Hintergrund
Das Ende einer Ära
Daniel Barenboim tritt als GMD der Staatsoper Unter den Linden ab
30 Jahre lang (seit 1992) leitete der 1942 geborene argentinisch-israelische Pianist und Dirigent Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor die Berliner Staatsoper und verhalf ihr zu internationaler Bedeutung. Im Herbst 2000 wurde er vom Orchester der Staatskapelle Berlin zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt. Seit Längerem war der Dirigent schwer erkrankt. Bereits mehrfach hatte Barenboim Auftritte aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen, zuletzt die zu seinem 80. Geburtstag geplante Neuproduktion von Wagners „Ring“ an der Staatsoper. Sein vorerst letzter Auftritt fand am Jahreswechsel statt, bei dem er in der Staatsoper die neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven dirigierte und in der Berliner Philharmonie Schumann und Brahms.
Daniel Barenboim in der Staatsoper. Foto: Christian Mang
Er beglaubigte mit diesem Kraftakt den Satz des von ihm zitierten Philosophen Antonio Gramsci, der gesagt habe, man müsse mit der Intelligenz pessimistisch sein, aber mit dem Willen optimistisch.
Schon Anfang Oktober hatte Barenboim angekündigt, er müsse sich so weit wie möglich auf sein körperliches Wohlbefinden konzentrieren, da eine schwere „neurologische Erkrankung“ bei ihm diagnostiziert worden sei. Einem chirurgischen Eingriff an der Wirbelsäule hatte er sich bereits unterzogen. Am 6. Januar 2023 dann die Mitteilung: „Leider hat sich mein Gesundheitszustand im letzten Jahr deutlich verschlechtert. Ich kann die Leistung nicht mehr erbringen, die zu Recht von einem Generalmusikdirektor verlangt wird. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich zum 31. Januar 2023 diese Tätigkeit aufgebe.“ Kultursenator Lederer nannte Barenboim daraufhin in einer Mitteilung „eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten, die in Berlin wirken“. Betroffen, aber verständnisvoll, bekannte er: „Dies alles verdient größten Respekt.“
Barenboims künstlerische Verdienste sind beträchtlich, wenn auch nicht unumstritten. Neben seinen musikalischen Aktivitäten zeichnet er sich auch durch humanitäres und politisches Engagement aus. Sein Eintreten für die Verständigung von Menschen, insbesondere im Nahen Osten, und für die Chance aller, in den Genuss von Musik zu kommen, ist seit Jahrzehnten ungebrochen. Er war einer der Begründer des West-Eastern Divan Orchestra und der in Berlin ins Leben gerufenen Akademie für Nachwuchsmusiker*innen aus dem Nahen Osten, der Barenboim-Said-Akademie.
Schon im Jahr 1990 dirigierte Barenboim die Berliner Philharmoniker bei ihrer erstmaligen Israel-Tournee, was heftige Kritik von Publikum, Kunst- und Kulturschaffenden sowie Politikern nach sich zog, weil auch Richard Wagner auf dem Programm stand. Doch Barenboim war stets furchtlos, mutig und ein unbequemer Streiter.
Seine Plattenproduktionen sind so unüberschaubar wie seine weltweiten Auftritte. Institutionen wie das Orchestre de Paris, das Chicago Symphony Orchestra und die Mailänder Scala markieren nur einige Stationen und Führungspositionen Daniel Barenboims. Bei den Salzburger Festspielen ist Barenboim ein ebenso gern gesehener Gast wie bei den Berliner und den Wiener Philharmonikern. Bei den Bayreuther Festspielen dirigierte er über Jahre regelmäßig. Und doch: Seine humanitären Verdienste sind vielleicht noch größer als seine musikalischen. Dafür wurden ihm zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen zuteil.
Sein Credo hat Barenboim oft bekannt: „Um Musik zu machen, muss man zuhören. Musik ist die beste Schule für menschliche Beziehungen.“ Nicht zuletzt in Berlin hat er das immer wieder bewiesen. Barenboim selbst erklärte, er werde der Berliner Staatsoper – auch wenn er nun seine Verantwortung für die musikalischen Belange des Hauses abgegeben habe – weiterhin als Dirigent zur Verfügung stehen.
Doch es wird sich manches ändern im Berliner Musikleben, nicht nur an der Berliner Staatsoper, wo er mit energischer Hand den Spielplan gestaltete und mehrere Intendanten erlebte. Er hat mitgemischt in Berlins Musik- und Kulturleben. Eine Ära geht zu Ende.
Dieter David Scholz |