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Ballett-Abschiede

Olaf Schmidt verabschiedet sich von Regensburg · Portrait von Alexandra Karabelas

Dank an Olaf Schmidt

Direktorenwechsel bedeuten in der Ballettwelt immer auch Zäsuren. Für Olaf Schmidt war es ein harter Schlag. Eine Abspaltung, um genau zu sein. Bei seiner Abschiedsgala am Theater Regensburg betrat der nach acht Jahren nicht verlängerte Ballettdirektor die Bühne als Metzger. Und während er das Hackebeil nach unten sausen ließ, rollte sich Mana Miyagawa unter ihm davon. Rot wie Blut leuchtete im dunklen Licht ihr langer Rock. Das Holz, das Schmidt davor gehackt hatte, war von ihm bereits säuberlich von der Bühne getragen worden.

„Hundert Jahre Einsamkeit“ in Regensburg. Foto: Juliane Zitzlsperger

„Hundert Jahre Einsamkeit“ in Regensburg. Foto: Juliane Zitzlsperger

Wen er da als Spalter dargestellt hatte, verhehlte der bei den Regensburgern äußerst beliebte, langjährige Ballettchef nicht: Die Blondperücke und das neue Logo des Theaters Regensburg auf seinem Rücken verwiesen kaum ignorierbar auf den neuen Intendanten Jens Neundorff von Enzberg. Der hatte Schmidt Monate zuvor durch Direktoren-Neuling Yuki Mori, bis vor kurzem noch Tänzer am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, ersetzt. Bis auf den bestechenden Tänzer Fabian Moreira Costa wollte Mori keinen aus Schmidts elfköpfiger Truppe übernehmen. Nur Julia Leidhold durfte noch backstage in die Opernchoreografie wechseln. Bei Schmidts Gala hielt sich Ernö Weil zurück. Er freue sich aber über den Abend, ließ der in den Ruhestand abgewanderte Intendant das Dramaturginnenduett Friederike Bernau und Christina Schmidt ausrichten.

Was erzählt uns dieser Abschied Schmidts über den Umgang mit der Kunstform des modernen Balletts an einem so stark auf die Region ausgerichteten Stadttheater? Vorab gesagt: viel darüber, was man ermöglichen konnte und wie man sich um ein Werk und die Arbeit eines Choreografen im Hinblick auf seine kulturelle Bedeutung kümmern kann oder auch nicht. Die Frage nach dem Abschied ist gleichbedeutend mit der Frage danach was bleibt.

Freie Hand für den Ballettchef

Olaf Schmidt hat seinem letzten Wirkungsort viel gegeben und viel zu verdanken. Ihm oblag die Aufgabe, eine Compagnie zusammenzustellen und unter Ausnutzung aller begrenzt vorhandenen Kräfte die Sparte pro Spielzeit mit jeweils einem Abendfüller meist mit Orchester und mehreren Kurzstücken oder Koproduktionen im Hause zum Leben zu erwecken. Weil ließ ihm dabei freie Hand. Nur in der Oper sollte das Ballett-
ensemble mittanzen. Autonom war es insofern nicht. Weitere Anliegen als selbst zu choreografieren hatte Schmidt nicht.

Seinen Auftrag hat er insofern gut erfüllt. Auf der Basis einer stabil entwickelten Bewegungssprache, die die Danse d´École mit modernen Einflüssen und narrativen Funktionsanforderungen verbindet, prägnanten literarischen Vorlagen und einem lebendigen Bewusstsein für die Klassiker des Balletts hat Olaf Schmidt durchaus tragfähige, wenn auch nicht immer spannende künstlerische Lösungen für das Format des Handlungsballetts zu entwickeln vermocht. Schmidt hat sich dabei nicht nur getraut, sei es in „Dornröschen“, „Ein Sommernachtstraum“, „Mozart-Requiem“ oder „Carmina Burana“, sich als Balletterzähler zu profilieren, sondern auch konsequent schwierige gesellschaftliche Themen aufgegriffen. Immer wieder brachte er das Abgründige, Verdrängte und auch Perverse menschlichen Handelns auf der Bühne in seiner ganzen Bedrohlichkeit zur Sprache. Die Andeutung von Kindesmissbrauch in seiner Interpretation von „Dornröschen“ oder der Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche in „Carmina Burana“ zählen hier zu den stärksten ambivalenten Momenten.

Bis zu siebzig Wochenstunden

Summarisch hat Schmidt geackert wie ein Pferd. Er hat in den letzten acht Jahren fünfzehn Uraufführungen für das Theater Regensburg kreiert, pro Spielzeit jeweils ein abendfüllendes, meist narrativ angelegtes Ballett plus eines von kürzerer Dauer; hinzu kommen eine Oper, ein Musical, eine Operette, eine Gala und Schulbesuche. Zu seinen persönlichen Highlights zählt er „Mozart-Requiem“, „Orlando – Zwei Biografien“ oder auch „Fratres“. „Die Arbeit hier hat sehr viel Spaß gemacht“, resümiert er, gibt aber zu, dass er einfach oft auch funktionieren musste. Bis zu siebzig Stunden pro Woche die Liebe zum Beruf zu behalten bei begrenzten Kapazitäten, was die kleine Tänzeranzahl und das Ausmaß der Vorstellungen betraf, das sei ihm erfreulicherweise geglückt. Und: „Ich kann jetzt in extrem kurzer Zeit eine ganz anständige Choreografie abliefern“, weiß er von sich selbst, wenn man fragt, was er in Regensburg gelernt hat. „Es war die arbeitsintensivste, aber sicher auch erfolgreichste Zeit meiner Karriere“, resümiert er.

