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Die Klassik hat Zukunft
Ein Kommentar zur Krise des Klassikmarktes · Von Hartmut Spiesecke
Ich beginne untypisch mit einem Bekenntnis: Der Klassikmarkt ist in der Krise. Ich kann diesen
Satz nicht mehr hören. Das liegt vor allem daran, dass er alles und nichts meinen kann. Wer noch rudimentäre
Kenntnisse des Griechischen hat (bei mir sind die extrem knapp), weiß, dass Krise Höhe-
oder Wendepunkt bedeuten kann. Also kann eine Krise kein länger andauernder Zustand sein schließlich
handelt es sich um einen Zeitpunkt.
Umsatzanteile stagnieren
Oft hilft in der allgemeinen Verwirrung der Blick auf einige Daten. Der Bundesverband der Phonographischen
Wirtschaft veröffentlicht seit vielen Jahren regelmäßig die zur Verfügung stehenden Daten
der Branche. Für die Jahre seit 1996 werden folgende Anteile des Klassikmarktes am Gesamtumsatz der Branche
in Deutschland ausgewiesen: 1996: 7,8 Prozent, 1997: 7,5 Prozent, 1998: 9,6 Prozent, 1999: 8,7 Prozent, 2000:
8,3 Prozent. Mit anderen Worten: Der Anteil klassischer Musik am Gesamtumsatz stagniert bei rund 8 Prozent,
lässt man den Ausreißer im Jahr 1999, zu dem die Filmmusik zu Titanic wesentlich beigetragen
hat, einmal beiseite.
Natürlich sind das zunächst nur grobe statistische Daten, die noch nicht viel über das Interesse
an klassischer Musik sagen, aber einen Hinweis geben sie schon: Nach dieser Statistik ist von Krise nicht viel
zu spüren. Es trifft zwar zu, dass die Gesamtumsätze in Deutschland nach 1997 rückläufig
sind, aber auch dies rechtfertigt keineswegs die Rede von der Krise des Klassikmarktes jedenfalls fällt
diese ausweislich der offiziellen Statistik nicht größer aus als die des Gesamtmarktes.
Repertoireklassifizierung
Die nächsten Gegenargumente sind schon deutlich vernehmbar: Der Klassikanteil stagniere zwar, aber das
komme im Wesentlichen durch den hohen Anteil von Crossover-Produktionen, die unter Puristen nicht wirklich als
Klassik gelten können. Aber stimmt das denn? Wer den schon angesprochenen Titanic-Soundtrack
kennt, weiß, dass da ein großes Symphonieorchester musiziert, gemeinsam mit dem Chor des Kings
College, während Celine Dion ausschließlich auf Track 14 mit ihrem Top-Hit My heart will go
on zu hören ist. Gewiss kann man darüber streiten, ob das wirklich Klassik ist
aber unter Rock- oder Volksmusik lässt es sich auch nicht treffender kategorisieren. Gleiches gilt auch
für andere Aufnahmen. Als promovierter Musikwissenschaftler frage ich mich, zu welchem Repertoire 1925
Ernst Kreneks mit vielen Jazzelementen versetzte Oper Jonny spielt auf wohl gezählt worden
wäre aber damals gab es ja noch keinen Bundesverband, der das wissen wollte.
Und mit einer weiteren Mär soll hier auch gleich aufgeräumt werden: Die Tonträgerunternehmen
klassifizieren ihre Produkte selbst mit den gleichen zu vermutenden richtigen und Fehleinschätzungen
wie eh und je, und auch nicht schlechter als andere es könnten.
Altes und neues Publikum
Zweifellos ist es richtig, dass auch klassische Musik ein Stamm- und ein wechselndes Publikum hat und auch
neue Hörer und neue Käufer gewinnen muss. Dieser Satz tendiert allerdings auch zur Binsenweisheit,
weil das selbstverständlich für Musik jeden Repertoires gehört. Und hier stoßen wir auf
eine viel größere Frage: Wie interessieren wir mehr Menschen für klassische Musik,
auch junge Menschen?
An dieser Stelle gibt es nun freilich keine Patentrezepte, schon gar keine, die die Musikwirtschaft alleine
oder auch nur hauptsächlich beantworten kann. Hier sind wir im großen Konzert der Eltern, Pädagogen,
Radio- und Fernsehmacher und der Musikwirtschaft, die sich bemühen muss, möglichst vielen Menschen
den Wert von Musik, mit Hand gemacht zu vermitteln, besser noch: erfahrbar zu machen. Es ist etwas
wert, den Atem in der Posaune rauschen zu hören, den Bogen auf der Saite streichen zu fühlen.
Die Begeisterung für Musik ist sehr vielen Menschen eigen, fast gleich welchen Alters. Deswegen ist die
Frage nach neuen Hörern zwar auch, aber keinesfalls nur eine nach den Jugendlichen. Es ist schon erstaunlich,
dass dieselben 13-Jährigen, die vormittags gelangweilt den Musikunterricht überstehen, kaum dass sie
zu Hause sind, die Stereoanlage andrehen und sie erst abends nach dreimaliger Aufforderung der Eltern wieder
ausmachen wenn überhaupt. Allein Kinderrepertoire macht übrigens rund 5 Prozent
des Gesamtumsatzes aus das sind immerhin etwa zwölf Millionen Tonträger!
Daran anzuknüpfen ist unser aller Aufgabe. Ideen dafür gibt es eine ganze Menge, und nicht Weniges
ist schon begonnen worden. Ich weiß auch nicht, wie viele neue Hörer sich durch klassische Musik
in Clubs (neudeutsch lounges) gewinnen lassen den Versuch ist es allemal wert. Ich selber
(passionierter Amateurgeiger) erinnere mich noch heute (nach über 20 Jahren) gut an den Besuch eines Bläserquintetts
in unserer neunten Klasse, beim dem die Hornistin mit Hilfe eines Gartenschlauchs, eines Küchentrichters
und ihres Hornmundstücks demonstrierte, wie ein Horn funktioniert. Kampagnen und Aufklärung sind nötig,
das Erteilen der Musikstunden nach Stundentafel, aber auch das Vorbild anderer. Macht mehr Musik.
Familienkonzerte wie neulich das zum Thema Fußball in Bremen mit Marco Bode und dem 2. Satz
aus Berlioz Symphonie Fantastique (Un Bal) können Anstoß sein.
Krise? Lust auf Musik machen ist noch immer das Beste, in guten und in schlechten Zeiten.
Hartmut
Spiesecke
Hartmut Spiesecke ist Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverbandes der Phonographischen
Wirtschaft
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