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Kulturpolitik

Tränen im Land des Lächelns

Wiener Tagung zum Tragischen in der Operette · Von Frieder Reininghaus

Die Operette lebte und lebt, wie jede Komödie, auch von realhistorischen und gesellschaftlichen Spannungen sowie gegebenenfalls deren tragischen Konsequenzen. Wie das „heitere Genre“ zwischen Paris und Wien, Budapest und Berlin mit diesen Konfliktfeldern umging und bis heute verfährt – und wie sie künftig „mit dem Tragischen flirten“ könnte – das war Thema einer Tagung im Lehár-Schlössl bei Wien, veranstaltet vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Das Palais liegt, umringt von Heurigen-Lokalen, am Rand der zur Donau hin abfallenden Weinberge. Durch private Initiative hat es sich mitsamt dem kleinen Park als Gedenkstätte erhalten. Auf einer Erinnerungswand vergilbt das Uraufführungsteam der „Friederike“. Fan-Post der 1920er-Jahre quillt aus herumliegenden Büchern und ein schillernder brauner Flügel vermag den Raum in akustische Nostalgie zu tauchen.

Angst vor dem Operetten-Esprit

Geeigneter Tagungsort: Das Lehár-Schlössl bei Wien. Fotos: Rainer Schwob

Geeigneter Tagungsort: Das Lehár-Schlössl bei Wien. Fotos: Rainer Schwob

Der Landsitz in Nußdorf war ein denkbar günstiger Ort, um über das Verhältnis der Operette zum Tragischen nachzudenken. Das Tagungslokal verwies darauf, wie ernst es spätestens beim Blick auf die Biographien vieler Operettenschaffender aufscheint: Die größere und bessere Hälfte der Librettisten, Komponisten und Interpreten wurde nach Maßgabe der „Rassenhygiene“ ab 1933 aus Deutschland vertrieben, im Zuge der Eroberungen auch aus Prag, Wien und Paris. Am Fall des Sängerdarstellers Paul Morgan wurde (von Marie-Theres Arnbom) minutiös gezeigt, wie gezielt die Nazis den ironischen Esprit der Operette verfolgten.

Die Thematik des Tragischen betrifft freilich auch die Stoff- und Kompositionsgeschichte der Operette weit mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde. „Bei Jacques Offenbach zum Beispiel parodiert die Operette das Tragische, auch bei einigen Werken von Johann Strauß oder Franz Lehár“, erläuterte Wolfgang Fuhrmann, einer der Organisatoren des Symposiums. „Aber auch schon im ‚Walzertraum‘ von Oscar Straus gibt es tragische Momente, die die Operettenhandlung bis zum Schluss beherrschen – vor allem das Motiv des Liebesverzichts.“

Der gehört zu den Stereotypen insbesondere der Künstler-Operetten. Exemplarisch wurde das 1916 im Wiener Raimundtheater uraufgeführte „Dreimäderlhaus“ von Heinrich Berté durchleuchtet, das Lebenswerk und Liebesleid Franz Schuberts thematisiert. Die Rezeptionsgeschichte dieses Singspiels in Wien und Budapest rekonstruierten Péter Bozó und Franziska Feuerstein höchst anschaulich – mitsamt der Fortsetzungsgeschichte „Hannerl“. Da von dieser Operette Carl Lafites keine Aufnahmen verfügbar sind, rezitierte die Referentin einige Songs selbst. Sie übernahm dabei die Partie der biedermeierlichen Titelheldin und zugleich die Rolle von deren Mutter – und könnte mit dieser Art allerliebster Auftritte vielleicht eine „Feuerstein-Show“ entwickeln.

Künstlerleben als Operettenstoff

Auch Schaffens- und Leidensaspekte, die Beethoven, Paganini oder Chopin zugeschrieben und Operette wurden, gerieten ins Visier der Forscher – bis hin zu Edmund Eyslers „Künstlerblut“, einer „Salonoperette“ mit „Herzton“ (Marion Linhardt). Insbesondere auch die Verklärung von Goethes Straßburger Studentenzeit durch Franz Lehárs „Friederike“ wurde (von Melanie Wald-Fuhrmann) auf ihre „tragischen“ Substanzen hin analysiert. Stefanie Rauch spürte sozialsensibel dem Missgeschick und Unglück sowie dem aus diesem erwachsenden Hauch des Melancholischen und Traurigen in Carl Zellers „Obersteiger“ nach, Stefan Frey den traurig schweigenden Lippen in Lehárs „Land des Lächelns“. Auch „La Rondine“, eine späte Operette von Giacomo Puccini, geht ohne Happy End aus, weil emphatische Liebe und bürgerliche Ehe sich nicht vereinbaren lassen – ein Grund dafür, dass Volker Mertens der „Schwalbe“ im Hinblick auf ihre tragische Grundierung gedachte.

Gesellschaftliche Kontexte

Ein eher unfreiwillig grotesk-tragisches, von Wolfgang Jansen aufgeblättertes Kapitel bildeten schließlich die „lustigen“ Kriegsoperetten, in deren unrühmlicher Traditionslinie sich Berlin besonders auszeichnete („Immer feste druff“ oder „Derfflinger“ von Walter Kollo, aber auch „Gold gab ich für Eisen“ von Emmerich Kálmán). Panja Mücke kontrapunktierte mit Hinweisen auf Paul Abrahams „Viktoria und ihr Husar“, einer Operette, die mit den Vorbereitungen für eine Hinrichtung und damit nicht eben idyllisch beginnt.

Es ging nicht ganz ohne Tragödientheorie und Wissenschaftlichkeitsvergewisserungen ab bei dieser Wiener Operetten-Konferenz. Auch nicht ohne Ausflüge ins Unterland der Psychoanalyse. Stefan Schmidl verbeugte sich vor Freud und diagnostizierte zum Beispiel bezüglich des Librettos zum „Walzertraum“ das „halluzinatorische Besetzen einer Befriedigungserinnerung“. Insgesamt wurde in erfreulicher Weise der gesellschaftliche Kontext der einzelnen Werke berücksichtigt und häufig auf die Theaterpraxis hin reflektiert. Da die Wiener Volksoper im September zu Saisonbeginn den „Walzertraum“ in neuen Kleidern präsentiert, wurde die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und die Theorie mit der noch im Entstehen begriffenen Praxis eng verknüpft – vom Probenbesuch und Dramaturginnengespräch bis zur kritischen Würdigung des Librettos, in dem die „eigentliche“ Liebe von der Macht der Staatsraison untergepflügt wird. Aber der Traum trotzt der Tragik (und verspricht, es fürderhin zu tun). So ist das eben mit der Verheißung des Kitsches und den Sehnsüchten des wirklichen Lebens: Sie sind hartnäckig.

Frieder Reininghaus

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