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Auf ein Wort mit...

... Tomas Kreibich-Nawka, Intendant des Sorbischen Nationalensembles

Im Gespräch mit Barbara Haack und Gerrit Wedel

Oper & Tanz: Ihre Biografie liest sich nicht unbedingt wie ein direkter Weg zur Intendanz des Sorbischen National-Ensembles. Wie sind Sie dorthin gekommen?

Tomas Kreibich-Nawka. Foto: by i design, Ivana und Martin Pizga

Tomas Kreibich-Nawka. Foto: by i design, Ivana und Martin Pizga

Tomas Kreibich-Nawka: Den klassischen Werdegang eines Intendanten gibt es ja eigentlich nicht. Die meisten Intendanten haben doch eher ungewöhnliche Biografien. Ich habe an der Technischen Universität in Dresden Philosophie und Musikwissenschaft studiert. Es war aber schon immer mein Wunsch, als Musiker aktiv zu sein. Ich komme aus dem Jazz und habe mich vor allem zwischen Elektronik und Jazz bewegt. Nach dem Studium habe ich mich in die freischaffende Tätigkeit als Musiker gestürzt und das knapp 20 Jahre lang gemacht. In dieser Zeit habe ich unter anderem zehn Jahre lang an der Palucca-Hochschule für Tanz als Korrepetitor gearbeitet.

O&T: Dann ging es in die Lausitz?

Kreibich-Nawka: Ich bin gebürtiger Lausitzer. Meine Frau stammt auch aus der Lausitz – sie ist Sorbin. Wir haben uns 2019 entschlossen, wieder hierher zurückzukehren. Ein wichtiger Grund war für uns, dass die Kinder sorbisch als Muttersprache erlernen. Also habe ich mich umgeschaut, wo ich in der Region tätig werden kann. Da das Ensemble eine der wenigen Institutionen hier in der Bautzener Region war, in der ich als Kulturschaffender unterkommen konnte, habe ich dort eine Initiativbewerbung eingereicht. Die damalige Intendantin Judith Kubitz bot mir an, in die Dramaturgie zu gehen. Es hat dann nicht sehr lange gedauert, bis ich erst ihr Assistent, dann ihr Stellvertreter wurde. Nachdem sie im Februar 2021 bekannt gegeben hatte, dass sie das Haus zum Ende der Spielzeit verlassen würde, bin ich zunächst interimsweise durch die Stiftung für das sorbische Volk als ihr Nachfolger eingesetzt worden. Seit der Spielzeit 2021/2022 wurde ich dann in dieses Amt berufen.

O&T: Die Aufgaben, die auf Sie als Intendant zukamen, haben Sie dann durch das Reinwachsen, durchs „learning by doing“ bewältigt?

Kreibich-Nawka: Ja, ich konnte schon immer sehr gut so arbeiten: Werft mich ins Wasser, das Schwimmen lerne ich dann. Das ist auch jetzt noch so. Man kann das Metier nicht wirklich studieren, man kann es nur durch das alltägliche Tun erlernen. Wenn man die Grundvoraussetzungen, die man in meinen Augen für diesen Beruf braucht, mitbringt, hat man auch gute Chancen zu schwimmen.

O&T: Ihre Frau ist Sorbin. Sprechen Sie auch sorbisch?

Kreibich-Nawka: Ich verstehe sehr viel, aber das Sprechen fällt noch schwer.

O&T: Für den Intendanten des Sorbischen Nationalensembles ist es also keine Voraussetzung, fließend sorbisch zu sprechen?
Kreibich-Nawka: Nein – aber es wäre natürlich wünschenswert. Alle sorbischen Institutionen haben das Problem, ihre offenen Stellen mit Muttersprachlern zu besetzen. Wichtiger ist sicher das grundlegende Interesse am sorbischen Stoff, an sorbischen Themen – durch meine Herkunft bin ich da sehr früh hineingekommen, bin jedoch auch ein sehr offener Mensch, den das grundsätzlich interessiert.

O&T: Das Sorbische Nationalensemble hat eine ganz besondere Struktur, anders als andere Theaterbetriebe in Deutschland. Wie genau sieht die aus?

