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Beharrlichkeit zahlt sich aus
Das neu gegründete Bundesjugendballett in Hamburg · Von
Vesna Mlakar Seit 1973 steht John Neumeier an der Spitze der hanseatischen
Ballettwelt. Unter seiner Leitung – seit 1996 Intendanz – avancierte
das Hamburg Ballett zu einer der führenden Compagnien der
deutschen Tanzlandschaft. 1978 erfolgte – zunächst in
den compagnieeigenen Sälen – die Gründung einer
dem Ensemble angegliederten, professionellen Schule. Als diese
bald aus allen Nähten platzte, setzte John Neumeier es sich
zum Ziel, die beiden Stränge Compagnie und Ausbildung unter
einem Dach, in einem eigenen Institut zu vereinen. Als im September
1989 das Ballettzentrum Hamburg endlich seinen Betrieb aufnehmen
konnte, waren Jahre mühseliger Anstrengungen vergangen. Heute
trainieren und proben hier, Seite an Seite mit den berühmten
Profis des Hamburg Balletts, 125 Schüler und Studenten in
insgesamt neun Ballettsälen. „Dieser Bau ist für
mich ein Mikrokosmos der Welt. Einer Welt, in der kleinste Schulanfänger
durch alle Stufen einer professionellen Ausbildung gehen, in der
Abgänger als Compagniemitglied eine professionelle Arbeitsmöglichkeit
erhalten können, in der Tänzer vom Anfänger bis
zum Ersten Solisten optimale Arbeitsbedingungen genießen.“ Vielleicht
gerade deswegen ist es Neumeier im Frühjahr 2011 gelungen,
dem Ganzen durch ein neu hinzugeschaltetes Bundesjugendballett
das Tüpfelchen auf dem „i“ hinzuzufügen.
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Hinter den Mauern des
Hamburger Ballettzentrums gären Diskussionen und konkurrieren
Bewerber um die zwei ausgeschriebenen Posten „Organisatorischer
Leiter“ und „Ballettmeister“. Während der
eine mit Sachkenntnis, Theatererfahrung, Fantasie und sozialem
Engagement die Aktivitäten und Tourneen der Juniorentruppe
planen und umsetzen soll, zeichnet der andere für die individuelle
künstlerische Begleitung der acht, mit einem voraussichtlichen
Monatsgehalt von 2.500 Euro fest beim Bundesjugendballett engagierten
Tänzerinnen und Tänzer zwischen 18 und 23 Jahren verantwortlich.
Beide sind dem Ballettintendanten John Neumeier Rechenschaft schuldig – über
erfolgreiche Führung, Arbeitsweise und Repertoirebildung des
Ensembles. Eine Entscheidung – mitgetragen vom Kollegium
der Hamburger Ballettmeister – wird wohl in den nächsten
Wochen fallen.
Bis dahin hüllt man sich an der Elbe in (Ver-)Schweigen. „Die
Informationen sollen nicht tröpfchenweise durchsickern, sondern
mit Beginn der neuen Spielzeit – vielleicht auch schon etwas
früher – der Öffentlichkeit in einem Schub präsentiert
werden.“ Angesichts der bevorstehenden 37. Hamburger Ballett-Tage – einer
Zeit des Hochbetriebs, wo alle vor bzw. hinter den Kulissen am
jährlichen Saison-Showdown Beteiligten voll eingespannt sind – leuchtet
die Strategie ein. Wer verschießt schon gern sein gesamtes
Pulver in einem einzigen Feuerwerk, zumal er sich wie John Neumeier – ehrenamtlicher
Direktor und Initiator der neuen Juniorkompanie – wiederholter
Aufmerksamkeit gewiss sein kann. Der Gerechtigkeit halber muss
aber eingeräumt werden: „Gut Ding“ braucht seine
Weile. Schließlich sind die Aufgaben des frischgebackenen
Bundesjugendballetts hoch gesteckt. Zu nennen wären da die „Vermittlung
zwischen Jugendkultur, Hochkultur und Bevölkerung“ (Neumeier),
das „Knüpfen neuer künstlerischer Kontakte und
die Verdeutlichung gesellschaftlicher Relevanz des Tanzes – gerade
auch bei jungen Zuschauern“ (Kulturstaatsminister Bernd Neumann)
und die „Stärkung der Stadt Hamburg als Tanzmetropole
dank vielfältiger Anknüpfungspunkte zum Choreografischen
Zentrum auf Kampnagel“ (Kultursenatorin Barbara Kisseler). Ende März jedenfalls verkündeten Hamburgs Ballettintendant
und Barbara Kisseler, flankiert von Detlef Meierjohann von der
Hamburgischen Staatsoper und MdB Rüdiger Kruse, in einer Pressekonferenz
die Etablierung einer professionellen Juniorentruppe als neue Heimstätte
für kreativen Tänzernachwuchs in Hamburg-Hamm und dem
dortigen Ballettzentrum. Überraschend schnell, nachdem Neumeier
immerhin 25 Jahre lang vergeblich versucht hatte, den bereits erfolgreich
bestehenden Jugendballett-Modellen wie dem Nederlands Dans Theater
II in Den Haag (für die seit 1978 zahlreiche namhafte Choreografen
Stücke beigesteuert haben), dem New Yorker American Ballet
Theatre ABT II und Zürichs Junior Ballett eine Hamburger Variante
hinzuzugesellen.
