
Das BIP ist nicht der Maßstab
Gespräch mit der Grünen-Politikerin Agnes Krumwiede über
den Tanz
Sie ist die einzige Musikerin im Deutschen Bundestag: Agnes Krumwiede,
34 Jahre jung, engagiert für die Kulturpolitik. Als Neuling
im Parlament wurde sie von ihrer Partei, den Grünen, sofort
zur Obfrau im Kulturausschuss und zur kulturpolitischen Sprecherin
bestimmt. Im Kulturausschuss hat sie dafür gesorgt, dass erstmals
vier Tanz-Expertinnen zu einer Anhörung geladen wurden und
dort aus ihrer Arbeitspraxis berichten konnten: Madeline Ritter
(Tanzplan Deutschland), Sabrina Sadowska (Stiftung TANZ – Transition
Zentrum Deutschland), Miriam Wolff (Tänzerin) und Christiane
Theobald (Staatsballett Berlin). Außerdem hat sich Agnes
Krumwiede für die Stiftung Tanz-Transition eingesetzt. Über
die Lage der Tänzer in Deutschland sprach Barbara Haack für „Oper & Tanz“ mit
der engagierten Kulturpolitikerin.
Oper & Tanz: Sie haben sich als Bundestagsabgeordnete in den
vergangenen Wochen und Monaten für das Thema Tanz stark gemacht.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Tanz?
Agnes Krumwiede: Ich wollte immer
gerne tanzen lernen und war auch als Kind in einer Ballettgruppe,
habe mir dort aber den Arm gebrochen
(weil ich im Tanzen einfach hoffnungslos unbegabt bin). Das war
das Ende meiner Karriere. Für meine zweite Leidenschaft, das
Klavierspiel, erschien der Tanz dann so gefährlich, dass ich
beschlossen habe, damit aufzuhören. Ich habe aber nach wie
vor eine große Liebe zum Ballett. Auf die prekäre Situation
der Tänzer wurde ich zum ersten Mal aufmerksam, als ich kurz
nach meinem Studium am Ingolstädter Theater ein Engagement
bei einem Drei-Sparten-Projekt hatte, an dem auch Tänzer beteiligt
waren. Die Tänzer wurden mit Abstand am schlechtesten bezahlt.
Dabei ist der Tanz die künstlerische Ausdrucksform mit der
extremsten körperlichen Belastung, abgesehen von den hohen
Anforderungen an die Konzentration. O&T: Sie beziehungsweise die Grünen haben dafür gesorgt,
dass erstmals Tanz-Expertinnen in den Kulturausschuss des Bundestags
eingeladen wurden. Warum hat der Tanz aus Ihrer Sicht bisher eine
Stiefkindrolle in der Bundeskulturpolitik gespielt?
Krumwiede: Diese Rolle haben auch andere kreative Berufe. In der
Kulturpolitik der Koalition gibt es das Stichwort der „gesamtstaatlichen
Bedeutung“. Das ist zum Beispiel die Hauptstadtkultur, das
sind auch die Wagner-Festspiele in Bayreuth oder Ruhr.2010. Die
Künstlerförderung in vielfacher Ausrichtung bleibt auf
der Strecke. Aber wenn wir uns nicht intensiver um die soziale
und finanzielle Absicherung von Kulturschaffenden bemühen,
ist der künstlerische Nachwuchs und somit das Fortbestehen
unserer vielfältigen Kulturlandschaft nicht mehr gesichert.
Willkürliche Verteilung
O&T: Sie haben die Finanzierung
der Bayreuther Festspiele schon früher kritisch thematisiert.
Ist es nicht so, dass hier ein Kulturgut gegen das andere ausgespielt
wird?
Krumwiede: Ich habe nicht die Finanzierung
der Bayreuther Festspiele an sich in Frage gestellt, sondern ganz
grundsätzlich die
Mittelvergabe aufgrund „gesamtstaatlicher Bedeutung“.
Damit hat der Bund trotz Kooperationsverbot die Möglichkeiten,
Kulturevents oder -institutionen direkt zu bezuschussen. Momentan
ist die Verteilung mit der Begründung „gesamtstaatliche
Bedeutung“ willkürlich und intransparent, wir benötigen
eine klare Definition und nachvollziehbare Verteilungskriterien.
