
Original-Schauplatz Spinnfabrik
„Der fliegende Holländer“ in Augsburg · Von Wolf-Dieter Peter
Von wegen „Kulturinfarkt“ mit „zu viel vom immer Gleichen“: Wie schon im Publikumsrenner „Die Weber von Augsburg“ in der ehemaligen Textilfabrik Dierig hat Intendantin Juliane Votteler nun das ortsansässige Textilmuseum „tim“ und seinen Direktor Karl Borromäus Murr eingebunden. Schließlich spielt der zentrale Mittelakt von Wagners „romantischer Oper“ vom „Fliegenden Holländer“ in einer Spinnstube: Frauenchor, Arbeit unter Druck – und jahrelang hat dort die Kapitänstochter Senta die Frauen mit der Ballade vom „bleichen Mann“ von Enge, Stumpfsinn und Ausbeutung ein wenig abgelenkt. In Zusammenarbeit mit Kostümbildnerin Saskia Rettig wurden im „tim“ die historischen Webstühle wieder in Gang gesetzt und 300 Meter „Augsburger Schlossertuch“ – ein robustes Arbeitstuch, das Schmutz und Öl gut aufnimmt – für die Damenkostüme hergestellt.

Sally du Randt als Senta mit dem Chor des Theaters Augsburg. Foto: Nik Schölzel
Auf der Freilichtbühne schwenkte der Frauenchor nun, von der dominahaften Mary (Kerstin Descher) unter Druck gesetzt und im „Arbeitstakt“ singend, je eine Spindel. Deren schwarze sowie weiße Fäden führten auf die obere Burgmauer, von der sank langsam eine breite Stoffbahn herab: ein schwarz-weißes Vasarely-Muster, dessen reizvoll changierende, weil Erhebungen und Vertiefungen vorspiegelnde „Fläche“ signalisierte den Ort, wo „der ganz andere Mann“ auftreten wird. Die Stoffbahn fiel – und in einem goldenen Bildrahmen stand der „Fliegende Holländer“ in einem silbergrau glitzernden spanischen Hofkostüm: ein „Traum-Mann“, der Senta in ihrem jungmädchentypischen Erlösungswahn in eine andere Welt mitnehmen wird, sei es auch um den Preis des Lebens.
Das war die stärkste Phase des ohne Pause gespielten zweiten und dritten Aktes. Davor hat Regisseur Christian Sedelmayer auf der zwar herrlich wirkenden, aber leider noch hellen Freilichtbühne einen wenig überzeugenden Männerchor-Aktionismus – abermals in historischen Rundhemd-Kostümen – inszeniert: mehrmals ein Gewusel von Arbeiterrevolution mit roter Fahne, dann Matrosenaufstand und dann nur männliche Geldgier. Der Werkfreund wünschte sich gnädiges Dunkel, das viel von der wenig überzeugenden Personenregie und halbgaren Choreografie zudeckt – tröstlich nur, dass die von Karl Andreas Mehling einstudierten Chöre vor den akustisch förderlichen Festungsmauern bestens klangen. Leider nur geriet anschließend auch das Kammerspiel des Liebeswahns zwischen Senta und dem Holländer blutleer und spannungslos. Imposant wirkte nur noch das Schlussbild: Der Gespensterchor der „Holländer“-Mannschaft fuhr als riesiges Blutgerüst mit Statisten als Zombies auf dem oberen Mauergang herein, bedrohlich ausgeleuchtet – und dorthin flüchtet Senta aus der Geldgier des viel zu plump angedeuteten Frühkapitalismus, dafür aber enthusiastisch in den Nachthimmel singend – Oper übermenschlich groß. Sally du Randt gelang das fesselnd. Leider stand ihr mit Stephen Owen ein bieder wirkender Holländer mit unzureichender vokaler Verführungskraft gegenüber. Guido Jentjens sang einen soliden, durchweg erfolgsorientierten Vater Daland. Ji-Woon Kim ließ als Jäger Erik mit schönen Tönen jugendlicher Liebesverzweiflung aufhorchen. Sie alle und das bis auf kleine Open-Air-Premierenunsicherheiten gut aufspielende Orchester leitete der junge Norweger Rune Bergmann mit sichtbarem Engagement, oft aber zu klangverliebt breiten Tempi. Das fulminante abschließende Feuerwerk sollte den folgenden Aufführungen einen guten Schuss feuriges Tempo an hoffentlich lauen Sommerabenden gegeben haben.
Wolf-Dieter Peter
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