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Kulturpolitik

Störrisches Rundfunk-Stiefkind

Die Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks · Von Ulrich Dibelius

Allenthalben herrscht derzeit Mangel: an Finanzmitteln, an Arbeitsplätzen, an Konjunkturaufschwung, Zukunftsaussichten, Betriebssicherheit. Auch an Schulen, Lehrkräften, Kindergärten, überhaupt an Verlässlichkeit und Stabilität der sozialen Systeme fehlt es, mit täglich neuen Steigerungsraten. Und prompt wächst im Gegenzug das Angebot guter Ratschläge, wie die Krise mit welchen grundlegenden Reformen zu bewältigen sei. Etwa wie dem Pisa-Notstand nur zu begegnen sei, indem man jeden Schüler möglichst frühzeitig mit einem Computer ausstattet, einerlei was das kostet. So als ließen sich Rechnen, Schreiben, Deutschkenntnisse und vor allem eigenes Denken, auch Fantasie und Vorstellungskraft allein dadurch schon verbessern. Eine generelle Nervosität der schnellen Reaktionen greift um sich, die mit griffigen Patentrezepten sofortige Abhilfe schaffen will, statt umgekehrt die verlässlichen Fundamente des Vorhandenen zu stärken, sie auszubauen und auf ihre inneren Wachstumsenergien zu vertrauen.

Konkurrenz der Privaten

Genau in diese Situation überstürzter Handlungszwänge hatten sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor Jahrzehnten hineinmanövrieren lassen, als die kommerziellen Sender hinzukamen und mit ihren populären Programmangeboten Konkurrenzdruck erzeugten. Man wollte es ihnen gleichtun und sie auf ihrem Feld einer notwendigen Werbeattraktivität sogar noch, ohne eigentlich dafür einen Grund zu haben, überbieten. Das hatte selbstverständlich Einschnitte an anderer Stelle zur Folge. Oder zumindest lief es auf Umschichtungen in der finanziellen Ausstattung hinaus. Und dabei sind üblicherweise die „weichen“ kulturbezogenen Programmsparten, Literatur, Feature, Dokumentation, Hör- und Fernsehspiel, Kulturbericht, Musik, die Leidtragenden und Geschmälerten. Das Quotendenken hält somit Einzug und bestimmt immer unnachsichtiger die Planungen, als ginge es nur noch um die größtmögliche Effizienz in der Publikumsbeliebtheit und den statistisch gemessenen Einschaltzahlen, nicht aber um die Inhalte oder gar darum, wie sie zwar mediengerecht, jedoch ohne Substanzverlust dargeboten und vermittelt werden.

Spaß-Kultur

Unter dem Diktat des Lauten, Sensationellen, Effektvollen, dazu der Willfährigkeit gegenüber einer Radio- und Fernsehabonnentenschaft, bei der Kultur nur noch als Spaßkultur vorkommt, geht mehr und mehr die Einsicht verloren, dass gerade dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Aufgabe zufällt, nach jedes einzelnen Teilnehmers Schulzeit das wohl einzige und jedenfalls wichtigste Instrument der Weiterbildung zu sein. Zusätzliches Erkennen, Begreifen, Lernen wird hier angeregt und gleichsam spielerisch gefördert. Ja in der Schulzeit selbst – und auch darüber hinaus – liefert zumal der Schulfunk vielseitiges und reichhaltiges Anschauungsmaterial, die Welterfahrung zu erweitern und Einblicke in entlegene Wissensgebiete zu geben. Aber auch andere Hörfunk- und Fernsehsendungen konzentrieren sich statt auf poppige marktschreierische Verpackung oder sündteures Star-Hallotria ernsthaft auf ihre Thematik, verstehen Interesse und Neugier dafür zu wecken, aufgetretene Probleme darzulegen.

