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Authentische Darstellung von Wahnsinn

„Der Protagonist“ beim Kurt-Weill-Fest Dessau · Von Andreas Hauff

Abseits von „Dreigroschenoper“, „Mahagonny“ und den „Sieben Todsünden“ haben es Kurt Weills Bühnenwerke immer noch schwer. Das liegt nicht nur an den Argus-Augen der Kurt-Weill-Foundation und der Unkenntnis der Theatermacher, sondern auch an der Geschwindigkeit, mit der Weill selbst auf die Zeitläufte reagierte. Im „Windkanal“ der Weimarer Republik verlief die Entwicklung in Politik, Gesellschaft und Kultur wie im Zeitraffer.

 
Iordanka Derilova, Angus Wood, Cezary Rotkiewicz, Ines Peter, Adam Fenger.
 

Iordanka Derilova, Angus Wood, Cezary Rotkiewicz, Ines Peter, Adam Fenger.
Foto: Jan Pieter Fuhr

 

Weills Opern-Erstling, der am 27.3.1926 in Dresden uraufgeführte expressionistische Einakter „Der Protagonist“, beeindruckte die Zeitgenossen kaum weniger als Alban Bergs „Wozzeck“, der dreieinhalb Monate zuvor in Berlin herausgekommen war. Doch während Berg dann bis zu seinem Tod 1935 an „Lulu“ arbeitete, entwickelte Weill in der Zwischenzeit den populären Songstil, ohne den kein Weill-Fest denkbar wäre, integrierte diesen in größere Bühnenwerke und experimentierte weiter – auch nachdem er sich 1933 gezwungen sah, Deutschland zu verlassen. Im Ohr blieben dem deutschen Publikum fast nur die Songs der „Dreigroschenoper“.

Die Entscheidung, zum 19. Kurt-Weill-Fest in Dessau den „Protagonisten“ mit Leoncavallos beliebtem „Bajazzo“ („I Pagliacci“) von 1892 zu kombinieren, sorgt nicht nur für die Repertoire-Fähigkeit der Aufführung am Anhaltischen Theater, sondern stellt auch Weills Einakter in den Kontext damaliger Opernspielpläne. Man darf vermuten, dass schon Georg Kaisers Schauspiel „Der Protagonist“, das wenig verändert der Oper als Vorlage diente, eine Reaktion auf das „Bajazzo“-Sujet darstellte. Dort tötet Canio, Chef einer vierköpfigen Schauspieltruppe, seine Frau Nedda während einer Aufführung - aus Eifersucht wegen ihrer Affäre mit einem Unbekannten.

Der Protagonist, ebenfalls Chef einer vierköpfigen Schauspieltruppe (diesmal im Shakespeare-England), fällt ähnlich aus der Rolle, wenn er während einer Probe seine Schwester umbringt. André Bücker, Regie führender Intendant des Anhaltischen Theaters, findet in dieser Konstellation eine inzes-tuöse Beziehung. Wichtiger ist, dass der hypernervöse Darsteller die Schwester braucht, um den Realitätskontakt nicht zu verlieren. Sie hat allerdings seit einiger Zeit einen Liebhaber. Wissend um die psychische Labilität ihres Bruders, nutzt sie die Probe einer heiter-deftigen Ehebruchs-Pantomime, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen. Als sie ihm kurze Zeit später den Mann vorstellen will, hat der Auftraggeber, ein Herzog, inzwischen ein Stück mit tragischem Ausgang bestellt. Und während der Protagonist mit seinen Leuten spontan die Umkehr des heiteren Sujets improvisiert, steigert er sich so sehr in die Rolle des eifersüchtigen Ehemanns, dass er im Affekt die eigene Schwester ersticht.

Die Oper schließt nicht mit diesem veris-tischen Knalleffekt, sondern einem eigenartigen Epilog: Der Protagonist bittet die Wachen, die fällige Verhaftung erst nach der Aufführung vorzunehmen, und verspricht dafür als künstlerischen Hochgenuss die denkbar authentische Darstellung von Wahnsinn. Weill geht mit diesem eigenartigen Szenario sehr bewusst um. Während die vielstimmig polyphone Partitur expressionistisch aufgeladen erscheint, steht die heitere Pantomime in einem neoklassizistischen Tonfall, und in der tragischen Pantomime mischen sich beide Stile. Diese musikalische Ebene wird noch mit einer Art instrumentalem Theater kombiniert, denn das zwölfköpfige Blasorchester des Herzogs wechselt zwischen Bühne und Orchestergraben. Wenn Weill dem Protagonisten am Ende einen veristischen Tonfall unterlegt, entlarvt er damit das Klischeehafte des übersteigerten Geniekultes.

Das Regieteam (mit Ausstatter Oliver Proske und Choreografin Gabriella Gilardi) verzichtete auf die Bläserwanderung und ersetzte die herzoglichen Musikanten durch junge Statisten mit Spielzeuginstrumenten. Sie stammten aus dem Kinderchor, der seinen eigentlichen Auftritt im „Bajazzo“ hatte. Überhaupt gelang sehr sinnfällig die Verklammerung der beiden Opern. Ein kleiner, als Tod kostümierter Statist, stach zu Beginn des „Protagonisten“ das Messer in die Bühne, mit dem beide Frauen in nahezu identischen Bühnenpositionen ermordet wurden, und beschloss mit seiner Verbeugung auch den „Bajazzo“. Der komödiantische Geist der heiteren Pantomime im ersten Stück fand im zweiten seine ironische Korrespondenz beim feierlichen Kirchgang, bei dem Männer und Frauen mehrfach die Partner wechselten.

Oliver Proskes Bühnenbild wartete im „Protagonisten“ mit witzigen Details auf, und durch das Herunterklappen einiger Bauelemente wurde aus dem großen Wirtshaussaal nach der Pause eine innerstädtische Silhouette. Anrührend und mit starker stimmlicher Ausstrahlung sang Iordanka Derilova die beiden weiblichen Hauptrollen. Den männlichen Affekttäter teilten sich Angus Wood als Protagonist und Sergey Drobyshevskiy als Canio. Beide sangen und agierten ausgezeichnet. Auch die übrigen Darsteller einschließlich des von Helmut Sonne einstudierten Opernchors überzeugten rundum. Unter dem neuen GMD Antony Hermus spielte die Anhaltische Philharmonie mit Präzision, Farbenreichtum und Ausdruckswillen, wie man sie an größeren Häusern nicht besser erwarten könnte.

Andreas Hauff


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