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Editorial

Was haben im Zirkus der Feuerschlucker und die Gehaltsbuchhalterin gemein-
sam? Betriebspolitisch wenig; im ungünstigsten Fall betrachtet der Feuerschlucker die Buchhalterin eher als Handlangerin der Direktion denn als Kollegin. Berufspolitisch überhaupt nichts; wenn der Feuerschlucker beruflichen Rückhalt benötigt, dann sucht er ihn zunächst beim Gewerk der Artisten, dem die Buchhalterin gewiss nicht beitreten wird.

Branchen- und sozialpolitisch aber sind sehr wohl gemeinsame Interessen vorhan-
den: Beide könnten sich für ein zirkusfreundliches Kultur-Klima engagieren und für menschenwürdige Arbeitsbedingungen – auch im Zirkus. Und beiden könnte vermittelt werden, dass es, um diese Ziele zu erreichen, mehr bedarf als des persönlichen und berufsverbandlichen Engagements. Gefordert ist dann die Solidarität der Gewerke aller Lohnabhängigen.

Berufsverband und Gewerkschaft – dieser zweistufige Organisationsansatz so-
wohl in der Symbiose wie im Konflikt durchzieht die deutsche Gewerkschaftsgeschichte seit dem Vormärz des 19. Jahrhunderts, als die „Association der Zigarren-Arbeiter Deutschlands“ die organisatorische Zusammenarbeit mit dem aus dem „Allgemeinen Deutschen Buchdrucker-Verein“ hervorgegangenen „Gutenberg-Bund“ begann.

   

Stefan Meuschel

 

In den Kunst- und Medienberufen mit ihren ausgeprägten Arbeitsteilungen und –
auch intellektuellen – Spezialisierungen war und ist der berufsverbandliche Organisationsansatz besonders ausgeprägt. Und in kaum einer „Branche“ ist der berufsverbandliche Organisationsgrad so hoch, die Zahl der Berufsverbände so groß. Rund 220 Kulturverbände führt das Handbuch des Deutschen Kulturrates auf, von denen knapp die Hälfte jedenfalls die berufsverbandlichen, oft auch die „sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen“ ihrer Mitglieder vertritt. Rund neun Millionen Personen repräsentiert der Deutsche Kulturrat.

Unter den mit „Organisationsmüdigkeit“ begründeten Auszehrungserscheinun-
gen, wie sie bei manchen Großorganisationen zu verzeichnen sind, leiden die Berufsverbände noch am allerwenigsten. Zwar haben auch sie sich auf das veränderte Organisationsverhalten der jüngeren Generation einzustellen, die sich eher für konkrete Projekte als für dauerhaftes Engagement begeistern lässt, doch sind sie andererseits immer noch in der Lage, der Mitgliedschaft gegenüber bedarfsgerecht zu handeln. Sie sind klein genug, um in ihren Organisationsabläufen durchschaubar zu bleiben, und sie sind mit den jeweiligen Berufen vertraut genug, um individuell fachlich und rechtlich betreuen und informieren zu können.

Ihre Integration in die größeren Einheiten der deutschen Gewerkschaftsbewegung
darf daher unter keinen Umständen zur Folge haben, dass sie ihre berufsverbandliche Anziehungskraft verlieren und Einbußen an ihren den Mitgliedern geschuldeten Leistungen erleiden. Selbstständigkeit so weit als nötig, Einbindung und Kooperation so weit als dann noch möglich, kann da die Devise nur lauten. Ein Vorwurf mangelnder gewerkschaftlicher Solidarität ginge ins Leere, da weder Gewerkschaften noch ihre Organisationsstrukturen Selbstzweck sind, sondern sich tagtäglich und in der Praxis durch den Willen der Mitglieder legitimieren müssen. Solidarität ist keine Strukturfrage.

Vor solche Probleme sehen sich weder sehr große Berufsverbände wie der Deut-
sche Journalistenverband (DJV) gestellt, der zugleich selbstständige – und nicht dem DGB angehörende – Gewerkschaft ist, noch zum Beispiel der Berufsverband Bildender Künstler (BBK), der eigenständiger Berufsverband und nicht Gewerkschaft sein will. Wohl aber stellt sich die Frage für die VdO, die – obwohl auch selbstständige Berufsgewerkschaft wie der DJV – seit ihrer Gründung korporatives Mitglied in der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) war. Die DAG ist in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di aufgegangen, der Eingliederungsvertrag zwischen DAG und VdO wirkt bis Juli 2002 nach. Die Bundesdelegiertenversammlung hat Bundesvorstand und Geschäftsführung beauftragt, mit ver.di Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, eine den Interessen der Opernchor- und Tanzgruppenmitglieder dienliche Zusammenarbeit zu vereinbaren.

Ihr Stefan Meuschel

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