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Kulturpolitik

Dringend nötige Aufarbeitung

Tagung über „Bayreuth und die Juden“ · Von Wolf-Dieter Peter

Der Fall des Bassbaritons Evgeny Nikitin, der seinen Auftritt bei den Bayreuther Festspielen absagen musste, nachdem das Hakenkreuz-Tattoo auf seiner Brust zum allgemeinen Gesprächsstoff geworden war, löste nicht nur weit über deutsche Grenzen hinaus Diskussionen aus, sondern erinnerte auch daran, dass die Festspiele nach wie vor ihre durchaus braune und antisemitische Vergangenheit nicht ausreichend aufgearbeitet haben. Angefangen vom Begründer der Festspiele selbst bis hin zur Hitler-Freundin Winifred Wagner waren die deutsch-nationalen, ausgrenzenden Töne aus Bayreuth unüberhörbar. Bereits kurz vor Bekanntwerden des „Tattoo-Skandals“ allerdings beschäftigte sich im Juli eine Tagung in der fränkischen Stadt mit dem Thema „Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die ‚Juden‘ 1876 bis 1945“. Wolf-Dieter Peter berichtet für „Oper & Tanz“.

Die Installation „Verstummte Stimmen“, die ursprünglich am 14.

Die Installation „Verstummte Stimmen“, die ursprünglich am 14. Oktober abgebaut werden sollte, bleibt nun bis mindestens Ende 2013 unterhalb des Hügels. Sie zeigt Richard Wagner (gestaltet von Arno Breker!), umringt von Tafeln, die an die in Bayreuth verschmähten jüdischen Künstler erinnern. Foto: Stadt Bayreuth

„Verstummte Stimmen“ gab es in Deutschland und Österreich nach 1933 auf vielen Opern- und Konzertbühnen, in Orchestergräben, in Funk und Film. Im Fokus damals wie heute steht dabei das deutsche „Kultur-Mekka Bayreuth“: Weltklasse-Stimmen wie die von Emanuel List oder Alexander Kipnis waren nicht mehr zu hören. Nach den über zehn Jahre zurückliegenden Tagungen zu „Wagner und die Juden“ sowie „Wagner und das Dritte Reich“ ging es diesmal um „Die Bayreuther Festspiele und die ‚Juden‘ 1876 bis 1945“, um den dort zutage tretenden Antisemitismus – und damit natürlich wieder um die Frage, ob nicht von Richard Wagners fürchterlichem Pamphlet über „Das Judenthum in der Musik“ von 1850 und 1869 der Weg direkt in Hitlers Vernichtungslager führte.

Die von Organisator Hannes Heer mit hochrangigen Geistes- und Sozialwissenschaftlern besetzte Tagung suchte zunächst nach Ursprüngen des im 19. Jahrhundert so virulenten Antisemitismus. Erschreckenderweise wies Werner Bergmann klare Abgrenzungs- und Vertreibungsphantasien als bereits im 18. Jahrhundert etabliert nach. Der Ideengeschichtler und Wagner-Kenner Udo Bermbach belegte deren Weiterentwicklung im 19. Jahrhundert, als aus dem Leitbegriff „Kulturnation“ bald auch eine Ausgrenzung „der Juden“ abgeleitet wurde, mündend in eine Hegemonialstellung deutscher Literatur und Musik, die Weltgeltung beanspruchen wollte. Micha Brumlik zeigte dann anhand der herausragenden Autoren „Stoecker, Marr, Dühring, de Lagarde und Treitschke“, aus welch erschreckend breiter Fülle antisemitischen Gedankenguts die Schrift des ja enorm belesenen Wagner zum „Judenthum in der Musik“ herauswuchs. Theaterwissenschaftler und Wagner-Kenner Jens Malte Fischer präzisierte aber gegen den daraus zum Beispiel von Joachim Köhler gezogenen Kurzschluss auf „Wagners Hitler“: genau dies gebe der Text nicht her, so virulent er durch Wagners Weltgeltung geworden sei. Dies auch, weil die bisherigen Führungs- und Funktionseliten des deutschen Kaiserreiches sich trotz der Reichsgründung 1871 bedroht fühlten: Gründerkrise, Darwinismus und Religionskritik, Hochindustrialisierung, Sozialismus, Imperialismus lauten die Stichworte.

