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Hausgötter mit Perücke
Die Münchener Oper im Barockfieber · Von Christian Kröber
Der Beginn eines neuen Jahres bietet seit alters her Gelegenheit, Ausschau und Rückblick zu halten, gute
Vorsätze zu beschließen und eine Weile an sie zu glauben. Was für jeden Einzelnen recht und
billig erscheint, gilt im kulturellen Diskurs als vornehme demokratische Pflicht: eine Leistungsschau als Jahresbilanz
gerät da oft zur übergreifenden Darstellung einer sich zur Epoche fügenden Jahreskette.
Für den Kulturbereich, speziell den oft geschmähten der so genannten Hochkulturform Oper, verbindet
sich der Begriff der Ära häufig mit Namen handelnder Personen, seien es Dirigenten, Regisseure oder
Intendanten. Aber auch mit Institutionen werden oftmals Konzepte verbunden; Bayreuth steht dafür wie kein
zweiter Ort in Deutschland. Die Bayerische Staatsoper München scheint der Tradition auf besondere Weise
verbunden. Als Uraufführungsort der bedeutendsten Werke Richard Wagners und Heimatstadt von Richard Strauss
galt die besondere Aufmerksamkeit neben diesen auch den Opern Wolfgang Amadeus Mozarts.
Bei der musikalischen Präsenz dieser Münchener Hausgötter verblasste so mancher Verdiglanz,
und auch das zeitgenössische Repertoire war manchmal nicht mehr als notgedrungenes Beiwerk. Mit der Ära
Jonas in der Spielzeit 1993/1994 beginnt die Zeit einer bis heute anhaltenden Barockrenaissance in München.
Schon im März des Jahres 1994 überrascht Sir Peter sein Publikum mit einer Aufsehen erregenden Neuproduktion
von Händels Giulio Cesare in Egitto. Das Team Ivor Bolton (Musikalische Leitung) und Richard
Jones (Inszenierung) serviert einen ganz und gar unprätentiösen Barockgenuss: Barock goes Pop ist
seit diesem Zeitpunkt das Münchener Motto. Während sich der musikalische Bereich puristisch dem Originalsound
verschrieben hat, ist die Regie vielfach geprägt vom fetzigen Feeling der englischen Postmoderne. Da wandern
Dinosaurier durchs grelle Märchenland, und dem Publikum gefällts!
Seit 1996 geht es dann Schlag auf Schlag: Serse, Ariodante, Rinaldo und jüngst die Doppelproduktion Händel/Purcell
mit Acis und Galatea/ Dido und Aeneas. Die künstlerische Versuchsanordnung ist immer wieder
erfolgreich. Mit englischem Import vor und hinter dem Orchestergraben entwickelt sich beim Münchener Publikum
ein Barockfieber von nie gekanntem Ausmaß. Daneben öffnet sich mit den Monteverdi-Produktionen Lincoronazione
di Poppea, Lorfeo und Ritorno dUlisse in Patria der musikalische Horizont
bis hin zu den Anfängen der Opernneuzeit.
Freilich gilt es immer wieder, die spezifischen Voraussetzungen dieser Erfolgsserie zu beleuchten, und diese
garantiert vor allem eine Künstlerin: die in Dublin geborene Ann Murray, die im Giulio Cesare, Serse, Ariodante
und Rinaldo die Bühne beherrscht. Die Abhängigkeit von einzelnen Protagonisten und das Perpetuieren
immer gleicher Regieänsätze führt allerdings seit einiger Zeit zu einer um sich greifenden Ermüdung.
Traurigstes Beispiel hierfür ist die jüngste Produktion von Händels Acis und Galatea
im Münchener Cuvilliestheater. Stefan Tilch, der sich als Regieassistent bereits erste Sporen verdient
hat, glaubt den erfolgversprechenden Mixedpickles seiner Vorgänger vertrauen zu können und verspielt
leider. Grell und bunt ist sein idyllisches Arkadien angehaucht, bevölkert von dicken Teletubbies und unförmigen
Gnomen. Ein Déjà-vu der unangenehmen Sorte, das Händels Meisterwerk auf Postkartenformat
reduziert. Auch der Klang aus dem Orchestergraben zeigt, dass die Idee des Originalklangs hier leider missverstanden
wurde als bloße Verkleinerung des Instrumentenapparates. Um so erfreulicher zeigt sich der erfrischende
Neuansatz Aron Stiehls bei Dido und Aeneas von Henry Purcell. Unterstützt von betörend
schönen Kulissen legt man hier wieder Wert auf Personenführung und Ausdeuten der jeweiligen Einzelschicksale,
heißt es das mythologische Schicksal Didos als Geschichte der leidenden Frau schlechthin zu erzählen.
So schließt sich der Kreis der Barockopern in München. Unter dem Motto Barock total
sind sie in diesen Wochen noch einmal komprimiert zu besichtigen. Ob die sehr zeitbezogenen Regieansätze
die Wechselstürme des Publikumsgeschmacks überdauern, wird die Zukunft weisen. Am Horizont zeigt sich
bereits wieder Altbekanntes. Mit Richard Wagners Rheingold beginnt dieser Tage ein neuer Ring, und im tief tönenden
Es-Dur der Streicher beginnt die neue Zeit.
Christian
Kröber
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