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Neustart in Leipzig
Ulf Schirmer und seine Pläne als Intendant · Von Midou
Grossmann
Ulf Schirmer wird ab der Spielzeit 2011/2012 als Künstlerischer
Intendant für das Opernhaus Leipzig verantwortlich sein, zudem
agiert er als Generalmusikdirektor, das allerdings schon seit 2009.
Warum er sich diese Doppelfunktion zumutet, begründet er wie
folgt: „Musiktheater ist etwas Besonderes, es kann einen
seelischen Erlebnisraum bieten, der durch nichts anderes zu ersetzen
ist, weil hier die Emotionen ungefiltert direkt das Innerste der
Menschen berühren können. Ich möchte Erzählformen
präsentieren, die viele Menschen ansprechen. Allerdings sollte
dies nicht belehrend sein und keine Schwellenängste hervorrufen.
Oper bedeutet für mich eine künstlerisch-seelische Erweiterung
des Daseins. Ich denke, dass diese Kriterien letztendlich die Existenzberechtigung
des Musiktheaters rechtfertigen, denn diese Kunstform ist eigentlich
ein Luxus, da extrem personalintensiv, allein schon wegen des Orchesters;
das aber ist nun einmal der Motor einer jeden Aufführung.
Immer noch gilt ein Opernbesuch für manche Menschen als elitäres
Vergnügen, das gilt es zu ändern. Ich möchte zuallererst
aus der Oper Leipzig wieder einen Musiktreffpunkt für viele
Bürger dieser Stadt machen.“
Übergangszeiten
Das Angebot, als GMD auch den Intendantenposten zu übernehmen,
kam für Schirmer wohl doch etwas überraschend. Alexander
von Maravic, Kommissarischer Intendant und Geschäftsführender
Direktor seit dem plötzlichen Weggang von Henri Maier im Jahr
2007, bot der Stadt seinen Rücktritt an. Dies sicherlich auch
als Reaktion auf die extremen Kürzungen sowie den permanenten
Rückgang der Besucherzahlen; die aktuelle Auslastung beträgt
sechzig Prozent. Glauben wir also, dass der Wechsel im gegenseitigen
Einverständnis stattgefunden hat. Im Leipziger Opern-Magazin
bedankt sich Schirmer bei Maravic für eine überaus harmonische
Zusammenarbeit, die durch einen hohen Grad an Menschlichkeit und
ein starkes Engagement für die Menschen, die im Hause arbeiten,
sowie von der Liebe zum Theater geprägt worden sei. Am 23.
Mai präsentierten Schirmer und sein Team die neue Spielzeit,
die für ihn allerdings eine Übergangsspielzeit ist. Hier
konnte er noch nicht so prägend eingreifen wie gewünscht.
Vorrangiges Ziel ist es, wieder ein Repertoire aufzubauen. Das
Stagione-System hat in Leipzig versagt. Kürzungen von 900.000
Euro muss das Haus nun verkraften, die Mittel betragen momentan
knapp 41 Millionen Euro, in der nächsten Spielzeit steht eine
erneute Kürzung von 450.000 Euro ins Haus. Die Einnahmen von
Oper, Ballett sowie der Musikalischen Komödie dagegen belaufen
sich auf nur knapp zehn Prozent des Etats.
Hanseatisch zurückhaltend präsentierte der Bremer Ulf
Schirmer seine Pläne für das Haus am Tag der Pressekonferenz.
Das Maravic-Team bleibt vorerst im Amt, wenngleich auch Kürzungen
im Personalbereich stattfinden werden. Kündigungen sind aber
nicht vorgesehen, einige freiwerdende Stellen sollen erst einmal
nicht besetzt werden. Schirmer will zudem versuchen, die Verwaltungsstrukturen
zu festigen und zu straffen. Schon als GMD hat er sich mit den
Gegebenheiten des Hauses intensiv auseinandergesetzt und kann nun Änderungen
ohne lange Anlaufzeit einleiten. Gleichzeitig denkt er daran, auch
die internen Finanzstrukturen flexibler zu gestalten, weil im Haus
momentan vieles zu festgezurrt sei. Außerdem setzt er auf
eine intensive Teamarbeit, auf Kommunikation nach innen sowie nach
außen. Schirmer bezeichnet seine Stimmung als verhalten positiv
und gibt sich eine Anlaufzeit von drei Jahren, um das Publikumsvertrauen
zu gewinnen. Eine profunde Selbstanalyse nach dieser Zeit sei bereits
angedacht. Pluspunkte: Chor und Orchester
Als wichtige Pluspunkte auf der Habenseite bezeichnet er das
hervorragende Gewandhausorchester, den famosen Chor sowie ein engagiertes
technisches
Team. Im Repertoire sieht er langfristig als eine Art Rückgrat
die Opern von Richard Wagner und Richard Strauss, ergänzt
von den Werken Verdis, Puccinis und Mozarts. Zeitgenössische