Kreibich-Nawka: Vor knapp 30 Jahren, kurz nach der Wende, ist die Stiftung für das Sorbische Volk ins Leben gerufen worden. Diese speist sich aus Mitteln der Länder Brandenburg und Sachsen und des Bundes. Sie ist geschaffen worden, um die Institutionen der Sorben und Wenden finanziell zu unterstützen und zu tragen beziehungsweise den Erhalt der sorbischen Kulturinstitutionen zu gewährleisten und vor allem den Erhalt der sorbischen Sprache – die sorbische Identität – zu fördern und zu fordern. Dazu gehört neben vielen anderen Einrichtungen auch das Sorbische Nationalensemble. Der jährliche Etat, den wir von der Stiftung erhalten, changiert immer ein bisschen, momentan liegen wir bei zirka 5,2 Millionen Euro.

O&T: Wie ist die Beziehung zum Deutsch-Sorbischen Volkstheater, das auch in Bautzen sitzt?

Kreibich-Nawka: Wir arbeiten zusammen, wo es möglich ist, wo die Spielpläne es hergeben, haben Gemeinschaftsproduktionen und pflegen in diversen Bereichen Kooperationen.

O&T: Es gab zwischendurch mal eine sehr strikte Trennung, dann wieder Annäherung. Sie verfolgen offenbar die Kooperation intensiv weiter?

Kreibich-Nawka: Ja, wir verfolgen das weiter. Manche Mitarbeiter befürchten, dass man, je mehr man kooperiert, desto mehr die Steilvorlage gibt für eine Fusion. Das wäre dem eigentlichen Sinn des Ensembles jedoch abträglich. Schon mit der politischen Wende 1989 kamen die ersten Gedanken im Hinblick auf eine Fusion auf. Vor knapp einem Jahr hatten wir dann die Diskussion, ob man das Orchester des Theaters Görlitz mit unserem vereinigen sollte. Natürlich ist es innerhalb des Kulturraumes ein Luxus, dass eine kleine Stadt wie Bautzen zwei größere Kultureinrichtungen beherbergt. Das sollte uns allen bewusst sein, denn es ist nicht selbstverständlich.

Wedel: Die Idee zur Fusion der Orchester kam aus dem Landkreis, von einem inzwischen ausgeschiedenen Landkreisabgeordneten. Diese Diskussion gab es immer wieder. Aber gerade die unterschiedlichen Strukturen innerhalb des Kulturraums haben immer die Unabhängigkeit der Standorte gerechtfertigt. Das Sorbische Nationalensemble hat ja auch die Aufgabe, in die ganze Region auszustrahlen.

O&T: Wie würden Sie das Standing des Ensembles derzeit einschätzen? In der Vergangenheit war es ja nicht immer leicht. Es gab Einsparungen, Personalkürzungen… Wie sieht es im Moment aus?

Moderne Form der Vermittlung sorbischer Kultur: „Wir waren – wir sind – wir werden sein“. Foto: by i design, Ivana und Martin Pizga

Moderne Form der Vermittlung sorbischer Kultur: „Wir waren – wir sind – wir werden sein“. Foto: by i design, Ivana und Martin Pizga

Kreibich-Nawka: Ich hatte ein Schlüsselerlebnis, als ich 2019 als Dramaturg hier angefangen habe. Da habe ich im Kreis der Bekannten gefragt, wie sie das Sorbische Nationalensemble wahrnehmen. Ich habe von den wenigsten eine klare Antwort bekommen. Das war für mich ein Signal: Irgendetwas stimmt hier nicht. Das Haus hatte in den letzten Jahrzehnten im eigenen Volk offensichtlich einen Imageverlust erlitten.

O&T: Wie erklären Sie diesen Imageverlust?

Kreibich-Nawka: Ein Grund ist sicher, dass wir kaum noch Muttersprachler am Haus haben. Früher war das anders. Da war es der Nachbar, der beim Sorbischen National-Ensemble arbeitete. Es war von Anfang an mein Bestreben, das Image wiederherzustellen. Schließlich ist das auch ausschlaggebend bei der Frage, ob man dieses Haus weiterbetreibt oder nicht. Wenn es aus dem eigenen Volk keinen Rückhalt mehr dafür gibt, gibt es auch keinen Grund für eine Weiterführung.

O&T: Wie gehen Sie das an?

Kreibich-Nawka: Durch eine Reihe von kleinen Schritten haben wir schon Vieles geschafft. Wir haben die Hand ausgestreckt, haben in dieser Spielzeit sehr viel mit anderen sorbischen Kulturschaffenden zusammengearbeitet. Ziel ist es, dass die Sorben demnächst wieder sagen: Klasse, dass es dieses Haus gibt. Viele Puzzlesteine tragen dazu bei.

