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Berichte

Neokonservativismus und Prestige

Die Opern-Premieren der Salzburger Festspiele · Von Frieder Reininghaus

Kleine Zäsur in Salzburg: Nachdem Markus Hinterhäuser, zunächst Verantwortlicher für die Konzerte, in Nachfolge des vorzeitig nach Berlin-Mitte abgerückten Jürgen Flimm ein Jahr lang als künstlerischer Leiter der weltweit als Branchenführerin notierten Festspiele fungieren durfte, wurde mit Alexan-der Pereira nun ein Kapitän berufen, der gerne die Bootsmetaphorik bemüht (bis hin zur „Lenzpumpe“). Als Chef der Oper in Zürich hatte sich dieser Kulturmanager auf eindeutige Weise positioniert: Glatt und schön poliert erschienen die Inszenierungen allemal, die Besetzungslisten wurden nach Möglichkeit mit renommierten Namen gespickt und gelegentlich war das Haus am Züricher See-ufer für eine kleine Überraschung gut (zuletzt mit der Uraufführung von Anno Schreiers „Stadt der Blinden“). Vornehmlich pflegt dieser Intendant mit besonderem Augenmerk die Sponsoren-Akquisition. Das ist in Zeiten der „Sparzwänge“ auch im kleinen nordwestlichen Bundesland Österreichs willkommen. Eine künstlerische Konzeption oder Generallinie formulierte er für seine Tätigkeitsperiode an der Salzach so wenig wie sein Schauspieldirektor Sven-Eric Bechtolf; nicht einmal ein Motto fürs laufende Geschäftsjahr wurde ausgegeben. Pereiras „Visionen“ bestehen in einer sehr simpel gestrickten Markt-Strategie: Vermarktung des singulären Orts und seiner Tradition. Der Top-Verkäufer verweist unermüdlich darauf, „dass die Stadt selber eine ganz bestimmte Ausstrahlung hat“ und es „logisch“ sei, Mozart in das „Zentrum“ zu stellen, aus dem er kommt. Schließlich entstand „auch um Richard Strauss“, so unterstreicht Pereira, „eine Tradition, die es gilt weiterzutragen.“ Und so geschah es. Ergänzt um ein konzertantes Vorprogramm, das dem Schwellen der religiösen Gefühle in der Geschmacksträger- und Finanziers-Schicht des Festivals Rechnung trug.

Zauberflöte

Da die Wiener Philharmoniker in Salzburg nicht mit ihm musizieren wollten, durfte Nikolaus Harnoncourt zur „Zauberflöte“ seinen Concentus Musicus aufrüsten und mitbringen. Unüberhörbar herrschte da von Anfang an der Wille zu deutlichstem Ausdruck und eine didaktische Intention. Die dominierte auch in der Inszenierung. Jens-Daniel Herzog verpflanzte die Story in die Sphäre einer in historischem Ambiente untergebrachten Lehranstalt mit angeschlossener Internatsschule (hinter vielen Türen, gerahmt mit Felsbögen wie die der Felsenreitschule, die Klassen-, Wohn- und Schlafräume). Das erwies sich als plausibler Lösungsansatz für die ansonsten gern als märchenhafter Fügungskontext oder als metaphorisches Welttheater aufgemöbelte „Teutsche Oper“. Merkwürdig unberührt von Verheißungen und Drohungen der Sonnen- wie der Nachtpartei sangen sich Bernard Richter und Julia Kleiter auf der Suche nach reiner und ewiger Liebe durch die pädagogische Architektur. Da hatten es die zunächst am Tropf hängende Papagena Elisabeth Schwarz und ihr Feinkosthändler Markus Werba besser. Sie wissen und singen, heisa hopsasa, dass und wie sehr es im Leben auf Sex und seine Folgen ankommt.

