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Berichte
Inszeniertes Oratorium
Felix Mendelssohn Bartholdys „Elias“ am Staatstheater Oldenburg
Der alttestamentarische Prophet Elias zerbricht daran, was er für seinen Auftrag hält: die Israeliten zu dem einzigen Gott Jahwe zurückzubringen. Durch die Heirat des Königs Ahab mit Isebel ist dieses Volk zum Baal-Kult übergetreten; wir sind im 9. Jahrhundert vor Christus. Elias scheitert mit seinen leidenschaftlichen, auch bösen Bekehrungsversuchen, zum Beispiel der Tötung der Baalspriester, und endet als einsamer und verzweifelter Mann.
Kihun Yoon als Elias, Mark Serdiuk als Obadjah, Opernchor und Statisterie des Oldenburgischen Staatstheaters. Foto: Stephan Walzl
Felix Mendelssohn Bartholdy hat zehn Jahre an dem 1846 vollendeten Oratorium gearbeitet, es gab viele Konflikte mit dem Librettisten Johannes Schubring, der als Pfarrer unbedingt eine neutestamentliche Deutung wollte: Jesus als Vollender von Elias’ Ziel. Mendelssohn, der sich dann von Schubring trennte und seinen Text allein vollendete, sah jedoch einen „Propheten, (…) stark eifrig, aber wohl auch bös und durch und durch finster“. Und er kämpfte um das Dramatische. Zusammen mit der Musik – denkt man nur an die verzaubernde Musik des Regenwunders, an die fundamentalistische Hammer-Arie Elias’, die zur Tötung Andersdenkender aufruft, an die Himmelfahrt Elias’ –, provoziert das Oratorium geradezu eine szenische Deutung, die ja auch schon viele Regisseure versucht haben, unter anderem Calixto Bieito in Wien.
So nun auch am Oldenburgischen Staatstheater in einer mit stehenden Ovationen belohnten Aufführung in der Regie von Anthony Pilavachi, der sowohl in Oldenburg als auch in Bremen schon nachdenkenswerte Spuren hinterlassen hat. Pilavachi lässt einen wie auch immer gearteten religiösen Konflikt vollkommen außen vor und porträtiert einen Rufer, einen Propheten, der klar machen will, dass Dinge falsch laufen, der aber nicht gehört wird und vor seinem Tod im Kerker landet. Was könnte angesichts der Klimakrise aktueller sein? Wir befinden uns auf einem Klimagipfel – „Save Planet Earth“, im Untertitel „Es gibt keinen Plan B“. Das israelische Volk ist eine schicke, sekttrinkende Konsumgesellschaft. Am Ende baut Pilavachi die bewegende Rede von Greta Thunberg von 2019 vor dem UN-Klimagipfel in New York ein. Dass er vorher die Menschenopfer des Baal-Kultes realistisch und blutig zeigt, ist kein Widerspruch dazu. Auch nicht, dass er die tröstenden Engel wie ein ironisches Zitat einbringt: Sie klappen ihre Flügel auf und fahren Fahrrad. Dass an einigen Stellen dem Text Gewalt angetan wurde, weil er doch im Original in die Geschichte, die Pilavachi erzählen wollte, nicht passte, macht nichts, weil die Grundrichtung des Konzeptes stimmt: Es wird gewarnt und nicht gehört. Und das ist Menschheitsgeschichte. Als Bühnenbild (Markus Erik Meyer) dient eine zerfurchte Dürreerde.
Die musikalische Leitung hatte Chordirektor Thomas Bönisch, der keine Wünsche offen ließ. „Recht dicke starke volle Chöre“ wollte der Komponist und macht damit das Volk, den Chor, zum Hauptdarsteller in drei verschiedenen Rollen: das Volk Israel, das Volk der Baalsreligion und die Flüchtlinge. Bönischs Interpretation ist immer kräftig, voller Energie und Klangschönheit, der Chor leistete ohne Nachlassen Großes und bot durch die Sensibilität der Regie viele kleine individuelle Studien, niemals einfach nur Massen. Bönisch lässt dabei dem vielleicht größten Melodiker des 19. Jahrhunderts allen Raum, ohne je sentimental zu werden. Kihun Yoon als Elias durchläuft darstellerisch und stimmlich alle Stationen seines unglücklichen Lebens: „Es ist genug“ am Ende geht unter die Haut (vielleicht könnte er noch an etwas ausgeprägterer Lyrik gewinnen). Mark Serdiuk als Obadjah, Johannes Leander Maas als General, Melanie Lang als Königin und Martyna Cymerman als Witwe und Sängerin prägten außerdem diese große, sehenswerte Aufführung. Der Beifall wollte kein Ende nehmen.
Ute Schalz-Laurenze |