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Gruppenbild mit Dame

Benjamin Brittens „Billy Budd“ in Düsseldorf · Von Christian Tepe

Was die Frauen betrifft, so geht es in Brittens reiner Männeroper „Billy Budd“ wie in einem alten englischen Klub zu: der Einlass bleibt ihnen verwehrt. Ein ungewohntes Bild bietet dagegen Immo Karamans Neuinszenierung für die Deutsche Oper am Rhein. Bei ihm beaufsichtigt schon im Prolog eine „Nurse“ den von den Fieberschauern seiner Erinnerungen heimgesuchten alten Kapitän Vere. Doch nicht nur das. Sogar in der Binnenhandlung, nämlich während der spannungsgeladenen Augenblicke erwartungsvoller Kriegsbegeisterung entdeckt man die geheimnisvolle Schwester inmitten der euphorischen Schiffsmannschaft. So richtig durchdacht wirkt diese durchaus effektvolle, eigenwillig enigmatische Zutat Karamans gleichwohl nicht. Schließlich bezieht die Oper ihre dramatische Energie doch aus den ungelösten homoerotischen Konflikten zwischen drei Männern, dem innerlich zerrissenen Kapitän Vere, dem sinistren Schiffsprofos Claggart und dem treuherzigen Matrosen Billy Budd.

 
Der Herrenchor mit Lauri Vasar (Billy Budd) und Florian Simson (Squeak). Foto: Hans Jörg Michel
 

Der Herrenchor mit Lauri Vasar (Billy Budd) und Florian Simson (Squeak). Foto: Hans Jörg Michel

 

Die „Nurse“ bleibt nicht der einzige Eingriff Karamans in die Werkstruktur. Auch die Verlegung der Handlung von einem englischen Kriegsschiff, das im Jahre 1797 einer französischen Fregatte nachstellt, auf ein britisches Schlachtschiff des Zweiten Weltkriegs, lässt es im dramaturgischen Gebälk heftig knirschen. Wer ist denn nun gemeint, wenn Vere mit seinen Offizieren argwöhnisch über den neuen freien Geist im Gefolge der Französischen Revolution sinniert? Immerhin ermöglicht die problematische Zeitverschiebung ein grandios labyrinthisches Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Nicola Reichert), das aus den gigantischen Stahlbau-Versatzstücken des Schlachtschiffes immer neu zusammengesetzt wird und eine ausgangslose düstere Atmosphäre heraufbeschwört. Wer mit den Arbeiten Karamans vertraut ist, der wird diese Inszenierung als geradezu exemplarisch für den Personalstil des Künstlers empfinden: die Vorliebe für martialische Uniformen, ein dunkler Bühnenraum, der weder Sonne noch Himmel kennt und besonders die unheimliche Aura der Figuren, bei denen man sich immer fragt, ob es sich nicht um die beweglich gewordenen Attrappen eines Wachsfigurenkabinetts handelt. Stets haftet Karamans Bühnengestalten etwas Scheinhaftes an. Das stimmt mit dem lichtlosen Fatalismus gerade dieser Oper noch einmal exzellent zusammen, könnte für künftige Vorhaben aber die Gefahr einer stilistischen Verengung bedeuten.

Wenn bei der besuchten Aufführung gelegentlich der Wunsch nach einer noch genaueren psychologischen Durchdringung aufkeimt, so mag das dem äußeren Umstand geschuldet sein, dass für den indisponierten Lauri Vasar in der Titelpartie Adrian Eröd am Bühnenrand den musikalischen Teil übernahm. Mit seinem nobel geführten Bariton verleiht Eröd dem vokalen Profil des jungen sprechbehinderten Matrosen selbst noch in den für Billy zutiefst peinvollen Situationen der stammelnden Rede Wohlklang und poetischen Ausdruck. Clive Bayley als Claggart ist für den unpässlichen Sami Luttinen ebenfalls mehr als nur ein Ersatz. Nach den cholerischen Ausbrüchen in den Ensembleszenen zeichnet Bayley das präzise und keineswegs eindimensionale vokale Portrait eines unglücklichen Menschen, der seiner uneingestandenen Neigung für Billy wehrlos ausgesetzt bleibt - mit den tödlichen Folgen für Billy und Claggart selbst. Raymond Very, unter den Protagonisten aus der Stammbesetzung übriggeblieben, entfaltet den Kapitän mit feinen Nuancierungen in allen Lagen.

Die Deutsche Oper am Rhein gehört zu den Häusern, die man schon allein deshalb besucht, um den Chor zu erleben. Unter Gerhard Michalski als sensiblem Chor-Pädagogen hat sich das Ensemble in monumentalen Choropern wiederholt die Aussagekraft eines großen Solisten erarbeitet, so wie nun in der neuen Britten-Produktion, an deren Erfolg der Herrenchor auch darstellerisch einen hohen mitschöpferischen Anteil hat. Die Matrosenlieder werden nicht als folkloristische Farbeinsprengsel aufgefasst, sondern mit genauem Gespür für ihre jeweilige dramatische Funktion aus dem musikalischen Kontext herausgebildet. Kaum vorstellbar, dass es einmal Zeiten gab, in denen man Brittens Musik mit abwertenden Epitheta wie eklektisch oder illustrativ belegt hat. Das Vorurteil vom geschickten Theaterpraktiker ohne Substanz räumt Peter Hirsch mit seinem gelassenen Dirigat endgültig ab. Hirsch und die Düsseldorfer Symphoniker legen in Brittens Musik eine Klangphilosophie offen, die weit über die Möglichkeiten des Sprechtheaters, erst recht der diskursiven Philosophie hinausweist. Mit der berühmten Sequenz lang ausgehaltener Akkorde, die der Verklärung des Helden vorausgehen oder den virtuos gemeisterten Bläserstellen, die gleichsam dem symbolischen Nebel auf dem Meer nachhorchen, reicht diese Musik, dies wird deutlich, an letzte Fragegründe menschlicher Existenz heran.

Christian Tepe

 

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