        „Der Nussknacker“ mit Regensburger Senioren.

„Der Nussknacker“ mit Regensburger Senioren.
Foto: Juliane Zitzlsperger

Wie lässt sich noch Bilanz ziehen? Als Schmidt 2004 nach vier Jahren Freelancertum nach Nordbayern kam und sehr ambivalent auf seine Zeit als Kurzzeit-Direktor am Staatstheater Karlsruhe zurückblickte, traf er auf ein Theaterpublikum, das, obwohl offen gegenüber dem Tanz, in den Jahren vor ihm wenig Gelegenheit gehabt hatte, den modernen dynamischen Tanz lesen zu lernen und sich von ihm auch unterhalten und berühren zu lassen oder mit der international aktuellen Ballettästhetik in Kontakt zu kommen. Erst mit seiner letzten Aids-Tanzgala im Herbst vergangenen Jahres war es gelungen, eine Art softes Teaching über den Tellerrand hinaus abzuschließen, als Schmidt Tänzer der Forsythe Company, vom Ballett Augsburg, dem Stuttgarter Ballett oder von Hans Henning Paar vom Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz auf der Bühne hatte. Andere Gastchoreografen fanden davor bis auf ganz wenige Ausnahmen, wie der wunderbare Walter Matteini,kaum den Weg zu ihm. Dafür hatte Schmidt schlicht kein Budget und seine Theaterleitung einfach kein Interesse, obwohl Schmidt kontinuierlich für gute Verkaufszahlen gesorgt hatte. Fragt man Olaf Schmidt heute, ob er als Ballettdirektor etwas anders oder besser hätte machen können, bleibt er keine Antwort schuldig: „Ich hätte vielleicht noch mehr für die Sparte kämpfen sollen, was mir von Natur aus jedoch nicht allzu leicht fällt. Ich hatte deshalb Sorge, dass mich solche Energien, die man dazu braucht, in meiner Kreativität beeinträchtigen würden.“

Wie wenig man jedoch die Bedeutung anderer Choreografen im eigenen Umfeld unterschätzen darf, führte –dieser Ausblick sei erlaubt – Christian Spucks Abschiedsgala beim Stuttgarter Ballett wenige Tage zuvor vor. Er zeigte sich gezielt im Kontext seiner Zeitgenossen wie Douglas Lee, Mauro Bigonzetti, Itzik Galili, Eric Gauthier oder Demis Volpi, die zum Teil der freien Szene entstammen. Auch
Schmidt hat in Regensburg in der freien Szene getanzt, drei Mal beim zeitgenössischen Tanzfestival „Schleudertraum“ und in Zusammenarbeit für den Besuch von Royston Maldoom in Regensburg. Darüber hinaus gastierte er 2008 beim „Schleudertraum“-Festival mit seinem eigenen Stück „Die blaue Brille“ und erlaubte hin und wieder seinen Tänzern, mit freien Choreografen vor Ort zusammenzuarbeiten oder dort ein eigenes Stück zu zeigen. Weder realisierte das Theater Regensburg eine solche Kontextualisierung des Schmidtschen Wirkens innerhalb des deutschen oder europäischen Ballettschaffens durch andere, noch würdigte es Schmidts leises Engagement für den freien Tanz über Institutionengrenzen hinaus. Konsequent verschwiegen Bernau und Schmidt in ihrem inhaltslosen Säuseln über Schmidts Arbeit diese Aspekte. In der Hand hielt man einen dünnen Programmzettel mit dem Galaprogramm aus Schmidts Werken oder von ihm getanzten Stücken. Viele Angaben wie beispielsweise Informationen über die Musikauswahl, Uraufführungsdaten oder eine textliche Hinführung vermisste man hier ebenso wie im Begleitbuch zum Abschied von Weil einen fundierten Aufsatz über die Einordnung von Schmidts choreografischem Werk.

So bleibt außer einer Hymne auf seine Person, die seine Compagnie mitsamt einer großen Garde ehemaliger Tänzer in einem gemeinsamen „Last Dance“ auf der Bühne zelebrierte, nichts übrig. Schmidts Werk bleibt in Erinnerungen und Fotos lebendig. Das sei aber normal. Sagt er. Auch, dass Yuki Mori den Spielplan ab Herbst mit eigenen Projekten bestückt. Auch ein Beginn. Man wünscht ihm viel Kraft.

Alexandra Karabelas

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