Es geht mir nicht darum, den Wagner-Festspielen die gesamtstaatliche
Bedeutung absprechen zu wollen oder Kulturgüter gegeneinander
auszuspielen. In meiner Rede zur zweiten Lesung des Kulturhaushaltes – auf
deren Inhalt Sie anspielen – habe ich gesagt: „Warum
werden immer die Kulturevents mit Bundesmitteln vergoldet, die
sowieso schon glänzen?“ Es gibt aktuell so viele Kultureinrichtungen
in Deutschland, die von Schließungen bedroht sind. Solange
nicht eindeutig festgelegt ist, was eine „gesamtstaatliche
Bedeutung“ ausmacht, halte ich es für durchaus berechtigt,
zu hinterfragen, warum ein Kinder- und Jugendtheater – wie
das „Thalia“ in Halle – weniger gesamtstaatliche
Bedeutung besitzen soll als beispielsweise die Kunsthalle in Bremen,
welche aus dem Kulturetat 2011 mit eben dieser Begründung
fünf Millionen Euro erhält. In Leipzig müssen die
Oper, das Gewandhaus und das Centraltheater wegen der Novellierung
des Sächsischen Kulturraumgesetzes dramatische Einschnitte
in Kauf nehmen. Hier kommt der Bund nicht mit der Begründung
der „gesamtstaatlichen Bedeutung“ zu Hilfe, während
die Wagner-Festspiele jedes Jahr mit 2,3 Millionen Euro bezuschusst
werden –ein Event, das sich gerade wegen seiner internationalen
Beachtung und Beliebtheit stärker durch Eigenmittel tragen
könnte. Die Bewahrung unserer einzigartigen kulturellen Vielfalt – das
verstehe ich als kulturpolitische Aufgabe von gesamtstaatlicher
Bedeutung.
Anhörung im Bundestag
O&T: Sie hatten im Bundestag sehr kompetente Gesprächspartnerinnen
aus verschiedenen Bereichen des Tanzes. Welche Erkenntnisse konnten
Sie aus der Anhörung gewinnen?
Krumwiede: Ein Thema war, wie schwierig
es ist, nach der aktiven Tänzerlaufbahn den Weg in einen anderen Beruf zu finden. Für
die meisten Tänzer ist die Karriere mit 35 oder 40 Jahren
beendet. Wenn sie anschließend zum Arbeitsamt gehen, gelten
sie dort als ungelernt. Dadurch geht unserer Gesellschaft viel
kreatives Potenzial verloren. Es gibt ehemalige Tänzer, die
zum Beispiel als Verkäufer im Supermarkt oder als Hausmeister
vermittelt werden. Das ist symptomatisch für unsere Gesellschaft:
Wir haben eine sehr geringe Wertschätzung für kreative
Leistungen. O&T: Welche Möglichkeiten sehen Sie für Umschulungsmaßnahmen?
Krumwiede: Die Umschulungsmaßnahmen in zertifizierte, dem
Tanz nahe stehende Berufe wie zum Beispiel Physio- oder Ergotherapie
werden von der Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht finanziert,
weil diese Ausbildungen länger dauern als zwei Jahre, die
BA aber nur maximal zwei Jahre finanziert. Das halten wir für
einen großen Missstand. Die Menschen sollen im neuen Beruf
doch davon profitieren, was sie vorher gemacht haben. Dazu wollen
wir eine parlamentarische Initiative starten: Umschulungsmaßnahmen
in dem Tanz nahe stehende und zertifizierte Berufe sollen auch über
zwei Jahre hinaus über die BA finanziert werden. Für
Pflegeberufe und im Erziehungsbereich haben das Bündnis 90/Die
Grünen in einem Antrag auch schon gefordert. Es ist für
den Staat kostengünstiger, ein Jahr mehr Umschulung oder Weiterbildung
zu finanzieren, wenn dafür ein Langzeit-Hartz-IV-Empfänger
weniger unterstützt werden muss. Wir wollen mehr Menschen,
die aus unterschiedlichen Gründen ihren gelernten Beruf nicht
mehr ausüben können, auf dem Arbeitsmarkt erhalten – möglichst
in Berufen, die ihren Neigungen und Begabungen entsprechen.
Etwas anderes ist es, wenn Tänzer noch einmal studieren wollen.
