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Am „deutschen Broadway“
Neue Modelle im Musicalgeschäft · Von Christoph Forsthoff „Das Ding ist einfach ein Segen!“ Klar, dass Johannes
Mock-O’Hara hellauf begeistert ist – was sollte der
Deutschlandchef des weltgrößten Musicalveranstalters
Stage Entertainment (SE) auch sonst sagen über sein jüngstes
Baby, das Musical „Sister Act“, das im Dezember Deutschlandpremiere
im Operettenhaus auf der Hamburger Reeperbahn feierte? Immerhin
liegt der Geschichte ja auch der gleichnamige Kino-Erfolg mit Whoopi
Goldberg aus den 1990er-Jahren zugrunde, zudem hat die US-Schauspielerin
als Koproduzentin selbst mitgewirkt an dem Musical um die Nachtklubsängerin
Deloris van Cartier, die auf der Flucht vor ihrem Ex-Liebhaber
Unterschlupf in einem Kloster sucht – der Finsterling will
die Disco-Maus töten, weil sie ihn bei einem Mord beobachtet
hat. Statt Goldberg springt und tanzt in der Hansestadt zwar Zodwa
Selele durch die grauen Klostermauern und das farbenprächtige
Gotteshaus, doch zumindest in puncto Ausstrahlung und (verbaler)
Schlagfähigkeit kann es die junge Südafrikanerin mit
Goldberg durchaus aufnehmen, lässt sich im Laufe der 150-minütigen
Show von dem musikalischen Disco-, Motown- und Gospel-Mix des Orchesters
mitreißen und bringt so nicht nur den bis dahin dürftig
piepsenden Nonnen-Chor in Glitzerkutten mächtig in Schwung,
sondern auch das Publikum auf Touren.
Neues Geschäftsmodell
Denn statt himmlischer „Gloria“-Klänge hat Oscarpreisträger
Alan Menken poppige Soulstücke für den Chor komponiert,
die in die Beine gehen – und auch Mock-O’Hara freudig
wippen lassen: „Sister Act“ ist nämlich eine Eigenproduktion
der SE, die sonst üblichen 15 Prozent Lizenzgebühren
vom Einspielerlös kann sich der Musicalkonzern hier sparen.
Was sich trotz Entwicklungskosten für das Stück von fünf
bis sechs Millionen Euro bei einem Erfolg der Produktion mittelfristig
auszahlen und damit die Gesamtkosten senken könnte. Ein Geschäftsmodell,
das künftig ausgebaut werden soll: „Mit ‚Sister
Act‘ haben wir nun die erste internationale Produktion als
Eigenproduktion“, begeistert sich Mock-O’Hara für
das Musical, das nach London und Hamburg im Frühjahr auch
am Broadway herauskommen wird. „Das ist die nächste
Liga: Titel selbst zu produzieren, die in allen Sprachräumen
spielen können. Das ist eine große Chance – und
gleichzeitig ist man dadurch in der glücklichen Lage, nicht
immer nur Lizenzen zu bezahlen, sondern auch mal für Lizenzen
Rechnungen zu schreiben.“
Denn die Ticketumsätze am deutschen Musicalmarkt stagnieren
seit einigen Jahren bestenfalls noch – laut einer GfK-Studie
im Auftrag des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft – bei
steigenden Produktionskosten; auf den beiden größten
Musicalmärkten der Welt, am New Yorker Broadway und im Londoner
West End, waren die Besucherzahlen 2009 rückläufig. Und
auch hierzulande spürt die SE die Schwierigkeiten: In ihrem
Essener Colosseum Theater fiel nach fast zehn Jahren und einem
Verlust von geschätzten 30 Millionen Euro im Juli der letzte
Vorhang, die erhoffte neue Einnahmequelle aus dem Verkauf von Theaternamensrechten
an einen Sponsor (wie in Hamburg) ist ein einmaliges Geschäft
geblieben – und die für „Sister Act“ im
Vorverkauf abgesetzten 70.000 Tickets lagen deutlich unter den
200.000 oder gar 300.000 Karten, die vor Jahren noch in derselben
Stadt für Produktionen wie „Ich war noch niemals in
New York“ oder „
Dirty Dancing“ verkauft worden waren. Expansionspläne
Dennoch will die SE über ihre neun Spielstätten in Hamburg,
Berlin, Stuttgart und Oberhausen hinaus weitere Musicaltheater
eröffnen – mittlerweile allerdings nur noch in Hamburg
und München. Während es im Süden indes mangels einer
geeigneten Immobilie laut Mock-O’Hara nach wie vor „keine
konkreten Pläne“ für einen Standort gibt, soll
an der Elbe schon bald mit dem Bau einer vierten Spielstätte
für etwa 2.000 Besucher begonnen werden – und zwar im
Hafengebiet unmittelbar neben dem Zelt, wo seit neun Jahren die
Erfolgsproduktion (fast 7,5 Millionen Besucher) „König
der Löwen“ läuft. „Der Bekanntheitsgrad des
Standortes ist ein ganz großer Trumpf“, sagt der deutsche
SE-Geschäftsführer. „Wir sind fest überzeugt,
dass ein viertes Theater in Hamburg Sinn macht und sich für
uns auch rechnet. Hamburg ist eine große Touristenstadt geworden
mit überregionaler Anziehungskraft – da sehen wir noch
viel Potenzial.“
Ein Potenzial am „deutschen Broadway“, das offenbar
auch andere Veranstalter wie BB Promotion sehen oder der ehemalige
SE-Chef Maik Klokow, der inzwischen mit der in Düsseldorf
ansässigen „Mehr! Entertainment“ selbst drei Musicaltheater
betreibt und ein viertes in der Hansestadt eröffnen will.
Geschäftssinn – oder doch eher ein aufgesetzter Optimismus?
Schließlich ist das Musicalgeschäft „ein sehr,
sehr knappes Geschäft“, wie auch Mock-O’Hara zugibt. „Wir
wollen unsere Investitionen zurückverdienen und unsere neuen
Shows aus Eigenmitteln finanzieren – Ergebnisse abzuliefern,
wie sie im Private-Equity-Bereich üblich sind, das ist in
diesem Sektor nicht darstellbar.“ Selbst SE-Gründer
und Eigentümer Joop van den Ende habe bis heute „nicht
einen Cent aus der Firma gezogen – insofern hat er auf seine
Investitionen überhaupt keine Rendite bekommen“. Schwieriger Break Even
Und das dürfte sich für den niederländischen Milliardär
so schnell auch nicht ändern: Schlägt doch der geplante
Theaterneubau mit 40 bis 50 Millionen Euro zu Buche, für die
vorgesehene Produktion (angeblich ein Beatles-Musical) sind weitere
10 bis 20 Millionen Euro fällig – da ist der Break Even
frühestens nach drei Jahren erreicht. Solch eine lange Laufzeit
aber schafften zuletzt immer weniger Groß-Musicals – und
auch bei „Sister Act“ kommen dem Betrachter während
der ersten Stunde doch erhebliche Zweifel angesichts der trotz
schwungvoller Musik mit wenig Esprit und platten Witzen dahindümpelnden
Handlung. Ein Segen, dass hier zumindest keine Lizenzgebühren
fällig werden.
Christoph Forsthoff
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