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Verwundete Fingerzeige
Die Walküre in Nürnberg · Von Juan Martin Koch
Falls das rote Seil der einzige Geistesblitz bleiben sollte, der den Nürnberger Ring zusammenhält,
werden wir am Ende des Rheingolds, mit dem sich die Tetralogie verwunderlich genug
in der kommenden Spielzeit zu einem Ganzen runden soll, vermutlich den Faden endgültig verloren haben.
Heftig winkend, schleppt Stephen Lawless dieses Seil als interpretatorischen Zaunpfahl durch seine Walküren-Regie,
verschlingt es und das singende Personal zu bedeutungsschwangeren Knoten, die zu zerhauen er dann nicht in der
Lage ist.
Dabei hätte er sich durchaus auf andere Elemente seiner Konzeption verlassen können: Auf sein Gespür
für Zwischenmenschliches, wie es sich im ersten Akt zwischen einer Sieglinde und einem Siegmund andeutet,
die sich kurz vor dem psychischen und physischen Zusammenbruch in eine verzweifelte Geschwisterliebe stürzen;
auf die Rückkopplung des Coppolaschen Walkürenreitens (Apocalypse now!) mit der Wiedergeburt
amerikanischer Kriegshelden im Geiste der Terrorismus-Bekämpfung; oder auf das von Benoît Dugardyn
bühnenbildnerisch imposant aufgetürmte Machtzentrum Wotans, wo die Weltesche entwurzelt als Speer
in eine Endzeitlandschaft gebohrt ist, die Ground Zero und Aussichtsplattform zugleich ist. Durch die Ruinen
der Zeit sind Fernrohre gesteckt, Wotan Orientierung zu verschaffen. In Vergangenheit und Gegenwart den
Gebäuderesten wörtlich eingeschrieben gewähren sie noch Blicke, das Zukunftsrohr aber
versagt den Dienst. Die Mächtigen, so lautet vielleicht Lawless Botschaft, können nur noch reagieren,
während ihnen die eigentliche Kontrolle mehr und mehr aus den verwundeten Fingern gleitet.
Wie der rote Faden, so vermögen aber eben auch diese Fingerzeige aufs Tagesgeschehen nicht, das ganze
Gewicht des Dramas zu tragen, geschweige denn, dass sie Perspektiven für eine Verknüpfung mit dem
noch in dieser Spielzeit anstehenden Siegfried böten. Die Perspektiven für die vokale
Inkarnation des Titelhelden könnten indes nicht besser sein. Wenn Gerhard Siegel hier das Niveau seines
in Deklamation, Stimmkontrolle und kluger Kraftentfaltung elektrisierenden Siegmund erreicht, wird allein das
die Ring-Fortsetzungen zum Ereignis machen. Irène Theorins Sieglinde kann da bei aller Intensität
des Ausdrucks nur bedingt mithalten. Zu ungenau fokussiert sie Ton und Wort, als dass der darstellerische Funke
auch vokal überspränge. Der zweite Glanzpunkt dieser Produktion ist die Fricka Andrea Bakers, die
mit gestochener Textartikulation, in allen Lagen ausgeglichener Tonentfaltung und souveräner darstellerischer
Präsenz dem ehelichen Disput die angemessene Gewichtung zukommen lässt. Ron Peo hat es da nicht nur
als Gatte schwer, sich in seine Rolle zu fügen. Sein Stimmvolumen bleibt doch deutlich hinter dem für
einen Wotan erforderlichen zurück, mit Schärfe und Intensität der Charakterisierung steuert er
diesem Mangel freilich erfolgreich entgegen. Da ist Heinz-Klaus Eckers Bass für einen beängstigenden
Hunding passend schon aus anderem, allerdings auch gröberen Holz geschnitzt.
Nadine Secunde ist eine in den souverän attackierten Höhen bestechende Brünnhilde (Hojotoho!),
in der Mittellage dagegen, auf die es vielleicht noch stärker ankommt, verschwimmen die Stimmkonturen allmählich
und hinterlassen der spürbaren Hingabe an die Rolle zum Trotz einen weniger charakteristischen Eindruck.
Ihr zur Seite steht eine als Todesengel imposant ins Szene gesetzte Schar stimmgewaltiger Walküren. Größtmögliche
Unterstützung für das Sängerensemble leisten die Nürnberger Philharmoniker. GMD Philippe
Augin schlägt einen zwischen dramatisch dichter Klangfülle und transparenter instrumentaler Entfaltung
schlüssigen Mittelweg ein, der immer auch sinnfällig in die eine oder andere Richtung ausschlagen
kann. Kleine Unsicherheiten in der besuchten zweiten Vorstellung trübten den glänzenden Gesamteindruck
nicht. Eine weitere Perspektive also für eine erfolgreiche Fortsetzung des Nürnberger Ring-Vorhabens.
Juan
Martin Koch
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