Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Bekenntnis zum Ensembletheater
Ulrike Hessler, Intendantin der Semperoper, im Gespräch
Das BIP ist nicht der Maßstab
Gespräch mit der Grünen-Politikerin Agnes Krumwiede über den Tanz
Eine Messe für die Chöre
Der Deutsche Chorverband im Gespräch
Am „deutschen Broadway“
Neue Modelle im Musicalgeschäft

Berichte
Es ist so eine Sache mit der Religion
„ An den Wassern zu Babel“ in Aachen
Brechung und Parodie
„Der Vetter aus Dingsda“ in Bremen
Treibstoff für die Liebe
Emil Nikolaus von Rezniceks „Benzin“ in Chemnitz
Wie aufgeschreckte Hamster
Calixto Bieitos „Fidelio“ in München
„Aurora“ feiert Erfolge in Sevilla
Das Bayerische Staatsballett auf Tournee

VdO-Nachrichten
www.vdoper.de jetzt auch „intern“
Der neue Webauftritt der VdO
Nachrichten
Schmalspurlösung zum NV Bühne – Korrekturen in Berlin – Neuer HTV in Dessau – Überleben in Görlitz – Wir gratulieren
Alles, was Recht ist
Steuerliche Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein häusliches Übungszimmer – Einsicht in die Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Stellenmarkt
Spielpläne 2010/2011
Festspielvorschau (pdf)

 

Konzepte der Tanzkultur

Margrit Bischof und Claudia Rosiny (Hg.), Konzepte der Tanzkultur – Wissen und Wege der Tanzforschung, transcript Verlag, 230 Seiten, 24, 80 Euro

Noch jede Kunst hat zu Reflexion und wissenschaftlicher Durchdringung gereizt – Ballett jedoch eher nur zu ästhetischer Betrachtung und his-torischer Aufarbeitung. Erst als „die Kunst der Bewegung“ in freie, auch grenzüberschreitende Formen ausbrach, wurde sie zum begehrten Objekt von Theorie und Wissenschaft. Die Tanzwissenschaft, zunächst lediglich schwächliches Anhängsel der Theaterwissenschaft, ist dabei, sich als starkes akademisches Fach an den Universitäten durchzusetzen, wodurch auch das begleitende Schrifttum einen sichtbaren Aufschwung nimmt. Im Zusammenhang mit dem Nachdiplomstudiengang „Tanzkultur“ der Universität Bern haben Margrit Bischof und Claudia Rosiny jetzt „Konzepte der Tanzkultur – Wissen und Wege der Tanzforschung“ in der Reihe „Tanz Scripte“ herausgegeben: Der freie Tanz wird hier in 14 Essays, entsprechend seiner vielfachen Ausrichtung und seiner immer intensiveren Grenzgang-Neigung, beleuchtet.

Christoph Wulf, in der Anthropologie zu Hause, sieht im Tanz unter anderem eine körperlich-emotionale Ausübung, die Ordnung und Regelhaftigkeit herausbildet, auch Gemeinschaft fördert. Für ihn bedeuten die „Praktiken des ‚immateriellen‘ – nicht in Monumenten festgehaltenen – kulturellen Erbes und insbesondere die Tänze Möglichkeiten, sich gegenüber dem Fremden zu öffnen und Erfahrungen im Umgang mit kultureller Vielfalt zu machen“.

Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter erklärt in ihrem Essay „Tanz Zeigen“ sehr klar die Entwicklung verschiedener Performanceformen, von der Forschungs-Performance eines Xavier LeRoy bis zur Lecture-Performance eines Jerôme Bel. Ersterer kombiniert seinen eigenen Werdegang als Mikrobiologe mit den von ihm spät gelernten Tanz-Trainingselementen. Der andere strukturiert/inszeniert die Lebensgeschichte eines Tänzers und lässt ihn abwechselnd Tanz-Szenen vorführen. Diese Mischform von „Sagen und Zeigen“ hat sich ja auch erfolgreich als Performance-Genre etabliert.

Die Sport- und Tanzsoziologin Gabriele Klein bringt in ihrem Beitrag „Tanz als Aufführung des Sozialen“ bekannte Choreografie-Beispiele, an denen sich soziale und Geschlechterordnungen ablesen lassen: die aus Standesgründen scheiternde Liebe zwischen dem einfachen Mädchen „Giselle“ und dem Adeligen Albrecht steht mittelbar für die bürgerliche Konvention im 19. Jahrhundert; Sasha Waltz‘ „Allee der Kosmonauten“ sind getanzte Bilder zum Plattenbau-Lebensstil im 20. Jahrhundert. Klein, die den wechselseitigen Bezug von Tanz und Gesellschaft durch die Jahrhunderte verfolgt, macht diesen Bezug besonders klar für den Absolutismus unter Louis XIV. Dem Tanz sei damals eine symbolische, gesellschaftsregulierende und machtdemonstrative Funktion zugekommen: „Die (...) Choreografien waren so aufgebaut, dass die mittanzenden Höflinge den ihnen zugewiesenen sozialen Status am Hofe über ihre Rolle in den Balletten erfuhren und im Tanz einer höfischen Öffentlichkeit demonstrierten.“

Zu diesen anthropologischen und kultursoziologischen Betrachtungen gesellen sich Beiträge, die bildungstheoretische, ästhetische und methodische Zugänge zum Tanz erhellen. Das Buch deckt so gut wie alle tanztheoretischen Fragen und Phänomene ab, vom tanzenden Körper als kulturellem Gedächtnis, als lebendem Archiv (Gerald Sigmund), bis zu Tanz-konservierenden Materialien (Jeschke/Vettermann); von der Tanzpädagogik bis zu Produktionsbedingungen und Marktmechanismen. Ein kompaktes, wissenschaftlich nützliches Buch!

Eine kritische Anmerkung dennoch: Nach tanzwissenschaftlicher Manier wird, bei den einen Autoren mehr, bei den anderen weniger, Selbstverständliches bis in seine atomaren Teile zerlegt. Akademische Verfahrensweisen – gewiss. Aber sind sie wirklich nötig? Und beraubt sich die „Akademia“ nicht eines breiten Lese-Publikums, das sehr wohl an Tanz interessiert ist, aber wenig Lust hat, sich mit verwissenschaftlichtem Insidervokabular herumzuquälen (Alterität, Materialität, Kulturalität, Performativität…). Beispiel bei Gabriele Brandstetter, Seite 51: „Aus der Thematisierung dieser Parallelisierung und Verschränkung von Diskurs und Körper-Performance präpariert er (Xavier LeRoy) freilich noch eine Pointe des Zeigens heraus, die über die Einbeziehung und Ausstellung des Subjektiven im Vortrag hinausweist.“. Muss Wissenschaft und gerade die der doch sinnlichen Tanzkunst dermaßen dröge sein? Das Traurige an diesem seminaristischen Nominalstil ist, dass er sich von Generation zu Generation vererbt. Denn nichts machen junge Menschen selbstverständlicher, als ihre Lehrer nachzuahmen.

Malve Gradinger

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner