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Editorial

Karl Marx und Richard Wagner haben nicht nur das Todesjahr gemeinsam. Beide beschreiben – und das macht sie aktuell – wie die Gier einflußreicher Minderheiten eine Gesellschaft zerstört. Bei Marx endet dies nach einer Zeit der Krisen und der Verelendung der Massen in einer Revolution, die die Weichen in eine diffus beschriebene heile Welt stellt, die den Visionen der Utopisten des 17. und 18. Jahrhunderts nicht unähnlich ist, bei Wagner im Weltenbrand. Dabei lässt er – anders als die germanische Sagenwelt, aus der er dieses Bild entlehnt hat, – offen, ob es wirklich das Ende der Welt ist oder ob sich daraus eine neue Welt entwickelt.

  Tobias Könemann  

Tobias Könemann

 

An dieser Stelle soll nicht aus der aktuellen Situation der Welt-Finanzkrise ein weiteres Weltuntergangs- oder Rettungsszenario gemalt werden. Auch soll weder über weitere Blasen, die noch platzen könnten, noch über die Ursachen oder die Schuldigen der Malaise spekuliert werden. Vielmehr soll einmal ein Blick darauf geworfen werden, wie die – derzeit am stärksten von der Krise betroffenen – europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften mit der allgemein als bedrohlich empfundenen Situation umgehen. Und hier fällt ein großer Unterschied zu den Entwicklungen insbesondere in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts auf:

Während nach dem zweiten Weltkrieg viele große gesellschaftliche, politische oder ökonomische Fehlentwicklungen wie etwa der atomare Rüstungswettlauf, der Vietnam-Krieg oder die bedenkenlose Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt breit angelegte weltweite Protestbewegungen, getragen oft von Studenten, Intellektuellen und Künstlern, hervorgebracht haben, die dann letztlich zwar die Welt nicht perfekt gemacht haben, aber wesentliche Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein und politischen Handeln verursachen konnten, ist im Angesicht der gegenwärtigen Bedrohung eine Schockstarre zu beobachten, die der des Kaninchens vor dem Scheinwerfer gleicht. Die genannten Bewegungen des 20. Jahrhunderts haben sich lautstark und manchmal die Grenzen des gesellschaftlich Verträglichen überschreitend, unübersehbar gemacht.

Und heute? Studenten sitzen brav in ihren Unis und basteln in immer weiter funktional kondensierten Studiengängen kritiklos an ihrer Karriere; Künstler beklagen (zu Recht!), dass ihre finanziellen Existenzgrundlagen immer weiter zusammengestrichen werden, versuchen aber dennoch nach besten Kräften, ihrem Unterhaltungsauftrag gerecht zu werden. Arbeiter kämpfen zwar gelegentlich um Gehaltserhöhungen, sind aber ansonsten, vielleicht aus Angst um Ihre Jobs, handzahm. Lediglich eine müde gesellschaftlich (noch) nicht wirklich lokalisierbare „occupy“-Bewegung prangert – flankiert von einem akademisch-abgekoppelten Diskurs hochkompetenter Experten – zaghaft das Gebaren der Finanzwelt an, ohne sich jedoch bislang in der breiteren Öffentlichkeit Gehör – geschweige denn Gefolgschaft – zu verschaffen.

Derweil erweist sich die offizielle Politik als handlungsunfähig, wenn nicht gar handlungsunwillig. Zu tief sind offenbar die Interessengegensätze der Regierenden in den einzelnen Staaten, zu tief ist ihre jahrzehntelang gewachsene Verflechtung mit der Finanzwelt.

Zugegeben: Die wirtschaftliche Globalisierung macht das Problem schwerer, da politische Strukturen mit der Globalisierung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht Schritt gehalten haben. Gerade in einer solchen Situation kann sich Demokratie – und das gilt weit über Deutschland hinaus – nicht auf das noch so gut organisierte Funktionieren der verfassungsmäßigen Institutionen verlassen. Sie muss gerade in Krisen- und Umbruchszeiten ihre Impulse vielmehr aus der Gesellschaft beziehen, und das sind wir alle.

Sind aber wir alle so von der Konsum- und Spaßgesellschaft eingelullt, daß wir unseren eigenen Untergang verschlafen werden? Das Erwachen könnte böse sein. Weder die Visionen von Marx noch die von Wagner sollten Realität werden können.

Tobias Könemann

 

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