Mit 35 erhält man kein BAföG mehr. Die Tänzer können
sich das Studium dann über die Rentenkasse finanzieren. Dafür
muss man allerdings 15 Jahre in die deutsche Rentenkasse eingezahlt
haben. Viele Tänzer haben jedoch auch im Ausland gearbeitet,
und diese Zeit wird von der Rentenkasse nicht angerechnet. Auch
das ist ein Hebel, an dem wir drehen möchten.
Tänzer in die Schulen
Die Expertinnen im Bundestag haben
auch über das Thema Bildung
gesprochen. Es wurde berichtet, dass viele Tänzer, die nicht
mehr aktiv auf der Bühne stehen, sehr gerne in die Schulen
gehen und dort Tanz unterrichten. Ich selbst habe in Ingolstadt
den Verein „Künstler an die Schulen e.V.“ gegründet,
weil ich davon überzeugt bin, dass wir alle unsere zivilgesellschaftlichen
Energien bündeln müssen, um mehr Angebote für künstlerische
Aktivitäten an Bildungseinrichtungen zu ermöglichen.
(Ganz besonders, so lange mehr kreative Inhalte in unserem Bildungssystem
von der politischen Mehrheit nicht gewollt sind.)
O&T: Es wurde im Kulturausschuss auch über die soziale
Lage der aktiven Tänzer gesprochen, mit der es nicht zum Besten
steht.
Krumwiede: Wir haben in Deutschland
die Künstlersozialkasse,
eine große Errungenschaft. Dort gibt es aber erst nach sechs
Wochen Krankengeld. Für Tänzer, bei denen Berufsunfälle
auf der Tagesordnung stehen, ist das ein Problem. Es gibt zwar
die Möglichkeit, über die KSK eine Zusatzversicherung
abzuschließen. Aber das ist für die meisten Tänzer
nicht finanzierbar. Laut einer Studie des Fonds Darstellende Künste über
die Einkommenssituation von Theatermitarbeitern und Tänzern
im Jahr 2009 sind zwei Drittel der Theater- und Tanzschaffenden
in Deutschland arm und leben unter der Armutsgrenze in Höhe
von 11.256 Euro im Jahr. Das liegt auch daran, dass wir es in diesen
Berufsgruppen oft mit Kurzzeit-Engagements zu tun haben. Die wenigsten
Tänzer haben das Glück, in ein festes Engagement zu kommen.
Zwischen einzelnen Engagements müssen die meisten dann beim
Arbeitsamt Hartz IV beantragen. Gerade bei Künstlern sind
doch aber Phasen, in denen sie nicht beschäftigt sind, keine
Phasen, in denen sie nichts tun. Sie trainieren ja weiter. O&T: Sehen Sie auf politischer Ebene Möglichkeiten, an
der sozialen Lage der Tänzer zu drehen?
Krumwiede: Meiner Ansicht nach
benötigen wir eine Erhöhung
der Tarife und auch die Einführung einer Honoraruntergrenze
für akademisch-künstlerische Berufe. Außerdem sollten
spezialisierte Berater als Ansprechpartner für Kulturschaffende
bei der BA eingesetzt werden. Weitere Überlegungen sind, Umschulungsmaßnahmen
in dem Tanz verwandte zertifizierte Berufe in vollem Umfang über
die BA zu finanzieren und die Vermittlungskriterien der BA so zu
modifizieren, dass kreative Qualifikationen bei der Weitervermittlung
in Berufe nach der aktiven Tätigkeit als Tänzer anerkannt
werden.
O&T: Wie sehen Sie die Rolle der Künstlergewerkschaften
in diesem Bereich?
Krumwiede: Vielleicht liegt es im Wesen vieler Künstler begründet,
sich nicht in Berufsverbänden zu engagieren. Kreative sind
Freigeister und haben Angst, vereinnahmt zu werden. Ich persönlich
denke: Freigeister gemeinsam erreichen mehr als einer allein. Wenn
Künstler zusammenhalten, können sie mehr für ihre „Zunft“ erreichen.
Ich wünsche mir übrigens auch mehr Künstler und
Kreative in der Politik.
Ich möchte eine Stimme sein für die Kreativen in der
Politik. Das Gute ist: Ich bin eine ziemlich große Nervensäge,
was grüne und kulturpolitische Ziele betrifft. Das ist recht
hilfreich. So kann manchmal sogar etwas von Seiten der Opposition
bewegt werden. Wie zum Beispiel auch beim Thema Transition.
