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Berichte

Kein großer neuer „Ring“-Wurf

„Siegfried“ und „Götterdämmerung“ in München · Von Christian Kröber

München glüht. Nicht nur vor Spannung, wie das Team um Andreas Kriegenburg und Kent Nagano den Abschluss der Wagnerschen Tetralogie stemmen würde, sondern im ganz wörtlichen Sinne. Zur Festspielpremiere zeigte sich das Wetter von seiner tropischen Seite.

„Götterdämmerung“: Anna Gabler als Gutrune, Stephen Gould als Siegfried, Iain Paterson als Gunther und der Chor der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl

„Götterdämmerung“: Anna Gabler als Gutrune, Stephen Gould als Siegfried, Iain Paterson als Gunther und der Chor der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl

Mit der „Götterdämmerung“ muss jeder Regisseur sein Meisterstück abliefern. Kriegenburg hat immer wieder betont, dass er – wie auch Wagner – vom Ende her denkt, dass eine Erzählweise der Katastrophe des Weltenbrandes bereits im „Rheingold“ präsent ist. Beispielhaft dafür der große Statistenapparat in „Rheingold“, aber auch in der „Walküre“ und in „Siegfried“, der ja eine Gesellschaft widerspiegeln soll, der wir dann in der „Götterdämmerung“ begegnen.

Mit der Inszenierung des „Siegfried“ war Kriegenburg ein spannendes und abwechslungsreiches Opernereignis gelungen, setzte er doch vor allem im ersten Aufzug, in Mimes Schmiede, auf eine naive Bildsprache, die in manchen Momenten an die Bildlichkeit des großen französischen Naiven Henri Rousseau erinnerte. Noch mehr in die Handlung einbezogen als in „Rheingold“ und „Walküre“ war die deshalb eigens zu erwähnende Statisterie der Bayerischen Staatsoper in der Choreografie von Zenta Haerter. Neben den vom Komponisten vorgesehenen Charakteren bestimmen die Statisten als Komparsen eines groß angelegten Puppenspiels gleichberechtigt das Bühnengeschehen. „Siegfried“ wird als Bildergeschichte für Erwachsene erzählt. Da darf gefeixt und im Publikum auch schon mal gelacht werden, bekommt man große Augen, wenn in blitzschnellen Verwandlungen Siegfrieds Geburt auf der Bühne als Puppenspiel gegeben wird.

Vor allem im ersten und zweiten Akt ist das Konzept des Regieteams stimmig, gelingen die Erzählstrukturen besser als in der „Walküre“. Überwältigend ist vor allem die Wucht der (ge-)erfundenen Bilder: Das Licht ist ein prägender Bestandteil Kriegenburgscher Erzählweise und unterstreicht das poppig bebilderte Spiel. Kriegenburg versteht „Siegfried“ als Coming-of-Age-Geschichte eines Findelkindes, das erst in den letzten Minuten der Oper erwachsen wird. Und so ist auch das Zusammentreffen mit Brünnhilde, das lange und langsame aufeinander Zugehen am spannendsten inszeniert. Dieses Wollen und Nichtkönnen, die jugendliche Erotik und das Bange-Sein vor dem anderen Geschlecht machen Siegfried erst zu einem sympathischen Helden.

Musikalisch war der Abend von Lance Ryan (Siegfried) beherrscht, dem es gelang, Lyrisches und Hochdramatisches gleichberechtigt nebeneinander zu setzen. Obwohl Kanadier, ist er einer der wenigen Wagnersänger der Gegenwart, bei dem man jedes Wort versteht. Doch auch die Brünnhilde von Catherine Naglestad leistete Großartiges mit ihrer strahlenden, doch niemals forcierten Höhe. Tiefschwarz und stimmgewaltig der Alberich Wolfgang Kochs; immer präsent in beeindruckender Form auch Thomas J. Mayer (Der Wanderer) und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime).

In der „Götterdämmerung“ ist man dann angekommen im Hier und Jetzt. Die Nornen spinnen, musikalisch sehr verhalten, ihr Seil in einem Nach-Fukushima-Quarantäneschuppen. Aktualität auch im Haus der Gibichungen, das von gesichtslosen Handyträgern bevölkert ist und damit wohl – zweiter großer Zeigefinger – auf die gerade grassierende Finanzkrise hinweisen soll. Gunther, Gutrune und Hagen spielen ein Sex and the City Trio, dessen laszives Agieren ebenso unglaubwürdig wirkt, wie der Naturburschenauftritt des gerade angekommenen Siegfried.Bis zu diesem Augenblick ist ungefähr eine Stunde vergangen, und man fragt sich verwundert, ob das nun alles gewesen sein soll. Sehr viel mehr hat der Ablauf der folgenden vier Stunden tatsächlich nicht zu bieten.

Der große Wurf, dem ganz Opern-München entgegengefiebert hat, ist es nicht geworden. Der Ring ist vollendet, doch die vier Abende bleiben Stückwerk. Kriegenburg, der eine Geschichte neu erzählen, einen frischen, unbefangenen Blick auf den Wagnerschen Kosmos werfen wollte, hält sein Konzept nicht durch. Es bleiben auf jeden Fall bemerkenswerte, bezwingende Momente, es bleibt aber auch die nicht beantwortete Frage nach dem großen Ganzen. Kriegenburg erzählt eine Geschichte, aber er bezieht nicht Stellung zum dahinter und darunter liegenden Wagnerschen Konzept dieser Menschheitsgeschichte.

Musikalisch wäre der Abend beinahe gescheitert. Der ursprünglich für die Rolle des Hagen vorgesehene Hans-Peter König erkrankte ebenso wie sein Ersatz Albert Pesendorfer, und es war dem künstlerischen Können und Wollen des Amerikaners Eric Halfvarson zu verdanken, der am Tag der Premiere aus dem Flugzeug stieg und die Partie übernahm, dass es überhaupt zu einem Abschluss der Tetralogie kommen konnte. Halfvarson, Nina Stemme (Brünnhilde) und Iain Paterson (Gunther) beherrschten das musikalische Gelingen des Abends, am beeindruckendsten mit dem musikalisch fesselnden Verschwörungsterzett am Ende des zweiten Aufzugs. Überzeugend auch der Siegfried des Stephen Gould, während es Michaela Schuster (Waltraute) stimmlich ein wenig an wilder Entschlossenheit und klarer Höhe fehlte. Ein besonderer Applaus galt dem glänzend agierenden Chor der Bayerischen Staatsoper und seinem Leiter Sören Eckhoff. Das Bayerische Staatsorchester hatte einige Mühe, den Herausforderungen der Riesenpartitur Herr zu werden. Lag es an der großen Anspannung der Musiker oder an der interpretatorisch kühlen Herangehensweise von Kent Nagano – neben einigen deutlich störenden Unsicherheiten fehlte die große dramatische Linie, die aus der Vielheit einzelner Ideen eine musikalische Einheit entstehen lässt.

Einmal mehr zeigte es sich, dass Wagners Ring nicht nur eine große musikalische und interpretatorische Leistung verlangt, sondern auch einen dezidierten künstlerischen Anspruch voraussetzt: Pro oder Contra, aber keineswegs Lau.

Christian Kröber

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