Hort des „wahren Deutschtums“

Nach Wagners Tod 1883 gelang es der – wie Oliver Hilmes auch psychologisch fundiert offenlegte – strikt antisemitisch denkenden Cosima Wagner, Bayreuth und den „Bayreuther Kreis“ um den konservativ-reaktionär denkenden Hans von Wolzogen zum bewahrenden Hort eines „wahren Deutschtums“ zu stilisieren. Die in Heidelberg lehrende Anja Lobenstein-Reichmann führte dann zu einem zentralen Erkenntnisgewinn der Tagung: Sie zeigte, wie der völlig „arisch“ orientierte, mit einer Wagner-Tochter verheiratete und in Bayreuth aufsteigende Engländer Houston Stewart Chamberlain zum zentralen Vordenker wurde, wie brillant er in seinem damaligen Bestseller über „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ Kulturchauvinismus, germanisches Christentum und Austilgungsrassismus verband – und jahrelang konsequent in den „Bayreuther Blättern“ verbreitete. Mehr noch: Dieses Gedankengut bekam welterklärende Deutungshoheit – was ältere Zuhörer an den einstigen Einfluss von „Spiegel“, „Frankfurter Schule“ oder „Gruppe 47“ denken ließ. Tagungsbezogen wichtiger: Mit Chamberlains Aufsätzen, speziell seinen „Kriegsbriefen“ ab 1914 begann der Eintritt Bayreuths und des bisherigen „Kulturzentrums Wahnfried“ in die Realpolitik. Autor Sven Fritz belegte dann den Anschluss an den kleinen, aber multiplikatorisch wirkungsmächtigen „Alldeutschen Verband“, an völkische Gruppen – und schließlich vor dem Hitler-Putsch 1923 per Parteieintritt Chamberlains den Kontakt in die NSDAP.

Natürlich wurde dies nicht zur neuen monokausalen Erklärung für die antisemitische Ausrichtung Bayreuths. Der Berliner Kulturwissenschaftler Uwe Puschner ließ die NS-Ideologie fast „altbacken“ erscheinen: Er breitete ein erschreckendes Panorama der schon vor 1914 beginnenden „völkischen Bewegung“ aus. Für alle schon damals in den Kategorien von „Blut und Boden“ Denkenden wurde Wagner mit seiner „Juden-Schrift“ und vor allem mit seinen so komplexen wie widersprüchlichen „Regenerationsschriften“ gleichsam „anschlussfähig“. Obwohl von den „Völkischen“ eindeutig „unterkomplex“ ausgedeutet, ergab sich daher laut Puschner: „Wagner-Chamberlain-Bayreuth – wir haben recht… wir schließen an ein hohes deutsches Kulturgut an.“

„Opernwelt“-Spezialist Stephan Mösch eröffnete die fatale Reihe von antisemitisch attackierten Künstlern mit dem „Parsifal“-Dirigenten Hermann Levi. Hannes Heer spannte mit beispielhaften Künstler-Biographien den Bogen bis in die NS-Zeit weiter. Eine Tagung als Markstein – denn auch die Bundesrepublik ist heute nicht frei von diesem Gedankengut: Uwe Puschner zog Linien in neuere esoterische Strömungen, ins „Neuheidentum“ mit dem T-Shirt „Odin statt Jesus“ – und auch in Gruppen des modernen Rechtextremismus. Zu all dem lieferten während der ganzen Festspielzeit eine Installation (s. Kasten) unterhalb des Bayreuther Festspielhauses und eine erschreckend gehaltvolle Ausstellung im Rathaus unter dem selben Titel wie die Tagung ergänzende Informationen.

Wolf-Dieter Peter

 

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