Tanz-Transition
O&T: Die Stiftung TANZ – Transition
Zentrum Deutschland, bei der es genau um den Übergang aktiver
Tänzer in das „Leben
danach“ geht, ist ja noch recht jung und wurde bisher von
der Bundeskulturstiftung gefördert. Diese Förderung läuft
jetzt aus. Die Grünen haben im Bundestag einen Antrag auf
eine Förderung von 50.000 Euro gestellt. Dieser Antrag wurde
abgelehnt. Bedeutet das das Ende der Stiftung?
Krumwiede: Den Antrag haben die
Grünen im Nachtragshaushalt
eingebracht, er wurde von der SPD mitgetragen. Gerade die Opposition
arbeitet im Kulturausschuss sehr gut und oft einvernehmlich zusammen.
Ich war fassungslos – und das habe ich auch in meiner letzten
Rede im Bundestag eindringlich betont –, dass bei einem Kulturetat
von 1 Milliarde Euro diese geringe Summe von 50.000 Euro abgelehnt
wurde. Für Sportler gibt es ein vergleichbares Angebot, das
von der Bundesregierung finanziert wird: 33 Akteure unterstützen
bundesweit Sportler beim Übergang in einen neuen Beruf. Warum
soll es das nicht auch beim Tanz geben?! Einige Wochen nach meiner
Rede hat der Kulturstaatsminister signalisiert, dass die Stiftung
2011 nun doch finanziert werden soll. Es ist schön zu sehen,
dass man durch Überzeugungsarbeit auch in der Opposition etwas
für die Sache erreichen kann.
O&T: Wie sicher ist es, dass diese Finanzierung nun auch tatsächlich
realisiert wird?
Krumwiede: Das ist sicher. Mittlerweile
hat die Stiftung Tanz-Transition schon die offizielle Zusage des
BKM erhalten O&T: Dauerhaft?
Krumwiede: Zunächst für 2011.
O&T: Wie beurteilen Sie die Tanz-Situation
in Deutschland im internationalen Vergleich?
Krumwiede: Miriam Wolff hat bei der Anhörung im Kulturausschuss
bemängelt, dass wir in Deutschland gar nicht so weit vorne
liegen. Sie war der Meinung, dass das Niveau der Ausbildung in
anderen Ländern wie Frank-
reich oder Russland höher ist. Ich würde mir wünschen,
dass die Ausbildung in Deutschland noch qualifizierter wird, und
es für international renommierte Tanzpädagogen aus dem
Ausland attraktiver wird, sich in Deutschland niederzulassen. Außerdem
sollte Tanz in allen Facetten – spielerisch und kindgerecht
vermittelt – in der schulischen Bildung eine größere
Rolle spielen. Lehrer aller Schultypen beklagen eine zunehmende
motorische Verkümmerung bei Kindern und Jugendlichen…
Schwache
Verbände
O&T: Es gibt auch einen Dachverband
Tanz Deutschland – Ständige
Konferenz Tanz. Was kann denn der bewirken?
Krumwiede: Der kann genauso viel
bewirken, wie er es schafft, die Tänzer für sich zu gewinnen. Viele Tänzer wissen
gar nicht, dass es einen solchen Dachverband gibt und dort Interessen
wirksam vertreten werden können. Im Moment empfinde ich bei
vielen Verbänden im Kulturbereich: Sie sind nicht besonders
stark. Die Verbände dürften noch lauter schreien. Sie
müssen viel intensiver auf ihre Interessen aufmerksam machen.
Es gibt Verbände im Kulturbereich, die so unstrukturiert sind,
dass sie es nicht einmal schaffen, ihre Forderungen auf ihrer Website
aufzulisten oder mir in Schriftform zukommen zu lassen.
O&T: Sie haben davon gesprochen, dass Tänzer nach der
aktiven Zeit auch in die Schulen gehen könnten. Gibt es aus
Ihrer Sicht – oder gibt es nicht viel zu wenig – Institute,
die analog zu den Musikschulen den Tanz an Kinder und Jugendliche
vermitteln?
Krumwiede: Ich kenne Tanzschulen,
die ganz tolle Projekte mit Kindern und Jugendlichen machen…
O&T: … die aber vermutlich wie die meisten Tanzschulen
privat sind.
