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Berichte

Getrieben von der Ökonomie

Neu-Inszenierung des „Holländer“ in Bayreuth · Von Juan Martin Koch

Eine visuelle Umsetzung des medialen Aufruhrs (neudeutsch auch „shitstorm“ genannt) rund um die Causa Nikitin hätte in etwa so aussehen können wie das Bühnenbild zum ersten Bayreuther Holländer-Akt: Munter fließen da die Datenpakete durch die transparenten Glasfaserleitungen, um sich immer wieder zu leuchtenden Erregungsspitzen an den Knotenpunkten des Netzes zusammenzuballen. Als wäre Wagners Musik nicht mehr als ein reichlich vorhersehbarer Soundtrack, braust die Ouvertüre passgenau dazu auf.

Christa Mayer als Mary, Adrianne Pieczonka als Senta und Damen des Festspielchors. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath

Christa Mayer als Mary, Adrianne Pieczonka als Senta und Damen des Festspielchors. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath

Gedacht war diese durchaus dekorative Anordnung aber als Sinnbild für die moderne Geschäftswelt, aus der der Holländer – offenbar ein Getriebener der Global-Ökonomie – mittels wahrer Liebe zu entkommen versucht. Das Ambiente, auf das er in Gestalt des Firmeninhabers Daland trifft, ist das eines mittelständischen Betriebes. Statt Spinnrädern surren die Ventilatoren, die hier – sinnigerweise an Schiffsschrauben erinnernd – produziert werden. Statt diese zu verpacken wie ihre Arbeitskolleginnen schneidet Senta sich aus den Kartons ihren Traummann heraus, der dann schließlich mit entsprechend wellpappenem Charisma leibhaftig vor ihr steht. Dennoch zieht sie ihn dem verzweifelten Hausmeister Erik vor und opfert sich am Ende mit einem herzhaften Sturz in jene handelsübliche Haushaltsschere, mit der sie zuvor ihren Pappkameraden gebastelt hatte.

Das Ganze ist in Jan Philipp Glogers Regie dann auch in etwa so aufregend anzusehen, wie es sich in der Nacherzählung liest. An keiner Stelle vermag er aus der einigermaßen einfältigen Grundidee einen theatralen Funken zu schlagen. Auf höchstens mittlerem Stadttheaterniveau (wobei mit diesem Vergleich so manchem Haus Unrecht geschieht) spielt sich das Geschehen in einem weitgehend attraktionsfreien Bühnenbild (Christof Hetzer) bis hin zur bahnbrechenden Pointe ab: Aus dem finalen Bild des entleibt beziehungsweise erlöst ineinander verschlungenen Paares hat die übermotivierte rechte Hand des Firmenchefs, zu dem die Regie den Steuermann aufwertet, eine neue Geschäftsidee entwickelt: eine beleuchtete Statuette, die fortan für neue Absatzmärkte sorgen soll. Weil die zuvor beschworene echte Liebe zwischen Senta und dem Holländer bloße Behauptung bleibt, fehlt dem als zynisches Fanal gedachten Schlussbild die Fallhöhe – der Effekt verpufft.

Musikalisch Erfreuliches kommt einmal mehr vom Chor der Bayreuther Festspiele. Die Männer geben der großen Szene im dritten Aufzug kraftvolle, dabei stets differenzierende Prägnanz, den Frauen gelingt mit ihrem ersten Balladen-Einsatz ein Kabinettstück in Sachen Opernchorgesang: So unmerklich und organisch fügen sie sich ein, dass man eine weitere Orchesterklangfarbe zu vernehmen glaubt. Schade, dass Gloger die Gruppe sehr pauschal als Zickenparade inszeniert.

Bayreuth-Liebling Christian Thielemann hält den für den gedeckelten Graben eher nicht geeigneten instrumentalen Apparat gewohnt sicher in Balance, besondere interpretatorische Impulse gehen von seinem Dirigat indes nicht aus. Der Sologesang bewegt sich auf solidem Niveau, ohne dass davon jene Dringlichkeit ausginge, die dem Bühnengeschehen fehlt. Benjamin Bruns füllt die Rolle des Steuermanns stimmlich gut aus, Michael Königs bodenständiger Erik und Franz-Josef Seligs voluminöser, aber auch etwas mulmiger Daland verkörpern die biedere Bürgerlichkeit, der zu entkommen Adrianne Pieczonkas Senta stimmlich erfolgreich gelingt. Zumindest an ihrer gut kontrollierten Vokalemphase kann man erahnen, welche Intensität dem Regisseur vorgeschwebt haben mag. Und der Holländer? Samuel Youn, durch Evgeny Nikitins Tattoo-Affäre in letzter Minute unverhofft zur Erstbesetzung aufgestiegen, meisterte die Partie mit schlanker, metallischer Höhe durchaus beachtlich, ohne dadurch allerdings das Fehlen dämonischer Schwärze in der mittleren und tiefen Lage kompensieren zu können.

In seiner Bayreuther Paraderolle als Heerrufer konnte man Youn in der Wiederaufnahme des „Lohengrin“ erneut bewundern. Hans Neuenfels’ in manchen Details nachgeschärfte, in der Personenführung weiterhin faszinierend genaue und spannungsgeladene Versuchsanordnung hat sich mittlerweile beim Publikum durchgesetzt und zeigt sich in der Sängerbesetzung deutlich gesteigert: Das Intrigantenpaar ist mit Thomas J. Mayer als Telramund und Susan Maclean als Ortrud nun ein erstklassiges und der in der Diktion verbesserten, nach wie vor anrührend intensiven Annette Dasch steht mit Klaus Florian Vogt der derzeit vielleicht faszinierendste Lohengrin zur Seite: Sein schlankes, fast knabenhaft weißes Timbre, das sich andererseits mühelos gegenüber den (von Andris Nelsons erneut nuancenreich und klangsensibel geführten) Chor- und Orchesterwogen durchsetzt, scheint wie geschaffen für den aus einer anderen Welt hereintönenden Helden, der in der seltsamen Laborrattenwelt Fremdklangkörper bleiben muss.

Ein vermeidbares Besetzungsdebakel, Kritik von den Rechnungshöfen, die trotz der bemerkenswerten Ausstellung „Verstummte Stimmen“ (siehe den Bericht auf Seite 7) nicht wirklich vorankommende historische Aufarbeitung und eine künstlerisch insgesamt durchwachsene Zwischenbilanz: Das sind nur einige der Stücke im schweren Gepäck, das die Wagner-Schwestern nun in die Vorbereitung fürs Jubeljahr 2013 mitzuschleppen haben.

Juan Martin Koch


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