Kein Programmdirektor wird es auch versäumen, darauf mit gebührendem Nachdruck hinzuweisen, wenn es um die besondere medienpolitische Stellung der öffentlich-rechtlichen Sender gegenüber den kommerziellen geht. Und daran hängt ja stets die heikle, heftig umstrittene Gebührenfrage. Andererseits werden jedoch dieselben Programmdirektoren und ebenso ihre Intendanten geflissentlich verschweigen, wo denn und wann diese gepriesenen Sendungen zu empfangen sind. Die mittlerweile 50-jährige Existenz der ARD und die um 10 Jahre kürzere des ZDF hat nämlich zu einer Expansion auf jetzt rund 60 Radiokanäle und etwa halb so viel Fernsehschienen (inklusive Parlamentskanal, BR-alpha sowie den partnerschaftlichen: Phoenix, Kika, 3sat und Arte) geführt. Ein wahrhaft verwirrendes Labyrinth von Angebotsmöglichkeiten mit vielen Überschneidungen und, was die Zeitenzuteilung betrifft, auch unbequemen oder späten Abseitspositionen, sogar richtiggehenden Versteckplätzen, die den suchenden Experten voraussetzen. Entsprechend gibt es eine Beliebtheitsskala, die ein Programmchef mir gegenüber ganz unverhohlen in die provozierende Frage münden ließ, ob man so etwas wie diese „neue Musik“ denn überhaupt senden müsse, worauf ich ihn auf die doppelte gesetzliche Verpflichtung zu Kultur + Information (auch über kompositorische News) hinwies. Die inneren Wechselwirkungen der Forderung nach Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung lassen derartige Auslegungen eben nicht nur zu, sondern fordern sie geradezu heraus.

Digital-Angebote

Man muss ja Programme als lebendige Organismen begreifen. Es geht nicht nur um Abwechslung und Kontrast, sondern ebenso um Ergänzung, weiterführende Kommentierung und Zusammenhang im Sinne eines Perspektiven gebenden Gegenwartsverständnisses, das sich aus den verschiedensten Einzelansichten kompiliert. Andernfalls ließe sich Rundfunk angesichts der Vielzahl verfügbarer Kanäle nach einem Zapfhahn-Modell – pro Kanal ein Thema – als stets präsenter Selbstbedienungsladen betreiben. Und auf dem Wege dahin ist zum Teil schon das neue Zusatzangebot „ARD Digital“, obwohl es eigentlich nur die quotenabhängigen Ungerechtigkeiten bei der Zuteilung von Sendeplätzen in den laufenden Programmen ausgleichen und kompensieren will. Zu diesem Zweck gibt es innerhalb der 18 Fernseh- und 22 Hörfunkprogramme, die digital übertragen werden und (mit Decoder) auch digital, also in verbesserter Qualität, zu empfangen sind, drei vom „ARD Play-Out-Center“ in Potsdam-Babelsberg (ORB) eigens zusammengestellte Extra-Angebote mit Wiederholungen und Sonderauswahlen.

Zum Beispiel werden freitags und sonntags ab 20.15 Uhr bis in den frühen Morgen die sonst raren TV-Musikprogramme gebündelt ausgestrahlt, und über www.ard-digital.de sind dazu auch alle notwendigen Informationen zu bekommen.

Der Vorgriff auf die generelle Digitalisierung des Rundfunks in der Zukunft erlaubt demnach, wenn auch in der programmatischen Ausschließlichkeit höchst widersprüchlich, eine unerwartete und neuartige Befreiung von Kultur und Bildung aus ihrer Nischen-Existenz. Und vielleicht können die dabei gesammelten Erfahrungen beim Definitiv-Zustand totaler Digitalübertragung immerhin helfen, das heutige Korrekturbedürfnis am überalterten System der Programm-Codes als wichtigen Impuls aufzunehmen und damit dem bequemen Spartendenken neue, vitalere Aktivkräfte entgenzusetzen.

Ulrich Dibelius

 

 

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