O&T: Das Ensemble spielt nicht nur für Sorben, sondern auch für andere Menschen?

Kreibich-Nawka: Wir könnten gar nicht überleben, wenn wir nur für das sorbische Volk spielen würden. Wir sind schon immer ein Gastspieltheaterbetrieb gewesen, machen das weiter sehr rege und sind davon auch wirtschaftlich abhängig.

Wir haben derzeit eine sehr eklatante Wirtschaftssituation. Für uns fängt Corona gerade erst richtig an, weil jetzt erst die Folgeschäden spürbar werden. Beim Publikum zeigt sich, dass der Rücklauf nicht so ist, wie wir ihn erwartet haben. Im Gastspielbetrieb haben wir in diesem Jahr einen Ausfall von etwa 125.000 Euro zu verzeichnen. Wir werden es nicht schaffen, das sofort zu kompensieren. Unter den sorbischen Institutionen sind wir diejenige, die die größte finanzielle Zuwendung der Stiftung erhält. Unsere Rezipienten erwarten natürlich, dass dann auch etwas „Beflügelndes“ herauskommt, aber es kann nur etwas herauskommen, wenn wir über die nötigen Ressourcen verfügen – momentan sieht es leider nicht so aus, dass wir zukünftig besser ausgestattet sein werden. Da wird es sicher noch einige Gespräche oder ein prinzipielles Hinterfragen und Umdenken geben müssen.

O&T: Das heißt, dass eine Aufstockung von Chor oder Ballett kein Thema ist?

Größere Sichtbarkeit nach außen: Der Glasbau erzeugt Transparenz. Foto: by i design, Ivana und Martin Pizga

Größere Sichtbarkeit nach außen: Der Glasbau erzeugt Transparenz. Foto: by i design, Ivana und Martin Pizga

Kreibich-Nawka: Das ist im Moment überhaupt kein Thema. Wir können aber immerhin einen Erfolg verbuchen. Als ich hier anfing, war klar, dass wir bezüglich der verfügbaren Stellen nicht aufgestockt werden. Wenn wir aber sorbische Folklore präsentieren wollen, sind wir auf eine gewisse Stärke im Ballett angewiesen. Vor allem brauchen wir immer Paare in der Folklore. Wenn Sie 15 Tänzer haben, „nützt“ der 15. Tänzer zumeist wenig. Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als im Stellenplan zu schieben. Ich habe auf eine eigene Assistenz verzichtet und wir konnten durch interne Umstrukturierungen schlussendlich zwei neue Stellen im Ballett schaffen. Im Moment sind wir bei sieben Tanzpaaren, dazu kommen Eleven.

Wedel: Durch Einsparungen ist das Haus inzwischen an einer absoluten personalen Minimal-grenze, um das zu leisten, was sein Auftrag ist. Im Chor würde mit weniger Sänger*innen gar kein Klang mehr entstehen. Wir stehen auch als Gewerkschaft dafür ein, dass hier auf keinen Fall weiter gekürzt wird.

O&T: Der Auftrag des Ensembles ist es, die sorbische Kultur zu vermitteln, auch zu entwickeln. Was genau kommt bei Ihnen auf die Bühne?

Kreibich-Nawka: Das sorbische Volk hat eine sehr ausgeprägte Mythen- und Sagenwelt, die immer wieder bei uns Thema ist. Der sehr bekannte Krabat ist nur eine Figur von vielen, wobei diese Figur eigentlich nicht sorbischen Ursprungs ist. Trotzdem ist sie insbesondere durch Jurij Bre˘zans Auseinandersetzung im Sorbischen angekommen. Zudem befassen wir uns intensiv mit den Bräuchen, die hier zu jeder Jahreszeit gepflegt werden und noch viel stärker im Alltag verhaftet sind als im Rest Deutschlands. Wir versuchen, diese stilisiert auf die Bühne zu bringen.
Wir befassen uns mit diesen Mythen und Bräuchen, aber auch mit gesellschaftsrelevanten Themen, die unser Leben hier betreffen. Da wir ja auch ein Gastspielbetrieb sind, ist es unsere Herausforderung, Themen so zu bearbeiten, dass auch der Zuschauer in Köln, der von den Sorben womöglich noch nie etwas gehört hat, etwas mitnehmen kann. Wir müssen also so produzieren, dass wir das auch exportieren können. Das ist eine große Besonderheit und die Herausforderung: einerseits die Ansprüche zu erfüllen, die man hier in der Region an uns stellt, andererseits Programme so zu gestalten, dass wir damit ohne Probleme rausgehen können und auch die Deutschen verstehen, was gemeint ist.

