Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Bekenntnis zum Ensembletheater
Ulrike Hessler, Intendantin der Semperoper, im Gespräch
Das BIP ist nicht der Maßstab
Gespräch mit der Grünen-Politikerin Agnes Krumwiede über den Tanz
Eine Messe für die Chöre
Der Deutsche Chorverband im Gespräch
Am „deutschen Broadway“
Neue Modelle im Musicalgeschäft

Berichte
Es ist so eine Sache mit der Religion
„ An den Wassern zu Babel“ in Aachen
Brechung und Parodie
„Der Vetter aus Dingsda“ in Bremen
Treibstoff für die Liebe
Emil Nikolaus von Rezniceks „Benzin“ in Chemnitz
Wie aufgeschreckte Hamster
Calixto Bieitos „Fidelio“ in München
„Aurora“ feiert Erfolge in Sevilla
Das Bayerische Staatsballett auf Tournee

VdO-Nachrichten
www.vdoper.de jetzt auch „intern“
Der neue Webauftritt der VdO
Nachrichten
Schmalspurlösung zum NV Bühne – Korrekturen in Berlin – Neuer HTV in Dessau – Überleben in Görlitz – Wir gratulieren
Alles, was Recht ist
Steuerliche Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein häusliches Übungszimmer – Einsicht in die Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Stellenmarkt
Spielpläne 2010/2011
Festspielvorschau (pdf)

 

Kulturpolitik

Bekenntnis zum Ensembletheater

Ulrike Hessler, Intendantin der Semperoper, im Gespräch · Von Christian Tepe

Seit August 2010 lenkt Ulrike Hessler die Geschicke der Sächsischen Staatsoper in Dresden. Erste Erfahrungen auf der Kommandobrücke eines Opern-Supertankers hat sie in den Spielzeiten 2006/07 und 2007/08 mit der kommissarischen Leitung der Bayerischen Staatsoper gesammelt, wo die Literaturwissenschaftlerin zuvor schon als Pressesprecherin und Marketingchefin gewirkt hatte. Ihr aktueller Spielplan für Dresden sieht acht szenische Neuproduktionen vor und bringt mit einem neuen Schwerpunkt Barockoper, mit slawischem Repertoire und zeitgenössischen Stücken wie Henzes neuester Oper „Gisela!“ viel frischen Wind in den altehrwürdigen, noch in der Spätphase der DDR wiedereröffneten Semper-Bau. Mit der Intendantin sprach Christian Tepe für „Oper&Tanz“ über ihre künstlerischen Ziele.

 
Neue Dresdner Intendantin Ulrike Hessler. Foto: Matthias Creutziger
 

Neue Dresdner Intendantin Ulrike Hessler. Foto: Matthias Creutziger

 

Oper&Tanz: Nach der politischen Osterweiterung steht die Wiederentdeckung des slawischen Anteils der europäischen Seele immer noch aus. Slawisches Repertoire soll nun in Ihrer Intendanz zu einer klar erkennbaren Spielplanlinie der Sächsischen Staatsoper anwachsen. Ein Anfang ist in dieser Saison zunächst mit „Rusalka“ und Tschaikowskys „Iolanta“ gemacht – allerdings in Gestalt einer Inszenierungsreprise beziehungsweise einer konzertanten Aufführung. Welche, vielleicht auch noch eigenständigeren Akzente, werden Sie in den kommenden Spielzeiten mit slawischen Stücken setzen?

