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Choreografie als Bestimmung
Horst Koegler: „John Neumeier. Bilder eines Lebens“,
Edel, 174 Seiten, 134 Fotos, 29, 95 Euro
Kein Ballettchef in Deutschland kann auf eine so lange erfolgreiche
Karriere zurückblicken wie der Amerikaner John Neumeier, Jahrgang
1942. Jetzt hat Ballettkritik-Doyen Horst Koegler diesen einmaligen
Werdegang fundiert nachgezeichnet, vom heimatlichen Milwaukee über
die dreijährige Frankfurter Ballettdirektion bis zur Hamburger
Ballett-Intendanz mit einem riesigen choreografischen Oeuvre und
einem international gefeierten Ensemble, mit Schule, Sammlung,
Museum und Stiftung.
Schon als 19-Jähriger choreografiert John Neumeier für
das Studententheater der Marquette University in Milwaukee ein
Ballett. Und wenn er auch zunächst noch in einer US-Modern-Dance-Compagnie
und ab 1963 im renommierten Stuttgart Ballett unter John Cranko
tanzt – die Choreografie ist seine Bestimmung. Seine Arbeiten
für die Stuttgarter Noverre Gesellschaft erregen gleich Aufmerksamkeit.
Sogar das Fernsehen interessiert sich für ihn. Bereits 1969,
Neumeier ist gerade 27, wird er Ballettchef in Frankfurt. 1973
wechselt er an die Hamburgische Staatsoper, wo er – bis heute – sein
ungeheuer breit gefächertes Oeuvre zu einer erstaunlichen
Bandbreite von Musiken kreiert: modern gewendete Ballett-Klassiker,
sinfonische Ballette, Musicals, und Ballette, die sich auf dramaturgisch
zeitgenössische Art mit Shakespeare auseinandersetzen.
Was Horst Koeglers Porträt so lesenswert macht, ist die unakademische
Art der Spurensuche, die unprätentiöse Art der Vertiefung
ins Privat-Künstlerische: Wer waren die wichtigsten Personen
in Neumeiers Leben, welche Ereignisse haben ihn inspiriert, mit
welchen großen Künstlern hat er zusammengearbeitet,
von Marcia Haydée und Natalia Makarova bis Maurice Béjart,
Mikhail Baryshnikov und Leonard Bernstein.
Und einmalig ist die Auslese von über 130 unveröffentlichten
Schwarz-Weiß-Fotografien: Neumeier als artiger Ballett-Eleve,
als bildschöner junger Tänzer, als Tanzschöpfer
bei den Proben, immer mit diesem für ihn so typischen expressiven
Ausdruck, wie er ihn von jedem seiner Tänzer fordert.
Malve Gradinger
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