O&T: Spielen Sie in Köln auch in sorbischer Sprache?

Kreibich-Nawka: Nein – wir vermitteln im überregionalen Bereich sorbische Inhalte zumeist über Tanz und Musik. Zudem gestaltet unsere Moderatorin ihre Beiträge zweisprachig. Für den regionalen Bereich erlernen unsere Sängerinnen und Sänger die Stücke mitunter dreisprachig: niedersorbisch, obersorbisch und deutsch, teils auch in Mischfassungen. Im niedersorbischen Bereich der Lausitz finden Sie unter den Kindern kaum noch Muttersprachler. Diese Sprache ist tatsächlich vom Aussterben bedroht. Wir könnten nie eine ganze Vorstellung auf niedersorbisch darbieten. Andererseits ist es uns ein Bedürfnis, an der Revitalisierung der Sprache mitzuwirken. Also bieten wir Mischformen an. Es ist für die Sängerinnen und Sänger eine enorme Herausforderung, zumal die meisten keine Muttersprachler sind. Manchmal müssen sie von einem Tag auf den anderen umschalten.

O&T: Das Ensemble versucht, die sorbische Kultur auch auf eine moderne Art und Weise zu vermitteln. Ein Beispiel ist die aktuelle Tanztheaterproduktion „Wir waren – wir sind – wir werden sein“. Verfolgen Sie diese Idee weiter?

Kreibich-Nawka: Diese Produktion geht noch zurück auf das Wirken von Judith Kubitz; den ersten Impuls setzten unsere Ballettmeisterin Mia Facchinelli und meine Geschäftspartnerin Diana Wagner bereits 2016. Ich freue mich sehr darüber, dass sie so intensiv geworden ist. Das ist sicher die Richtung, in die wir weitergehen sollten. Wir sollten das Traditionsgut der Sorben nicht nur verwalten. Wir müssen es auch weiter-
entwickeln und transformieren.

Die Gastspielbesucher freuen sich, wenn sie etwas zwischen Moderne und Tradition sehen. Hier in der Region wird das allerdings durchaus skeptisch betrachtet. Es gibt viele unter unseren Zuschauern, die immer noch ein Ensemble im Kopf haben, das es schon längst nicht mehr gibt. Aber es wird auch dort einen Generationswechsel geben; dann ist das vermutlich kein Thema mehr.

O&T: Sie verfügen über ein beachtliches Archiv. Da kann man sicher stöbern und Dinge finden, die man beim Bestreben nach Transformation verwenden kann. Mit Andreas Hentzschel, der früher im Chor gesungen hat, verfügen Sie über einen Dramaturgen, der sich um die Weiterentwicklung des Dudelsacks und auch um das Archiv kümmert.

Kreibich-Nawka: Die Schaffung dieser Stelle ist ein klares Bekenntnis unsererseits zur sorbischen Volkskultur! Der sorbische Dudelsack ist ein Volksinstrument. Vermutlich lässt sich die Anzahl der angestellten Dudelsackspieler weltweit an zehn Fingern abzählen, und ich bin sehr stolz darauf, einen äußerst versierten Kenner des Instruments an unserem Haus zu wissen. Wenn hier in den letzten Jahren etwas gelitten hat, dann ist es die Pflege des folkloristischen Musikschaffens. Das kommt jetzt wieder in Fahrt. Allerdings gibt es Befindlichkeiten. Oft fehlt es an dem dringend benötigten Willen, neue Wege zu gehen.

Ich bin ein Typ, der sehr selten die Keule schwingt. Ich versuche mit den Ressourcen zu arbeiten, die da sind und hoffe, dass die Menschen das annehmen und dadurch eine Öffnung entsteht. Natürlich könnte ich in meiner Position Prozesse erzwingen – Ideen und letztlich Kunst entstehen jedoch aus dem ursprünglichen Gefühl der Freiheit heraus. Zwang ist in meinen Augen fehl am Platz. Ich versuche den dem Begriff Ensemble innewohnenden Gedanken des „Wir“ zu fördern. In meinen Augen reicht es nicht, von unten nach oben zu schauen, die Verantwortung an der Pforte abzugeben, und auf (Er)Lösungen zu warten. Allen Mitarbeitern sollte bewusst sein, dass das Schicksal unserer Einrichtung auch in deren Händen liegt – dass auch sie eine Verantwortung tragen und zum Gelingen des gesamten Projektes erheblich beitragen. Ohne ein gelebtes „Wir“ verlaufen Visionen im Leeren und künstlerische Arbeit als Prozess einer Auseinandersetzung findet nicht mehr statt.

