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Passanten einer Passagenwelt
Beat Furrers „Begehren“ in Graz uraufgeführt
· Von Isabel Herzfeld
Als offene Stadt präsentiert sich Graz, Kulturhauptstadt
Europas 2003. Mit Kunst im öffentlichen Raum, Architekturen
und Ausstellungen werden Zeichen der Experimentierfreude, des reflektierten
Traditionsbezugs, der Grenzüberschreitung zwischen den Künsten
und zum Alltag der Bewohner gesetzt. Auf den ersten Blick schien
das Eröffnungswerk alle diese programmatischen Stränge
zu bündeln: In „Begehren“ von Beat Furrer verschmelzen
Musik, Bühne und szenisches Geschehen zur stimmigen Einheit
von Klang und Bewegung, Raum und Licht. Mit dem antiken Orpheus-Mythos
wählte der 1954 in der Schweiz geborene, seit Studienzeiten
in Österreich lebende Komponist einen der Urstoffe der Oper
schlechthin, doch versucht er ihn in einer eigenen Fassung (Mitarbeit
am Libretto: Christine Huber und Wolfgang Hofer) auf seine Tauglichkeit
für uns Heutige zu befragen, schafft durch die Verwendung höchst
divergenter Textquellen – Ovid, Vergil, Cesare Pavese, Hermann
Broch und Günter Eich – komplexe Beleuchtungen. So sehen
wir auf einer kahlen, metallisch kühlen Bühne der Stararchitektin
Zaha Hadid, einem Niemandsland, zwei Menschen unserer Zeit, nicht
eigentlich ein Paar, eher „Passanten in einer Passagenwelt“
(Hofer). „Begehren“ meint natürlich das Umwenden
des Orpheus nach Eurydike, den verbotenen Blick, der hier noch viel
mehr sein soll: die Suche nach der eigenen, nicht mehr lebbaren
Vergangenheit, Grenzüberschreitung zwischen zwei Welten, den
Augenblick der Willkür und damit der Freiheit, der durch Kunst
– die Macht des Gesangs – ermöglicht wurde und
wieder zu ihr zurückführt. Doch mit der ist es vordergründig
gesehen nicht weit her: Den männlichen Protagonisten, den Bariton
Johann Leutgeb, lässt Furrer nicht als Sänger auftreten,
sondern als Stimm-, Sprech- und Atemkünstler.
Der „Impuls, der eine Figur singen lässt, der Weg vom
Sprechen hin zum Singen“ steht für ihn im Mittelpunkt
des Interesses, lässt ihn quasi die Wurzeln der Gattung aufsuchen.
Folglich ist die schlechte Verständlichkeit des häufig
von dichten Instrumentalklängen überdeckten Textes kaum
ein Manko: Sprache dient hier eher als Klangmaterial denn als Träger
von Bedeutung. Und Leutgeb entfaltet virtuos ein breites Spektrum
strömender, seufzender, röchelnder Atemgeräusche,
zerhackter, herausgeschleuderter, herausgewürgter Laute. Spannung
vor allem im fast unhörbar Leisen, differenzierte Farbigkeit
des Geräuschhaften entsteht auch, wenn der Chor – das
Wiener „Vokalensemble Nova“ – das Geschehen erzählt
und kommentiert. Über extreme, schneidend intensive Töne
gebietet die Koloratursopranistin Petra Hoffmann, expressive Verkörperung
der Frau, die vom ersten verzweifelten Ruf bis zur letzten „Arie“
immer mehr Stärke gewinnt und zum Schluss die Trennung bestimmt.
Furrers Musik besticht durch die Dichte und Ausdruckskraft, zu
der sich filigrane, repetitive Muster in hektischer Bewegung und
plötzlichen Stauungen fügen. Reichtum und Vielfalt eines
Lachenmann oder Scelsi – spürbare Einflüsse –
ist ihr jedoch nicht gegeben, und so büßt sie im Laufe
von zwei Stunden deutlich an Faszination ein. Vielleicht liegt das
auch am reichlich abstrakten, auf eine allgemeine, von aller Kausalität
losgelösten Einsamkeit rekurrierenden Sujet, das Reinhild Hoffman
in ihrer Choreografie und Regie sich redlich bemüht, mit Fleisch
und Blut zu erfüllen. Ihren ausgezeichneten Tänzern, aus
den alten Bremer und Bochumer Truppen sowie der soeben abgewickelten
Kresnik-Compagnie der Berliner Volksbühne zusammengestellt,
gelingen denn auch einige eindrucksvolle Bilder. Dazu gehören
Verdoppelungen der Stimm-Protagonisten durch stumme Schatten, die
Erfindung eines streng die Fäden ziehenden „spiritus
rector“, das äußerst präzise Nachzeichnen
der musikalischen Abläufe.
Wenn Mann und Frau auf den weiß leuchtenden, hochgeklappten
Schrägen der raffinierten Bühnenbildmechanik, Leichenbahren
gleich, einen kurzen Moment des Zueinanderfindens erleben, wenn
später die Orpheus zerreißenden Mänaden mit langen
Spießen versehen einen stilisierten Ritualmord vollziehen,
kommt durchaus dramatische Spannung auf. Doch wenn allzu viele archaisierende
Schöpfbewegungen oder schmerzerfüllte Rückbeugen
dieses Panorama der existenzialistischen Wehklagen, nicht frei von
Geschlechtsrollenklischees, pathetisch illustrieren, dann schleicht
sich die Frage ein, ob das Ganze nicht doch einfach nur furchtbar
kalter Kaffee ist.
Isabel
Herzfeld
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