Das Labyrinth

Die Charakterisierung der Oper „Das Labyrinth“ als „Machwerk“ wäre zu milde. Schikaneder strich bei „Der Zauberflöte zweyter Theil“ die bewährten Ingredienzien des in altägyptischem Pomp einherschreitenden Märchens mit Prüfungsritualen und Freimaurer-Metaphorik nochmals durchs Sieb: Der Kampf der Königin der Nacht und ihrer Getreuen gegen die Tempelwelt Sarastros geht weiter – mit musikalischem Haydn-Gluck-Mozart-Verschnitt von Peter (von) Winter. Pamina wird neuerlich entführt, die altbekannte Wankelmütigkeit des Kasperl Papageno bestraft, aber durch Zusammenführung der Großfamilie belohnt. Die mit buntem Klamauk prunkende Inszenierung führte in eine krude zusammengeklaubte Welt des Kindertheaters. „Heikle“ Textpassagen wie die, in der Monostatos Papagena braten möchte, oder die „Entkleidung“ Taminos, wurden gestrichen, die Belehrungen zu rassereinen Geschlechtsverbindungen aber im gesungenen Text belassen. Die Wiener Vorstadttheaterwelt des zur Neige gehenden 18. Jahrhunderts lässt sich mit Naivität nicht wieder hervorzaubern.

Ariadne auf Naxos

Die Rekonstruktion der (1912 in Stuttgart durchgefallenen) ersten Fassung von „Ariadne auf Naxos“ wurde von Sven-Eric Bechtolf mit einem neuen Rahmen versehen. Der Regisseur leitete seine neuen Dialoge (auf Pennälerniveau) aus dem Briefwechsel von Hofmannsthals mit einer Gräfin von Degenfeld-Schonburg ab. Die Molière-Adaption erfreute sich der edlen Ausstattung eines neureichen Ambientes durch die Glittenbergs. Die einsame Insel der als Ariadne aus voller Brust klagenden Emily Magee eröffnete sich in einem rokokös bestuhlten Privattheater, auf dem Reste einer Bühneninstallation Herbert Wernickes überwintert haben. Elena Mosuc quinquilierte die noch nicht heruntertransponierte Zerbinetta-Partie. Jonas Kaufmann kam nicht wie ein junger Gott gegangen, sang eher wie eine verbeamtete Glücksverheißung. So fügte sich Konversationstheater des dritten Frischegrads – konservativ aufgemöbelt.

La Bohème

Zum Leben der Puccinischen Bohème campiert das aktuell gekleidete Quartett brotloser (Lebens)Künstler dekorativ vor einem riesigen nassen Fenster, das keinerlei Aussicht gewährt. Sie will sich nicht damit abfinden, selbst an Weihnachten zu hungern und zu frieren. Drei der Jungs brechen ins Quartier Latin auf. Zu Rodolfo schneit die Nachbarin Lucia herein, der die Streichhölzer ausgegangen sind. Darauf hatte das Publikum gewartet: Zu hören und zu sehen, wie Mademoiselle „Mimi“ auch kalt am Händchen und ums Herz ist. Anna Netrebko war mit dem kurzen Rock zu leicht angezogen für die Jahreszeit, aber genau richtig, um das Interesse des unkonzentrierten Autors auf ihre weichen Knie zu lenken. Die Salzburger Erkundung der Polyphonie des Künstlerdaseins vertraut aufwändiger Ausstattung: Für die Straßenszenen vorm Café Momus entrollt sich ein gewaltig vergrößerter Plan von Paris, eine Polizeikapelle erglüht in tausend Lämpchen. Für den kalten Morgen danach gibt’s eine fahrbare Getränkebude auf steil ansteigender, von grauem Schnee bedeckter Fahrbahn. Damiano Michielettos Inszenierung verweigert dem Libretto die Aktualisierung in der Hauptsache – den analytischen Blick auf heutige prekäre Lebensumstände junger Künstler.

Die Soldaten

Alles andere als ein Lustspiel: „Die Soldaten“. Foto: Charlotte Oswald

Alles andere als ein Lustspiel: „Die Soldaten“. Foto: Charlotte Oswald

Bernd Alois Zimmermann hatte, obwohl er für seine einzige Oper „Die Soldaten“ auf den Text einer Komödie zurückgriff, alles andere als ein modernes Lustspiel im Sinn, sondern – in allerdeutlichster Anlehnung an den „Wozzeck“ von Alban Berg – eine stark existentialistisch imprägnierte und mit allen erdenklichen Schreckmitteln der musikalischen Moderne aufgeladene Tragödie. Es ist die der Marie Wesener. Diese junge Frau will hoch hinaus in spätfeudalen Verhältnissen. Sie fällt tief. Der Komponist stattete die allesamt kammerspielartig strukturierten Szenen mit einem Riesen-Apparat durchaus differenziert aus, schrieb ihnen ein veritables Panorama der musikalischen Mittel der 60er-Jahre-Moderne zu – insgesamt freilich allzu massiv und mit gar zu viel grundsätzlichem Willen. Ingo Metzmacher organisiert und animiert die musikalischen Prozesse und Ballungszonen im großen Ganzen wie in den Details mit der Lust der souveränen Verfügungsgewalt. Dabei kümmert ihn hörbar wenig, wie sehr das antifranzösisch getönte Sittenbild des Jakob Lenz überinstrumentiert und übermotorisiert wurde.