Beginn mit „Rusalka“

Ulrike Hessler: Da möchte ich zuerst den Einwand erheben: Was heißt hier eine Reprise? Wir haben in Dresden mit Stefan Herheims „Rusalka“ eine Produktion, die in Brüssel sechsmal gezeigt wurde und in Graz ungefähr genauso oft. Kein Mensch in Deutschland und schon gar nicht hier in der Gegend hat überhaupt die Chance gehabt, diese Arbeit zu sehen. Wir kommen mit einer komplett neuen Besetzung, einem neuen Dirigenten, und der Regisseur hat das Ganze neu erarbeitet. Also da möchte ich die Reprise schon ganz gerne ein bisschen in den Hintergrund rücken, denn das ist eigentlich sehr aus der Sicht eines reisenden Journalisten geurteilt und weniger aus der Publikumsperspektive. „Rusalka“ hat für Dresden eine besondere Bedeutung, weil es 1948 in der schlimmsten Trümmerzeit eine sehr schöne Produktion gegeben hat. Dies war der Grund, die Arbeit von Stefan Herheim als Erstes zu zeigen. Aber das ist nun einmal eine Inszenierung, die im Repertoiresystem mit täglich wechselnden Vorstellungen, so wie wir das spielen, im Gegensatz zu dem System in Brüssel oder in Graz gar nicht erarbeitet werden kann. So viel zu der Reprise. Nun zum Zweiten: Auch eine Serie von konzertanten Aufführungen dient ja durchaus dazu, Repertoire vorzustellen. Wenn Sie die Oper „Iolanta“ von Tschaikowsky kennen, wissen Sie, dass sie kaum repertoirefähig ist, sie war ja auch bei der Uraufführung ein riesiger Misserfolg. Sie hat aber genügend musikalisches Potenzial, so dass eine gut präsentierte konzertante Produktion als vollwertige Aufführung gelten kann. Für nächstes Jahr haben wir bei einem tschechischen Komponisten ein halbkonzertantes Stück in Auftrag gegeben und werden zudem die Neuproduktion eines selten gespielten tschechischen Werkes zeigen. Dresden hat bekanntlich eine spezielle geographische Lage im Dreiländereck mit Polen und der Tschechischen Republik.

O&T: Die slawische Welt beginnt ja bereits innerhalb der deutschen Staatsgrenzen direkt vor den Toren Dresdens, ich denke an das sorbische Volk und seine großen Komponisten, zum Beispiel an die Oratorien Korla Awgust Kocors mit ihrer theaterwirksamen Dramaturgie oder an Jurij Pilks Singspiel „Die Todesgöttin“. Ist bei dem slawischen Repertoireschwerpunkt an Ihrem Haus auch an eine Referenz an diese westslawische Nation in Deutschland gedacht?

Hessler: Wir prüfen das gerade und gucken, ob irgendetwas für uns in Frage kommt, was wir hier machen können.

O&T: Ähnlich wie Ihr Kollege Dominique Meyer in Wien haben Sie das barocke Repertoire zu einem weiteren Schwerpunkt Ihrer Opernarbeit erklärt. Die Begeisterung für barockes Musiktheater ist in den letzten Jahrzehnten allerorten expandiert. Wie wollen Sie sich von diesem Barock-Hype in Dresden noch ästhetisch absetzen?

Eigenes Barock-Profil

Hessler: Wir haben ja in der Intendanz von Sir Peter Jonas den maßgeblich von der Bayerischen Staatsoper ausgehenden Barock-Hype Anfang der 90er-Jahre kreiert. Damals war nicht daran zu denken, dass die Met, die Scala oder gar die Wiener Staatsoper je einen Händel spielen würden. Merkwürdigerweise ist die Barockstadt Dresden, wo Sie doch barocke Architektur finden, wo immer Sie nur hinschauen, und die auch in der Barockzeit eine europäische Opernmetropole war, später nie wieder mit dem Musiktheater aus dieser Epoche warm geworden. Man muss ja nicht die ganze Opernwelt neu erfinden. Wir werden sicherlich Ausgrabungen darbieten wie diese Spielzeit mit Johann Adolf Hasses „Il Tutore“. Wir werden die Linie mit den Pasticci und Einaktern weitergehen. Aber wir schauen uns natürlich auch das große Monteverdi- und Händel-Repertoire an und werden neue Regisseure und Dirigenten dafür finden, ohne einfach nur Einkäufe von irgendwo anders her zu tätigen. Außerdem interpretiert die barocken Stücke bei uns die Staatskapelle, was zum Beispiel auch ein großer Unterschied ist zu dem Ansatz von Herrn Meyer in Wien, wo ja die Musiciens du Louvre spielen. Also bei uns setzt sich tatsächlich das gesamte Haus – Sänger, Chor und Orches-ter – mit dem Barockrepertoire auseinander.

