|
Berichte
Herausragende Stimmen
„Das Märchen vom Zaren Saltan“ an der Staatsoper Hannover
Nikolai Rimski-Korsakow, der eigenwilligste Komponist aus dem „Mächtigen Häuflein“, hat das 1831 von Alexander Puschkin neugedichtete, altüberlieferte „Märchen vom Zaren Saltan, von seinem Sohn, dem ruhmreichen und mächtigen Recken Fürst Gwidon Saltanowitsch, und von der wunderschönen Schwanenprinzessin“ vertont. Im Jahre 1900 wurde die Oper uraufgeführt. Das Märchen ist eine der bekanntesten Geschichten der russischen Literatur, Puschkin befasste sich intensiv mit alten Märchen und russischer Folklore: „Lest die einfachen Volksmärchen (...), damit ihr die Eigenschaften der russischen Sprache versteht“, rief er den jungen Schriftstellerkollegen zu.
José Simerilla Romero als Zarensohn Gwidon und der Chor der Staatsoper Hannover. Foto: Sandra Then
Auf das Zuhören legt die gefeierte Regisseurin Eva-Maria Höckmayr in ihrer Inszenierung denn auch den Fokus. Ein Tonband läuft nahezu die ganze Vorstellung über, immer wieder hört man auf russisch Puschkin-Rezitationen. Doch wer im Publikum versteht russisch? Menschen, Leute gruppieren sich darum, ein Happening oder eine Art Gruppen-Psychotherapiesitzung nach dem Motto: Wir hören jetzt mal gut zu und spielen dann Oper. Es sind vor allem Menschen von heute in Alltagskleidung. Nur wenige, wie etwa die bösen Schwestern, tragen rote Kostüme. Zwischendurch müssen auch die Männer mal Fummel tragen und einen Reigen tanzen, der etwas von Eurythmie hat. Sie wolle klischierte Rollenbilder aufbrechen, erklärt die Regisseurin. Schön und gut, nur versteht und sieht man von der phantastischen Märchenhandlung nichts. Austauschbare Menschen von heute (Kostüme: Andy Besuch), barmend, menschelnd, arrangiert, besagen wenig und langweilen. Reihenweise ist das Publikum bei der Premiere eingeschlafen.
Wie Dramaturg Andri Hardmeier im Programmheft schreibt: „Trotz aller Wunder und allem Fantastischen, das in dieser Oper liegt, ist sie mehr als nur eine Märchenvertonung. Sie wirft einen entlarvenden Blick auf die Bösartigkeit der Menschen, karikiert die zaristische Diktatur und wird zur Parodie der Gesellschaft. Vor allem aber kann man sie als eine Art Gleichnis auf die Kraft der Imagination verstehen. In ihr zeigt sich die Metamorphose einer Gesellschaft, die sich aus eigener Kraft als wandlungsfähig erweist, die es wagt, an Wunder zu glauben und in kollektiv gelebter Utopie ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.“ Leider vermittelt sich dies nicht in der verrätselten, symbolschwangeren, dazu in beliebigem hier und heute angesiedelten Ambiente ohne Atmosphäre und irgendwelche historische Konkretheit. Qualm ist das einzige, was die öde und dröge Inszenierung belebt. Die wenigen Symbole, etwa ein gigantischer Zopf, der vom Bühnenhimmel herabhängt, weiße kastenartige Konstrukte verschiedener Größe oder Schwanenfedern haben wenig Aussagekraft. Ebenso wenig sagen die Videos (Krzysztof Honowski) von Unterwasserfrauen aus. Nein, diese Inszenierung ist – mit Verlaub gesagt – eine Zumutung.
Musikalisch hingegen ist die Aufführung beglückend. Spätromantik und russische Folklore gehen in der Komposition Rimski-Korsakows eine faszinierende Synthese ein. Sein Farbenreichtum und seine Instrumentierungskunst sind betörend. James Henry am Pult des sehr gut disponierten Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover hat Rimski-Korsakow alle Ehre erwiesen und die Oper mit berauschendem Klangsinn dirigiert. Auch der Chor der Staatsoper Hannover und die Gesangssolisten überzeugen ausnahmslos. Herausragende Stimmen haben Pavel Chervinsky als Zar Saltan, Barno Ismatullaeva als Zarin Militrissa, José Simerilla Romero als Zarensohn Gwidon, Monika Walerowicz als Babaricha und Sarah Brady als Schwanenprinzessin.
Dieter David Scholz |