Werke sowie Raritäten sollen etwa fünfzehn Prozent des
Spielplans ausmachen. Der konzertante Wagner-Ring wird im November
2011 mit „Siegfried“ vorzeitig beendet, eine szenische
Ring-Inszenierung ist mit der geplanten „Rheingold“-Premiere
am 4. Mai 2013 schon fast in trockenen Tüchern. Das Inszenierungsteam
wurde noch nicht genannt, bekannt ist allerdings, dass Peter Konwitschny
nicht dabei sein wird. Dessen Vertrag läuft noch bis 2014,
und er wird mit drei Inszenierungen, von aktuell circa sieben Premieren,
pro Spielzeit vertreten sein. In der kommenden Spielzeit sind dies „Macbeth“ (Koproduktion
mit Tokio), „Iphigenie auf Tauris“ und das „Bach-Projekt
IV“ im Kellertheater. Auch die Musikalische Komödie,
die mit einem eigenen Orchester die Finanzplanung stark belastet,
ist weiterhin gut platziert, fünf Premieren sind für
die neue Spielzeit geplant. Unvorhergesehene Kosten werden schwer
finanzierbar sein, denn das Haus agiert finanziell permanent über
dem Abgrund. Das Ballett ist ein Pfund
Im Herbst wird der neue Intendant eine Befragung der Bevölkerung
starten, er möchte ganz genau wissen, wo sein Haus im Bürgerbewusstsein
verankert ist. Des Weiteren plant er, einen Dachverband für
die Jugendarbeit aller Institutionen in Leipzig zu gründen,
um die Energien noch effizienter zu bündeln. Auch das Tanztheater
hat bei ihm einen wichtigen Stellenwert: „Das Ballett ist
ein Pfund, mit dem die Oper wuchern muss. Es genießt höchste
Akzeptanz und bietet fantasievollste Choreografien. Von daher habe
ich mich entschlossen, in den nächsten Jahren mindestens eine
Ballettpremiere pro Spielzeit zu dirigieren, um meine Verbundenheit
mit den Tänzern zum Ausdruck zu bringen.“ Unter dem
Motto „Leipzig tanzt“ soll im Herbst die ganze Stadt
zum Tanzen gebracht werden. Gastspiele in Kolumbien, Brasilien
und Ludwigsburg wurden von Ballettdirektor Mario Schröder
angekündigt, ebenso vier große Premieren: „Cinderella“ (Prokofjew), „Intershop/Leipzig“, „Mörderballaden“ (nach
Nick Cave), „Herzbrennen“ (Bartók, Rachmaninow,
Orff). Zudem wird Schirmer wieder ein Chorkonzert leiten, schon
lange setzt er sich für eine spezialisierte Ausbildung zum
Chorsänger ein: „Der Beruf des Chorsängers ist
ein anspruchsvoller und ein eigenes Berufsbild. Und genauso sollte
er gelehrt werden.“ Mit Alessandro Zuppardo hat das Haus
wieder einen hervorragenden Chordirektor verpflichtet, der schon
an der Oper Frankfurt großes Können und ein hervorragendes
Klangverständnis gezeigt hat.
Vielseitige Erfahrungen
Mit Ulf Schirmer hat die wichtige Musikstadt Leipzig einen außergewöhnlichen
Musiker sowie einen enorm kreativ denkenden Kopf gewonnen, der
schon immer Verantwortung gesucht hat. So war der heute 52-Jährige
in jungen Jahren, an der Seite von Ioan Hollaender und Eberhard
Wächter, Musikalischer Berater an der Wiener
Staatsoper, erstmals im Graben stand er dort mit 22 Jahren. Auch
die Bregenzer Festspiele prägte er musikalisch seit 1989,
nachdem der legendäre Intendant Alfred Wopmann ihn als jungen
Dirigenten in Wien entdeckt hatte. In diesem Sommer dirigiert Schirmer
am Bodensee mit „André Chénier“ seine
achte große Opernproduktion. Auch die erfolgreiche Arbeit
mit dem Münchner Rundfunkorchester hat bewiesen, dass er die
Zeichen der Zeit versteht, gleichzeitig die elementaren Aufgaben
der Musik ernst nimmt und vehement verteidigt und sich nicht von
einer schnelllebigen Eventprofilierung beeindrucken oder gar verführen
lässt. Die Voraussetzungen für die Oper Leipzig sind
also nicht ganz hoffnungslos, falls nicht weitere Etat-Kürzungen
zum Alltag werden. Zudem hat Riccardo Chailly jetzt wieder Interesse
an einem Operndirigat bekundet, das für die Saison 2013/2014
angedacht wurde. Eine behutsame internationale Profilierung würde
dem Haus gut bekommen, denn es gibt nicht viele Opernhäuser,
die einen
solch wunderbaren Klangkörper wie das Gewandhausorchester
im Graben sitzen haben. Für die aktuelle Krisenzeit ist die
Stadt musikalisch momentan sehr gut bestückt, hoffen wir,
dass man dies in Leipzig auch zu schätzen lernt.
Midou Grossmann |