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Portrait

Neue Wege in der Chor-Arbeit

Ein Porträt des Chorleiters Simon Halsey · Von Andreas Kolb

Simon Halsey war 24, als ihn Simon Rattle, damals 27 und Chef des City of Birmingham Symphony Orchestra, dazu einlud, die Leitung des City of Birmingham Symphony Chorus zu übernehmen. Der junge Halsey träumte damals noch von einer Karriere als Orchesterdirigent, bis Rattle eines Tages zu ihm sagte: „Es gibt nur wenige Orchesterdirigenten, die es an die Spitze schaffen. Aber! Einmal in einer Generation gibt es einen sinfonischen Chorleiter wie Wilhelm Pitz, der mit Giulini und Karajan arbeitete, und mit dem Bayreuther Opernchor beziehungsweise dem Philharmonia Chorus London. Oder Arthur Oldham, den Dirigenten des Choeur de l’Orchestre de Paris oder des London Symphony Chorus. Das Ziel für Dich ist es, dieser Mann für unsere Generation zu sein.“ Halsey erinnert sich daran, für einen Tag etwas niedergeschlagen gewesen zu sein, doch dann habe er innerlich befreit „Ja, das will ich versuchen“ gesagt. Seither arbeitet er mit immenser Energie und ansteckender Leidenschaft daran, sich Rattles Ziel-Vorgabe anzunähern.

 
Motivationskünstler Simon Halsey. Foto: Matthias Heyde
 

Motivationskünstler Simon Halsey. Foto: Matthias Heyde

 

Seit 2001 leitet Simon Halsey erfolgreich die Geschicke des Rundfunkchors Berlin. Damals war das Musikleben in Berlin ein anderes als heute. Vor zehn Jahren war Simon Rattle noch nicht Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Der Rundfunkchor Berlin hatte bereits öfter mit den Berliner Philharmonikern gearbeitet, doch zu Claudio Abbados Zeit kooperierten diese noch häufiger mit Eric Ericson und dessen Chor aus Schweden. Angekommen in Berlin, begann Halsey, den Chor weiter zu perfektionieren.
„ Der Chor war immer sehr gut“, erinnert er sich, „aber wir haben sein Repertoire erweitert. Wir haben etwas mehr französische Musik gemacht, etwas mehr amerikanische und ein klein bisschen mehr britische.“ Auch das Szenische rückte in den Blick: etwa bei der „ritualisierten“ Matthäus-Passion mit Regisseur Peter Sellars, Beethovens Fidelio oder Wagners Götterdämmerung. „Heute sind wir regelmäßig Partner der Berliner Philharmoniker, für die nächste Spielzeit sind bereits acht gemeinsame Projekte geplant, und der Chor ist glücklich über diese Zusammenarbeit. Das Repertoire ist sehr breit, sehr interessant: Berio, Bach, Bruckner.“

Die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen Rattle und Halsey hat sich auch in Berlin ausgezahlt. Die Beziehung zwischen Orchester und Chor ist genau so gut wie die zwischen Orchester- und Chorleiter. Simon Rattle sagt: „Der Chor muss für das Orchester a cappella singen, und wir spielen mit.“ Und der Chor erfüllt das in ihn gesetzte Vertrauen voll und ganz.

Dass Halsey aus dem Rundfunkchor Berlin ein Ensemble von Weltrang geformt hat, spiegelt sich auch in den drei Grammy-Auszeichnungen wider: 2008 und 2009 für Brahms’ „Deutsches Requiem“ und Strawinskys „Psalmensinfonie“ mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle sowie 2011 für Kaija Saariahos „L’amour de loin“ mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Kent Nagano. Halseys künstlerische Ambitionen erschöpfen sich aber nicht nur in der Spitzenarbeit mit seinen Sängern. Mit dem Projekt „Broadening the Scope of Choral Music“ geht er neue Wege in der chorischen Arbeit. Beinahe wie ein Opernchor müssen Halseys Sängerinnen und Sänger in der Chor-oper „Angst“ von Christian Jost szenisch arbeiten und auswendig singen. Früher sang der Chor viele a-cappella-Konzerte auf höchstem Niveau, aber meist vor einem kleineren, eingeschworenen Publikum. Die Idee von „Broadening the Scope of Choral Music“ ist es auch, ein neues Publikum zu erreichen: Dazu geht man mit spartenübergreifenden Projekten in Museen, wie den Hamburger Bahnhof in Berlin, oder in Techno Clubs wie das „Berghain“. Etliches an Neuer Musik wurde inzwischen für den Rundfunkchor geschrieben, etwa von Jonathan Harvey oder Mark-Anthony Turnage, und für 2012 planen Halsey und der Chor das Brahms-Requiem quasi als zeitgenössisches Tanztheater gemeinsam mit der Choreografin Sasha Waltz.

Musik zu den Menschen bringen

Wer ist dieser unermüdliche Künstler und Initiator? Wie die meisten Musiker in England begann auch der 1958 in London geborene Simon Halsey als Sänger: Zwischen seinem 8. und 21. Lebensjahr sang er täglich im Gottesdienst, davon viele Jahre am King‘s College Cambridge. Sein Vater war Chordirigent, seine Mutter Sängerin. Mit 22 Jahren wurde er Musikdirektor der University of Warwick, mit 24 Jahren Leiter des City of Birmingham Symphony Chorus, eine Position, die er bis heute inne hat.

 
Der LeaderChor Berlin bei der Probe. Foto: Matthias Heyde
 

Der LeaderChor Berlin bei der Probe. Foto: Matthias Heyde

 

Allein in Birmingham gründete Halsey drei weitere Chöre für verschiedene Altersstufen sowie die City of Birmingham Touring Opera. Von 1989 bis 1994 war er künstlerischer Leiter des Salisbury Festivals, er war Chordirektor der Vlaamse Opera in Antwerpen, Gastdirigent des niederländischen Rundfunkchors Hilversum und zahlreicher weiterer Chöre. Neben dem Rundfunkchor Berlin leitet Halsey den Rundfunkchor Hilversum, verschiedene Ensembles in Birmingham sowie das Londoner Ensemble European Voices. Als Principal Conductor ist er für die Chorprogramme der Northern Sinfonia verantwortlich, die seit 2004 in Norman Fosters Kulturzentrum in Gateshead residiert.

Es gibt ein schönes Zitat von Simon Halsey, das die zentrale Idee seiner Bemühungen ausdrückt: „Es wächst eine Generation heran, die viel von Computern und Popkultur versteht, aber nichts von klassischer Musik. Man muss die Musik wieder zu den Menschen bringen.“ Wie er das macht, ist äußerst vielfältig und originell: Das kann ein Mitsingkonzert des Rundfunkchores Berlin mit Benjamin Brittens „War Requiem“ sein, das kann der Leader Chor Berlin sein, ein Chor für und mit Managern und Sponsoren, es kann der in Berlin beheimatete Chor Embassy Singers sein, es kann das von Halsey angestoßene SING!-Projekt für Grundschüler sein. „Im Mittelpunkt dieses Projekts“, so der Chorleiter, „steht nicht nur das Singen der Kinder, sondern wir lehren die Lehrer, dass Chormusik nicht nur einmal eine Stunde Singen in der Woche heißt, sondern jeden Tag ein fördernder Teil der fächerübergreifenden Arbeit sein kann.“

Und dem gigantischen Pensum zum Trotz strahlt Halsey einen angelsächsischen Optimismus aus, der manchem deutschen Kulturpessimisten und Abendlandsuntergangs-apologeten ein Beispiel sein könnte: „Auch in England sang man in den 60er-Jahren nicht mehr. Aber dort hatten wir die Renaissance 1985; sie kommt auch in Deutschland, nur ein bisschen später.“

Nicht zuletzt ist Halsey auch ein geschickt agierender Kulturpolitiker. Das Schicksal des Rundfunkchors Berlin ist abhängig von dem der ROC, der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH Berlin, in die der Chor integriert ist. Und was bringt die Zukunft, Herr Halsey? „Die Botschaft ist klar, auch was Hans-Chris-toph Rademann, Chefdirigent des RIAS Kammerchores, angeht: Wir bleiben!“

Andreas Kolb

 

 

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