O&T: Für viele Städteurlauber ist der Besuch der Semperoper ein Höhepunkt ihrer Dresden-Reise. Ohne Zweifel ist der Tourismus eine der ökonomischen Säulen der hohen Eigeneinnahmen der Staatsoper von 40 Prozent des Etats. Welchen Einfluss hat dieser Faktor auf Ihre Spielplangestaltung?

 
Tschechische Nationaloper auf deutscher Bühne: Ohne Huren geht es nicht. Georg Zeppenfeld als
 

Tschechische Nationaloper auf deutscher Bühne: Ohne Huren geht es nicht. Georg Zeppenfeld als Wassermann und Chor in „Rusalka“. Foto: Matthias Creutziger

 

Hessler: Sie müssen natürlich bei jedem größeren Opernhaus und bei der Semperoper speziell schon ein bisschen auf die Kasse schauen. Wir machen eine Mischkalkulation. Was ist künstlerisch wichtig, was ist dramaturgisch notwendig, auch wenn es sich nicht so gut verkauft? Aber diese Experimente sind aufzuwiegen mit den populären Stücken. Und dann kommt noch dazu, dass man in Dresden kein so homogenes Publikum hat wie andernorts. 50 Prozent der Besucher kommen nicht aus Sachsen. Wer sind die auswärtigen Besucher? Sind das Leute, die zum ersten Mal in eine Oper gehen, bloß weil sie in Dresden sind? Oder habe ich ein extrem verwöhntes Publikum, das zum Beispiel zu Silvester hier bei uns war – ein extrem verwöhntes Publikum, das sich handverlesen raussucht: „Ich möchte jetzt an diesem Tag in der Semperoper sein und nicht in Wien, München oder Mailand.“ Das haben wir auch unterm Jahr häufig. Da kommt es darauf an, möglichst genau das Publikum kennen zu lernen, um das Richtige anzubieten.

O&T: Aus der Ära Hasse ist bekannt, dass auch nicht-adeligen Personen Zugang zu den Aufführungen der Hofoper gewährt wurde. Heute haben sich die Eintrittspreise der internationalen Opernhäuser gerade für die besten und kundigsten Opernfreunde zu einer neuen Klassenschranke entwickelt. Was können Sie in Dresden der Wohnbevölkerung anbieten, also Menschen, die zum Beispiel mit einem Nettogehalt von 1.200 Euro auskommen müssen?

Hessler: Durch die Architektur dieser Opernhäuser bekommen Sie immer günstige Plätze. Das ist natürlich nicht vorne im Parkett. Ich habe zum Beispiel mein ganzes Opernrepertoire auf den Stehplätzen der großen Opernhäuser in dieser Welt erstanden und habe nicht darunter gelitten. Wir haben aber, um den Dresdnern speziell entgegenzukommen, die sogenannten Dresden-Tage eingeführt, die auch jede zweite Vorstellung nach einer Premiere beinhalten. Da setzen wir den niedrigsten Preis an und machen gestaffelt noch einmal 50 Prozent Abschlag. Ich halte allerdings nichts davon, Karten zum Einheitspreis zu verschleudern. Der Preis kann also eigentlich kein Hinderungsgrund sein, die Semperoper zu besuchen.

O&T: Musiktheater für junge Menschen ist in den letzten Jahrzehnten zu einem institutionalisierten Bestandteil vieler Häuser geworden. Nun haben Sie auch in Dresden eine neue, vierte Sparte „Junge Szene“ eingerichtet. Wofür steht die „Junge Szene“ und wie ist sie personell ausgestattet?

