Verniedlichung des Stückes
bei.
Ist es so schwer, der Bühne des Großen Hauses den Geist
karnevalistischer Biederkeit auszutreiben, oder sitzt dem Mainzer
Staatstheater auf dem Hintergrund der aktuellen Spardebatte schon
die Angst im Nacken, bei einem Repertoirestück das Publikum
zu vergraulen? Auch wenn dieser Mainzer „Orpheus“ ein
nur halb geglücktes Experiment ist, so kann er doch eine entscheidende
Etappe auf dem Weg zu neuen Entdeckungen auf dem Gebiet der Operette
werden. Quast jedenfalls wird noch gebraucht; er wäre der rechte
Mann für Arthur Honeggers „Les Aventures du Roi Pausole“
oder Kurt Weills immer noch unterbelichteten „Kuhhandel“!
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