O&T: Noch einmal zurück zur sorbischen Kultur: Eine sehr lange Tradition ist die Vogelhochzeit, ein sorbischer Brauch, der auch auf Ihrer Bühne stattfindet.

Kreibich-Nawka: Es gibt am 25. Januar den sorbischen Brauch der Vogelhochzeit – Rabe und Elster heiraten. Seit über 65 Jahren – das hat kurz nach der Gründung des Hauses angefangen – haben wir hier am Haus jedes Jahr jeweils für Kinder und für Erwachsene eine Produktion zu diesem Thema.

O&T: Das ist tatsächlich jedes Jahr eine neue Produktion?

Kreibich-Nawka: Ja. Wir haben noch nie eine Vogelhochzeit wiederholt. Es gibt jedes Jahr zwei neue Libretti – für das Kinderprogramm und das Programm für Erwachsene. Das Thema jedoch ist immer das gleiche: eine auf welchen Umwegen auch immer zustandegekommene Hochzeit.

O&T: Ein wichtiger Baustein Ihres Hauses ist die umfangreiche Nachwuchsarbeit. Ist das etwas, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Kreibich-Nawka: Nachwuchsförderung schreiben wir ganz groß. Wenn wir die Vision haben, dass wir zukünftig wieder mehr Muttersprachler gewinnen können, ist die Nachwuchsarbeit ein ganz wichtiges Thema. Wir sind in diesem Bereich sehr aktiv. Es gibt die LAB-Formate, die wir neu eingeführt haben, und wir arbeiten mit den sorbischen Kulturvereinen sehr intensiv Hand in Hand. Ein Schwerpunkt der Nachwuchsarbeit liegt im Bereich Tanz. Unser Nachwuchsstudio hat eine große Kindertanzgruppe. Wir fahren durch die Lausitz, durch die Dörfer, geben dort Tanzunterricht und legen die Basis für den Übergang in die größeren sorbischen Laiengruppen.

Als das Haus 1952 gegründet wurde, sind die Verantwortlichen über die sorbischen Dörfer gefahren und haben Ausschau gehalten. Wer in ihren Augen etwas konnte, den haben sie sich für das Ensemble herangezogen. Ab den 1970er-Jahren wollte man dann nur noch Leute, die studiert haben. Dort ist der Cut passiert, dort hat sich in meinen Augen auch der Bruch des „Ansambls“ mit dem sorbischen Volk vollzogen. Deshalb ist es sehr schwer geworden, Nachwuchs unter den Sorben zu finden – wie hoch ist die Chance, dass aus diesem kleinen Volk heraus jemand in einem künstlerischen Bereich studiert und dann auch noch zurück in die Lausitz möchte? Das wäre ein Sechser im Lotto!

O&T: Trotz aller Probleme haben Sie in diesem Jahr einen Neubau einweihen können. Ein Gebäudeteil wurde saniert und erweitert. Wie haben Sie das geschafft?

Kreibich-Nawka: Nicht wir haben es geschafft. In erster Linie zeichnen hier unser Träger und sehr viele Helfer im Hintergrund verantwortlich, und wir sind dafür natürlich sehr dankbar – insbesondere für das damit einhergehende Bekenntnis zu dieser Institution. Die Bewilligung für das Bauvorhaben war schon vor Corona abgeschlossen. Wir sitzen an diesem Ort von Anfang an, seit 1952. Schon damals war es – möchte man den Zeitzeugen Glauben schenken – ein reines Provisorium. Man hat immer viel umgebaut, aber mit diesen Umbauten konnte man nie eine vollwertige Proben- und Aufführungsumgebung schaffen. Deshalb war es nötig, dass man erneut umrüstet. Jetzt haben wir attraktive neue Probenräume, und auch der Saal des Hauses ist optimiert worden. Wir sind nun nach außen hin sichtbar. Der Glasbau ermöglicht es den Bautzenern und Besuchern der Stadt, den Akteuren beim Proben zuschauen, sofern diese das möchten. Viele in der Stadt bekommen dadurch erst jetzt mit, dass es uns gibt.