Krumwiede: Ja, das stimmt. Mir
schwebt aber sowieso ein anderes Modell vor. Eines, das es an manchen
Hochschulen schon gibt. Da
kann man Musik studieren und in den Räumen nebenan Tanz oder
Darstellende Kunst. Etwas Vergleichbares sollte es auch in der
kulturellen Kinder- und Jugendbildung geben: Städtische kulturelle
Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, die alle
Künste unter einem Dach versammeln. Davon würden die
jungen Menschen enorm profitieren, denn die einzelnen Kunstformen
inspirieren sich gegenseitig. Außerdem brauchen wir in Deutschland
eine Erweiterung des musischen Fächerkanons an den Schulen.
In einigen skandinavischen Ländern gehört zum Beispiel
auch Theaterspielen zur schulischen Allgemeinbildung. Wir Grünen
wollen mehr individuelle Förderung an Schulen, dazu gehören
auch mehr kreative Bildungsinhalte. In meinem Bildungssystem der
Zukunft können sich Schüler an Ganztagsschulen ihren
Neigungen entsprechend zwischen vielseitigen Workshops entscheiden – darunter
auch künstlerische Angebote, Sport, Ballett, Breakdance, Standardtanz
und so weiter. Wenn Tänzer nach ihrer aktiven Zeit verstärkt
an allgemeinbildenden Schulen ihre Fähigkeiten weitergeben,
profitieren beide Seiten: Schüler und Tänzer. Allerdings
muss eine angemessene Entlohnung gewährleistet sein – die
Ausbeutung künstlerisch hochqualifizierter Pädagogen
als Honorarlehrkräfte im Niedriglohnsektor ist ein derzeit
weit verbreitetes Übel und belegt die geringe Wertschätzung
kultureller Bildung.
Menschen, die querdenken
O&T: Sie sind sehr engagiert in der Kulturpolitik
und haben sich einiger Themen intensiv angenommen. Wie stark ist
der Rückhalt
in Ihrer Partei für diese Themen? Sind Sie da manchmal allein
auf weiter Flur?
Krumwiede: Der Rückhalt wächst, je mehr ich nerve.
O&T: … eigentlich schade.
Krumwiede:
Nein, das ist doch gut. Die Grünen sind eine Partei
von fleißigen Individualisten. Für alle Fachpolitiker
ist der eigene Themenbereich natürlich der „wichtigste“.
Ich versuche immer wieder zu erklären, warum die Kulturpolitik
genauso wichtig ist wie beispielsweise die Energiepolitik. Die
aktive Beschäftigung mit den Künsten kann unser Denken
verändern. Unsere Gesellschaft benötigt Menschen, die
querdenken, die kreativ und mutig sind. Es geht um neue Ideen und
um Gestaltungskompetenzen für die Welt, in der wir leben wollen.
Was das BIP misst, ist nicht der Maßstab für ein erfülltes
Leben – die Kultur spielt hier eine entscheidende Rolle,
kulturelle Angebote durchbrechen den Automatismus des Alltags und
eröffnen uns emotionale Erlebniswelten. Kultur zieht sich
wie ein grüner Faden durch alle Themengebiete. Politik ist
angewiesen auf kreative Impulse, unsere Gesellschaft braucht ein
Gegengewicht zum technokratischen Denken. Viele Kollegen in meiner
Fraktion stärken mir den Rücken, unterstützen und
beeinflussen konstruktiv meine kulturpolitische Arbeit. Dass ich
mich bei neuen Initiativen natürlich zunächst in den
eigenen Reihen argumentativ durchsetzen muss, stärkt mich
als junge Politikerin und schärft meine Überzeugungskraft.
O&T: Gibt es etwas, das Sie
als Ihren größten Erfolg
im ersten Jahr als Bundestagsabgeordnete bezeichnen würden?
Krumwiede: Dass die Transition-Stiftung jetzt
doch den Zuschuss erhält, war auch für mich ein schönes Weihnachtsgeschenk.
Für mich als junge Parlamentarierin der Grünen ist das
ein Hoffnungsschimmer – sachorientierte Zusammenarbeit über
die Parteigrenzen hinweg ist in diesem Fall gelungen. Das darf
gerne öfter so laufen!
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