Glücksstunde für seinen nun in Erfüllung gehenden
Traum war Hamburgs elitäres „Matthiae-Mahl“, wo
Neumeier – als Ehrenbürger der Stadt geladen – ins
Gespräch mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse
kam. Überzeugt von Neumeiers gründlich überdachten
Plänen erzielte er als Fürsprecher im Haushaltsausschuss
des Bundestags den Durchbruch. Für das zunächst auf vier
Jahre (Spielzeit 2011/12 bis 2014/15) befristete, ab September
durch die Bundesregierung mit insgesamt 2,8 Millionen Euro geförderte
Pilotprojekt übernimmt die Hansestadt einmalig die Investitionskosten
in Höhe von 50.000 Euro. Der kalkulierte jährliche Finanzbedarf
für die Einrichtung liegt bei rund 835.000 Euro, wovon rund
710.000 Euro auf den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien,
also Staatsminister Bernd Neumann, entfallen. Träger des Projekts
ist die Hamburgische Staatsoper GmbH – HAMBURG BALLETT. Die
kaufmännische Oberhoheit liegt damit beim Geschäftsführenden
Direktor der Staatsoper Hamburg: Detlef Meierjohann.
Bereits am 10. April fand im Hamburger Ballettzentrum ein Vortanzen
für die Aufnahme in die Compagnie statt, deren Ziel die Brückenfunktion
zwischen Ausbildung und Beruf (zum Beispiel durch Mitwirkung an
großen Produktionen des HAMBURG BALLETT oder seiner Ballettschule)
ist. Soweit übrigens ähnelt die Sinn- und Funktionsbeschreibung
der im Februar dieses Jahres offiziell an den Start gegangenen
Münchner „Junior Company des Bayerischen Staatsballetts,
der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater
München und der Heinz-Bosl-Stiftung“. Hinter dem unhandlichen
Namen verbirgt sich die Kooperation dreier Institutionen, die mit
vereinten Kräften neun Staatsballett-Volontäre, sieben
Meisterklassen-Studierende und einen Stipendiaten aus Konstanze
Vernons Ballett-Stiftung – also insgesamt 16 und damit doppelt
so viele Mitglieder wie in Hamburg – an die täglichen
beruflichen Herausforderungen der Sparte Bühnentanz heranführen
möchten.
Im Gegensatz dazu richtete sich die über die Fachmagazine,
Schulen und Facebook lancierte Audition für das Bundesjugendballett
an fertig ausgebildete Nachwuchstalente. Um im Berufsleben bestehen
zu können, benötigen diese heute eine schnelle Auffassungsgabe,
tanztechnische Flexibilität, hohe Belastbarkeit, fundiertes
Hintergrundwissen und eine prägnante künstlerische Persönlichkeit.
Genau diese Elemente sowie den Umgang mit verschiedenen Betriebsbereichen
eines Theaters (Werkstätten, Bühnen- und Lichttechnik,
Kostümabteilung) will das Bundesjugendballett innerhalb eines
auf zwei Jahre limitierten Beschäftigungsverhältnisses
vermitteln – und den jungen Künstlern ermöglichen,
sich durch praktische Erfahrung weiterzuentwickeln.
Mit vorwiegend eigenen Kreationen und Werken junger Choreografen
werden die aus einem Pool von über 80 Kandidaten unter anderem
aus Deutschland, Italien und Kanada Auserwählten ab der nächsten
Saison neue Räume bespielen. Wobei auf der Liste neben herkömmlichen
Theatersälen auch Schulen, Museen, Altersheime oder sogar
Gefängnisse als Aufführungsorte stehen. Ein Punkt, der – so
löblich er auch sein mag – Irritationen weckt. Denn
das machen der Kanadier Eric Gauthier und die nach ihm benannte
Dance Company am Theaterhaus Stuttgart bereits seit 2007 – überregional
und noch dazu „nebenher“ ohne Gage …
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