Die Wiener Philharmoniker wurden für den Vollzug des Martialischen und der dräuend lärmenden akustischen Masse wie für die aufmerksame Ausführung des Filigranen nicht nur im Graben aufgeboten, sondern auch auf Podien rechts und links von ihm. Sie rahmten die neun Fensterbögen des als Kavallerieschule in die Felsenreitschule gebauten Kasernen-Nebengebäudes. Hinter den Scheiben: sieben Rassepferde beim Exerzitium. Vor den architektonisch anspielungsreichen Bogenfenstern wurden für die Szenen in Lille und Amentière Biedermeier-Mobiliar, Heuhaufen, Strohballen und eine große Glasvitrine arrangiert.

Die Kostüme von Eva Dessecker orientierten sich an Frauenkleidern und Uniformen aus der Zeit des ersten Weltkriegs und aus verschiedener Herren Länder. Diese Uniformen tragen in hohem Maß bei zur Rekonkretisierung des von Zimmermann aufs allzu Allgemeine und die Welt des potenziellen Atomschlags hin angelegten Werks. Zwei Dutzend Gesangssolisten, angeführt von Laura Aikin als Marie, erfüllten die kleingliedrig sorgfältig inszenierten Tableaus mit Stimmleben. Alvis Hermanis nahm die Geschichte von Marie und den Soldaten zurück in die Sphäre der Fernseh-Familien-Saga – so traulich und so hold. Der aus Riga stammende Regisseur bescherte den Salzburger Sommerfestspielen 2012 die einzig ernsthaft diskussionswürdige Opern-Produktion. Denn obwohl diese das sperrige Werk mit Konzilianz zu entschärfen trachtet, rückt sie es – zu seinem Vorteil – näher an die Welt von 1776 heran.

Meine Bienen – eine Schneise

„Meine Bienen...“ mit Brigitte Hobmeier (Kathrin), Stefan Kurt (Peter). Foto: Oswald

„Meine Bienen...“ mit Brigitte Hobmeier (Kathrin), Stefan Kurt (Peter). Foto: Oswald

Im Nachtrab zum großen Felsenschulgetrappel wurde im Kleinen Landestheater ein neues Stück von Händl Klaus zum Klingen, Schwirren und Flimmern gebracht: „Meine Bienen – eine Schneise“. Die Musicbanda Franui aus Innervillgraten in Osttirol, bekannt geworden durch alpenländisch getönte Adaptionen von Schubert- und Brahms-Liedgut, bestritt den Löwenanteil der Kreation mit den sechs „Jugendliedern“ von Alban Berg (dessen Lehrer Arnold Schönberg hielt sie für „Jugendsünden“). Die Tonspur von Markus Kraler und Andreas Schett wurde zum wesentlichen Träger der Erzählung: Über das Narrative hinaus setzt sie Zeichen und konstituiert vor allem Stimmungen. Sie unterstreicht die Musikalität der Texte von Händl nochmals und ist die Würze der als Festspiel-Dessert gereichten Leckerei.

Der rechte Mann am rechten Platz

Die Salzburger Sommerfestspiele wurden nach dem ersten Weltkrieg mit konservativer Zielrichtung ins Leben gerufen und avancierten rasch zu einem Prestige-Unternehmen der musikalischen und darstellenden Künste, das in der Ära Karajan „Weltgeltung“ erlangte. Die in den 90er-Jahren durch Gérard Mortier eingeleitete Modernisierung brachte zwar frischen künstlerischen Wind in den Festspielbezirk und befestigte den kommerziellen Erfolg, wird heute von den Betreibern aber eher als Abirrung bewertet. Mit der Berufung von Pereira als künstlerischem Leiter ist das ästhetische Pendel explizit in Richtung der reibungslosen Befriedigung der Schau- und Hörlust der oberen Zehntausend ausgeschlagen. Der neue Chef macht seinen Job im Sinne des an ihn ergangenen Auftrags wirklich gut.

Frieder Reininghaus

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