Oper für Jung und Alt

 
Poesie in der Abflughalle: Nadja Mchantaf (Gisela Geldmeier) und Giorgio Berrugi (Gennaro Esposito) in Henzes „Gisela!“. Foto: Matthias Creutziger
 

Poesie in der Abflughalle: Nadja Mchantaf (Gisela Geldmeier) und Giorgio Berrugi (Gennaro Esposito) in Henzes „Gisela!“. Foto: Matthias Creutziger

 

Hessler: Wir alle brauchen Nachwuchs im Publikum und in den kreativen Berufen. Wir können nicht mehr erwarten, dass das von den Elternhäusern und Schulen geliefert wird, also müssen wir mehr Vermittlungsarbeit leisten. Wir müssen kommunizieren, was musikalisches Theater überhaupt bedeutet – zunächst mal, indem man den jungen Leuten die Möglichkeit gibt, gut vorbereitet die Vorstellungen im Großen Haus zu besuchen. Aber Oper ist natürlich in einem Institut wie der Semperoper doch schon eine sehr große Sache. Es könnte gut sein, dass es für manche jungen Leute besser ist, einfach etwas näher dran zu sein. Darum haben wir kleine, besondere Werke ausgesucht, die für gewisse Altersgruppen gut infrage kommen. Wobei wir immer sagen: Wenn ein Stück wie „Der gestiefelte Kater“ von César Cui für Menschen ab sechs Jahren geeignet ist, dann kann man natürlich mit 86 Jahren da genauso hineingehen und seine Freude daran haben. Personell ausgestattet sind wir mit einem künstlerischen Leiter und neben einer bereits vorhandenen Stelle mit einer zusätzlichen, durch Umwidmung geschaffenen Stelle für Theaterpädagogik sowie mit einigen studentischen Hilfskräften.

O&T: Mit der Saison 2012/13 übernimmt Chris-tian Thielemann die Leitung der Sächsischen Staatskapelle. Wie stark wird Herr Thielemann als Operndirigent im Haus präsent sein?

Hessler: Die Tätigkeit von Herrn Thielemann in Dresden wird sich in drei Teile teilen, die ziemlich gleich dimensioniert sind: ein Drittel Oper, ein Drittel Konzerte in Dresden und ein Drittel Konzerte auf Tour.

O&T: Unlängst ist Hans-Joachim Frey in Bremen mit seinem Versuch, einen Semi-Stagione-Betrieb zu etablieren, gescheitert. Welchen Wert hat für Sie denn das Ensembleprinzip?

Hessler: Unsere Arbeit hier ist ein ganz klares Bekenntnis zum altmodisch deutschen Repertoire- und Ensembletheater. Wir haben das sowieso schon sehr gute Ensemble der Semperoper aufgestockt. Und wir werden uns auch weiter in der ganzen Welt durch Vorsingen und Vorstellungsbesuche orientieren, um Dresden zu einem Sprungbrett für die großen neuen Sänger zu machen, die langsam und behutsam in die großen Rollen wachsen.

O&T: Sie haben auf einer Pressekonferenz geäußert, dass weibliche Titelheldinnen im Zentrum Ihrer ersten Dresdner Saison stehen. Das ist auf den zweiten Blick nicht so verwunderlich, ist es doch schier unmöglich, einen Opernspielplan ohne starke Frauen zu entwerfen.

Hessler: Das war einfach eine etwas ironische Reaktion auf die erste Frage, die mir seit meiner Vorstellung ständig gestellt wurde: „Und wie fühlen Sie sich als erste Frau in einer solchen Position an diesem Haus?“ Da ich mich irgendwie in etwas mehr als 50 Jahren daran gewöhnt habe, eine Frau zu sein, finde ich das nicht so außergewöhnlich, ehrlich gesagt.

O&T: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Christian Tepe

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner