|

Es ist so eine Sache mit der Religion
„An den Wassern zu Babel“ in Aachen · Von Andreas Hauff An den Wassern zu Babel“ heißt die neue spartenübergreifende
Uraufführung am Theater Aachen. Mit „An den Wassern
zu Babel“ beginnt in der Bibel Psalm 137, in dem die verschleppten
Israeliten ihre Situation im Exil beklagen. „An den Wassern
zu Babel“ (in lateinischer Sprache) heißt auch die
Psalmvertonung des französischen Barock-Komponisten Michael-Richard
Delalande, die Chefregisseur Ludger Engels etappenweise musizieren
lässt. Szenen aus dem Alten Tes-tament für Sänger,
Schauspieler, Chor und Orchester“ lautet der Untertitel der
Produktion, bei der das Opernensemble, der Sinfonische Chor Aachen
und das Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung von Volker Hiemeyer
den musikalischen Part bestreiten. Die Texte, eine Auftragsarbeit
für das Theater Aachen, schrieb der polnische Schriftsteller
Tomasz Man.
Glaube, Hoffnung, Liebe“ heißt das aktuelle Spielzeitmotto.
Aber es ist so eine Sache mit der Religion. Drei Viertel der westlichen
Kunst seien ohne Kenntnis der Bibel und der Heiligengeschichten
nicht zu verstehen, meinte Ende 2009 der italienische Autor und
Medienwissenschaftler Umberto Eco, und beschrieb eindrucksvoll
den Verlust kultureller Grundbegriffe. Das Aachener Programmheft
zitiert den Publizisten und Philosophen Peter Sloterdijk: „Überall
auf der Welt wird kräftig geglaubt, nur bei uns hat man die
Ernüchterung verherrlicht.“ In der Tat, selbst zwischen
den USA und Europa tut sich hier eine beträchtliche Kluft
auf. Andererseits ist Kirchenmusik nach wie vor ein beträchtlicher
Attraktionsfaktor der christlichen Kirchen – ohne dass sie
religiöses Wissen oder gelebte religiöse Praxis der Konzertbesucher
voraussetzt.
Inhaltlich zeugt die Aachener Produktion von der Schwierigkeit,
das Thema „Religion“ zu reflektieren. „Unser
Wissen über das Alte Testament ist ja im Prinzip ein Kinderwissen“,
glaubt Regisseur Engels. Entsprechend naiv fällt der Versuch
aus, Gestalten wie Noah, Moses oder Hiob von sakraler Überhöhung
zu befreien und sie als Menschen dem Publikum näherzubringen.
Wie Mans Text biblische Szenen wörtlich nimmt und in alltägliche
Sprache übersetzt, gerät plakativ. Natürlich sind
alttestamentarische Erzählungen oft brutal und wenig erbaulich,
doch in der alten griechischen Mythologie geht es kaum freundlicher
zu. Nur nimmt diese niemand für bare Münze, während
das Aachener Inszenierungsteam glaubt, auf theologische, historische,
kulturanthropologische oder psychologische Hintergründe verzichten
zu können. So wird Religion dann tatsächlich zum gespenstischen
Wiedergänger, wie ihn Sloterdijk an die Wand malt.
Engels ordnet die gewählten Bibel-Ausschnitte nach den Schwerpunkten „Entstehung
von Religion“, „Religion als Gesetz“ und „Verteidigung
des Gesetzes“. Ihn interessiert dabei insbesondere, wie sich
Gesellschaft über Religion konstituiert. Überzeugend
entfaltet die Regie das aggressive und das ausgrenzende Moment.
Beeindruckend gerät auch die Szene aus dem Buch der Richter
zwischen Jiftach und seiner Tochter. Dass Religion im Leiden auch
Trost stiftet, deutet sich in der etwas klischeehaften Darstellung
des Opernchores als über die Bühne irrende Flüchtlingsgruppe
immerhin noch an. Doch die prophetischen und messianischen Passagen
des Alten Testaments, in denen Religion dann Gesellschaftskritik übt,
fehlen. In jeder Aufführung kommt nach der Pause ein Vertreter
einer der in der Stadt Aachen existierenden Religionsgemeinschaften
zu Wort. In der zweiten Vorstellung blieb einem evangelischen Pastor
der wichtige Hinweis vorbehalten, dass das Alte Testament eben
keine Heroen und keinen unfehlbaren Gott zeigt, sondern einen,
der irrt, Reue zeigt und dazulernt.
Die Musik liegt zu den Szenen der Handlung eigenartig quer. Von
Not und Verzweiflung, Hoffnung und Erlösung künden die
Psalmvertonungen. Delalandes „Super flumina“ wird vom
Orchester zwar zupackend und schlank begleitet, gerät dem
Chor aber erstaunlich schwerfällig. Einfühlsam, warm
und gut phrasiert erklingen Mendelssohns Kompositionen der Psalmen
42, 98 und 115. Mit zwei „Liedern des verliebten Muezzins“ von
Karol Szymanowski rückt etwas unvermittelt der islamische
Kulturkreis in den Blick; ein passendes szenisches Pendant zu musikalischer
Verzückung und Diesseitsbejahung fand sich hier anscheinend
nicht. Bei den zwei Nummern aus Giacinto Scelsis „Vier Stücke über
eine einzelne Note“ dagegen hält die szenische Spannung.
Edgar Varèses „Dance for Burgess“ begleitet
den Tanz ums Goldene Kalb. Dem wilden „Doundou Tchil“ aus
Olivier Messiaens Liedzyklus „Harawi“ verleiht Astrid
Pyttlik starke sängerische und darstellerische Ausstrahlung.
Überhaupt beeindruckt das aus Oper und Schauspiel gemischte
Ensemble durch Geschlossenheit, Ausstrahlung und stimmliche Sicherheit.
Die Personenführung der Solisten ist von unaufdringlicher
Souveränität, Regietheater-Klischees sind wohltuend vermieden.
Am Ende kommt mit einer gro-ßen Gebetsszene die rituelle
Dimension der Musik stärker in den Blick. Doch spätestens
als eine viel zu kurze Delalande-Phrase den Abend beschließt,
wird deutlich, dass das Programm nicht von der Musik her gedacht
ist.
Andreas Hauff
|