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Musikalisch überwältigend

Stockhausens SONNTAG aus LICHT in Köln · Von Patrick Hahn

Karlheinz Stockhausens SONNTAG aus LICHT wurde von der Kölner Oper in Zusammenarbeit mit dem Ensemble musikFabrik uraufgeführt. In der Regie der spanischen Theatertruppe „La Fura dels Baus“ war der letzte Teil aus Karlheinz Stockhausens hypertrophem Opernzyklus über die sieben Tage der Woche erstmals szenisch zu erleben.

 
HOCH-ZEITEN für Chor: hier mit Tänzern. Foto: Klaus Lefebvre
 

HOCH-ZEITEN für Chor: hier mit Tänzern. Foto: Klaus Lefebvre

 

Allein diese Disziplin. An einem Nachmittag im Jahr 1977 skizzierte Karlheinz Stockhausen den Plan für ein Werk, das er im darauffolgenden Vierteljahrhundert ausarbeiten würde. 2003 setzte er den Doppelstrich hinter die letzte Szene, nach beinahe 30 Stunden Musik. Von Beginn an hatte er jedes Detail des gesamten siebenteiligen Opernzyklus über die sieben Tage der Woche angelegt: in der „Superformel“ zu LICHT. Kühne Pläne zu einer Gesamtaufführung des Zyklus sind bislang immer gescheitert, nicht zuletzt am gigantischen organisatorischen Aufwand, den das raumsprengende Œuvre verlangt. Dass sich nun Köln – eine Stadt, die sich gern mit Stockhausen schmückt – einer der sieben Opern annahm, war in gewissem Sinne die posthume Erfüllung einer Verpflichtung gegenüber dem 2007 verstorbenen Komponisten. Die Gelegenheit einer Umbauspielzeit nutzend hat die Oper Köln in einer Messehalle aus den 1920er-Jahren nun die Uraufführung des SONNTAG „gestemmt“ – unter großem finanziellen wie organisatorischen Aufwand.

Zwei Räume haben die „Furas“ – Carlus Padrissa (Konzeption und Regie), Roland Olbeter (Konzeption und Bühne) und Franc Aleu (Video) – in das Staatenhaus hineingebaut: einen kreisrunden und einen schuhschachtelförmigen mit einer gewässerten Spielfläche. Liegestühle empfangen den Zuschauer zunächst im „Planetarium“, in dessen Mitte der Arm eines Satelliten wie ein Uhrzeiger kreist und Planetenbilder projiziert. Man befindet sich mitten unter den Darstellern, zwischen Instrumentalisten, mit LED-Leuchten bewehrten Akteuren und auf „Prunkwagen“ und „Weltraumkränen“ bewegten Gesangssolisten: Anna Palimina und Hubert Mayer, Emanationen von Eva und Michael, von deren mystischer Vereinigung der SONNTAG handelt. Die Anmut von Paliminas Kunst überstrahlt gar die Peinlichkeit ihres weißen Plastikweltraumanzugs und der Wasserballerbadehaube, die sie – wie alle übrigen Protagonisten – zu tragen hat. Musikalisch überwältigt LICHTER-WASSER, der erste Teil, mit einer schier unendlichen Melodie, die sich wellenartig durch den Raum fortzeugt und den Hörer, dessen Verstandeskräfte in der Beinahehorizontalen bereits angeschlagen sind, mit satten Obertonharmonien einlullt. Auch das Joint Venture der ENGEL-PROZESSIONEN gelingt musikalisch erfolgreich: In sieben Sprachen preisen die Engelschöre die Schöpfung. Chorleiter James Wood rast als Dirigent gewordener Ben Hur mit einem Rollwägelchen durch den Raum und koordiniert die sieben autonomen Gruppen mit seinen lichtumkränzten Händen.

In DÜFTE-ZEICHEN kreieren „La Fura dels Baus“ mächtige Bilder, in denen sie auch vor dem Pathos der archaischsten Mittel nicht zurückschrecken. Feuer, Wasser, Wind, Erde. Die Elemente geraten mit einer Vielzahl von Tänzern in Bewegung, um die mystische Vereinigung von Eva und Michael vorzubereiten. Der Raum ist dabei erfüllt von Düften, die Stockhausen für diese Szene vorgeschrieben hat: „Hier gibt’s was zum Schnüffeln“, heißt es eingangs im typischen Stockhausentonfall, von dem man nicht weiß, ob man ihn komisch, oder nur peinlich finden soll, der Synthesizer dröhnt dazu. Die Szene gipfelt im Auftritt eines Knabensoprans aus dem Publikum, der sich im Duett mit der Altistin – die er als „Himmelsmama“ apostrophiert – als Alter Ego des Komponisten zu erkennen gibt.

Man kann der Inszenierung von „La Fura dels Baus“ vieles vorhalten, doch nicht, dass sie das Werk nicht ernst nähme: Sie ist werktreu bis in die Requisiten. Leider kommt sie dabei über ein „Micky-Mousing“ selten hinaus. Tiefpunkt ist in diesem Sinne die Szene LICHT-BILDER, eine enzyklopädische Litanei, in der Stockhausen die ganze Schöpfung aufruft. In HOCH-ZEITEN, einer Szene für Chor und Orchester, die vom Publikum zweimal in je verschiedenen, durch Einblendungen miteinander verbundenen Sälen gehört wird, blickt man ratlos auf die billige, computer-animierte Projektion von Instrumenten, die das musikalische Geschehen „bebildern“. Dennoch sind die HOCH-ZEITEN ein Höhepunkt des sechsstündigen Spektakels. Kurz vor Schluss und nach vielen Stunden harter Rezeptionstätigkeit erlebt man zum ersten Mal das berührende Moment einer echten Kommunikation zwischen Menschen. Für einmal hat in diesem Abschnitt auch die Regie aus der Musik heraus Bilder entworfen, die über das enge Korsett der Stockhausenschen Regieanweisungen hinausgehen. Hier läge der Weg, die Szenen weiter zu denken. In der Chorszene der HOCH-ZEITEN, die hier vom Band zugespielt wird, bitten die „Furas“ schließlich noch zu einer Art pankulturellem Hochzeitsritual, versetzt mit Elementen des Straßentheaters.

Die Geste der Umarmung, mit der Karlheinz Stockhausen nicht nur nach sämtlichen Religionen und Kulturen, ja, Welten greift und diese seinem Kosmos einverleibt, bleibt in ihrer Größe faszinierend – auch nach diesem Abend. Dass Stockhausen nicht nur ein großzügiger, sondern auch ein großer Komponist war, verdeutlichen der musikalische Leiter Peter Rundel, Kathinka Pasveer am Mischpult, die Darsteller der Oper Köln und das Ensemble musikFabrik in jedem Augenblick.

Patrick Hahn

 

 

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