Wedel: Es gab in Bautzen über viele Jahre Diskussionen über einen Eintritt in den Deutschen Bühnenverein. Die Entscheidung wurde dann vor etwa zwei Jahren endlich getroffen. Das ist sicher ein richtiger Schritt zur Festigung der Strukturen. Aber es ist sicher auch eine Herausforderung für die Struktur eines Hauses mit diesen vielen Aufgaben. Wie weit ist ein arbeitsrechtliches System wie der NV Bühne geeignet, diesen Herausforderungen gerecht zu werden?

Kreibich-Nawka: Grundsätzlich wird das, was bei uns am Haus stattfindet, vom NV Bühne gedeckt. Es gibt bei uns am Haus für das Orchester einen Haustarifvertrag, eine Zusatzvereinbarung zum bestehenden TVK, wo geklärt ist: Was passiert, wenn der Musiker Kammermusik spielt, wenn er Schulkonzerte spielt, wenn er solistische Einsätze hat und so weiter. Das fehlt beim Chor! Unsere Sängerinnen und Sänger sind ganz oft auch Schauspieler, Tänzer et cetera. Das ist durch den NV Bühne nur zum Teil abgedeckt. Deshalb wäre es nötig, dass wir hier genau so eine Vereinbarung treffen wie mit dem Orchester. Es würde uns auch Arbeit ersparen und unnötige Diskussionen vermeiden.

Wir sind personell auch in der Verwaltung an der absoluten Untergrenze und sollten Prozesse unbedingt optimieren. Zudem differenzieren die bestehenden Vertragstypen kaum (abgesehen von der Vergütung) zwischen den Möglichkeiten eines A-Hauses und denen eines D-Hauses. Hier gibt es in meinen Augen einen extremen Nachholbedarf. Ein Haus mit unserem besonderen Profil fällt zudem zusätzlich oft aus dem Raster. Dafür wird es auch vermutlich in Zukunft keine tarifrechtliche Lösung geben, und wir müssen es einfach austarieren.

O&T: Wie sieht es aus mit weiteren Kooperationen im Kulturraum, zum Beispiel mit dem Theater Görlitz?

Kreibich-Nawka: Das Sorbische Nationalensemble sollte immer sorbische Inhalte an Bord haben. Das ist bei Kooperationen zu berücksichtigen. Wir haben erst einmal hier in Bautzen unsere Fühler ausgestreckt und haben regional einige Player, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten – mit Görlitz momentan noch nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass beide Seiten vorsichtig sind nach dem, was hier vor etwa einem Jahr zum Thema Fusion geäußert wurde.

Schön wäre natürlich trotzdem, wenn wir mit den Görlitzern gemeinsam etwas auf die Beine stellen könnten. Unser Archiv beherbergt wirklich einen großen Schatz. Wir können aber aufgrund unserer Orchestergröße nur noch etwa 20 Prozent dieses Materials verwerten. Bei einer Kooperation mit Görlitz hätte man ein Orchester, das es ermöglichen würde, sorbische Komponisten im Original zu hören.

O&T: Sie spielen auch den „Sommernachtstraum“. Was hat das mit sorbischer Kultur zu tun?

Kreibich-Nawka: Das fragen Sie ganz richtig: nichts. Wir dürfen durchaus Ausflüge machen. Und unsere Künstler brauchen die Seitensprünge auch. Wir machen zum Beispiel auch Konzerte mit Deutschlands bekanntester Queen-Coverband. Da ist nichts Sorbisches drin. Als Kulturbotschafter der Sorben richten sich unsere Programme jedoch nicht nur an das sorbische Volk. Im Gegenteil: Insbesondere durch unsere überregionale Präsenz machen wir das Publikum auf diese Minderheit aufmerksam, und mancher forscht nach und besucht eines Tages die Lausitz.

Wedel: Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Stiftungsvorsitzenden?

Kreibich-Nawka: In meinen Augen normal und menschlich. Ich versuche mit allen Seiten zu kommunizieren. Das Ergebnis ist meist eine gewissenhafte Abwägung. Genauso wie ich versuche, mit Chor, Orchester und Ballett auf Augenhöhe zu kommunizieren und zufriedenstellende Lösungen zu finden, handhabt das auch unser Träger mit uns. Das ist eine sehr gute Ausgangsbasis. Hierarchien werden hier nicht spürbar ausgefahren oder gar benutzt. Letztlich ist vieles eine Frage des Vermittelns oder Netzwerkens. Als mittlerer von drei Brüdern habe ich mich sehr früh in dem Sujet der Vermittlung bewegt – was manche als Schwäche betrachten, empfinde ich als Gabe.

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