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Zwischen Hoffen und Bangen
Die Situation des Sorbischen National-Ensembles (SNE) · Von
Christian Tepe
Wer sind denn die Sorben? Nicht wenige Deutsche haben von dem
westslawischen Volk, das schon seit 1400 Jahren in der Lausitz
heimisch ist, noch nie etwas gehört. Manche mutmaßen
sogar, Bautzen, ein Zentrum sorbischen Kulturlebens und der Sitz
des Sorbischen National-Ensembles (SNE) liege wohl in Polen. Wieder
andere glauben zu wissen, bei den Sorben handle es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge
aus dem ehemaligen Jugoslawien. Solche Unkenntnis ist bezeichnend
für die Situation
des um seine Zukunft ringenden Volkes, dessen Existenz ganz akut
bedroht ist, zum Beispiel durch das Auslöschen sorbischer
Dörfer für die Braunkohleförderung oder durch den
von deutschen Behörden gegen den verzweifelten Widerstand
der Lehrer, Eltern und Schüler verfügten Exitus sorbischsprachiger
Schulen. Für ein Volk, das keinen eigenen Staat und das wohl
eine schöne Heimat, aber kein Mutterland hat, werden Bräuche
und Traditionen und besonders die Sprache zum eigentlichen Lebenselixier.
Deshalb stehen Institutionen wie das 1952 gegründete SNE mit
seinen Sparten Ballett, Chor und Orchester vor allem im Dienst
der Erhaltung und Weiterentwicklung von Sprache und Kultur. Aber
genau diese elementare Funktion scheint in letzter Zeit gefährdet,
wenn das SNE als vermeintlicher Botschafter sorbischer Kultur in
halb Europa u.a. mit Programmen wie Strawinskys „Sacre“ oder
gar mit deutschsprachigen Kindermusicals unterwegs ist, die nur
einen beiläufigen oder überhaupt keinen Bezug zur sorbischen
Welt aufweisen. Eine von der „Stiftung für das sorbische
Volk“ eingesetzte Arbeitsgruppe „Sorbische Kunst/Bühne“ votiert
deshalb in ihrer Anfang Mai vom Stiftungsrat angenommenen Beschlussvorlage
für eine künstlerische Neujustierung des SNE hin zu einer
stärkeren Förderung einer spezifisch sorbischen und wieder
klarer auf den Adressatenkreis in der Lausitz zugeschnittenen Bühnenkunst.
Öffentlich Furore gemacht hat das Konzept der Arbeitsgruppe
dahingegen durch den Vorschlag, das Ensemble von 107 auf 80 Stellen
zu verkleinern.
Ein erster Entwurf sah sogar eine Amputation auf 64 Stellen vor.
So kann der Etat des Hauses, wie vom Stiftungsrat schon vorab Ende
2009 entschieden, von 4,9 Millionen auf 4,25 Millionen Euro (nach
der ursprünglichen Planung 4 Millionen Euro) gekürzt
werden. Hintergrund dieser Sparmaßnahmen ist in letzter Instanz
die chronische Unterfinanzierung der sorbischen Kultur durch den
Bund und die Länder Sachsen und Brandenburg. Nur knapp 17
Millionen Euro erhält die „Stiftung für das sorbische
Volk“ jährlich, um damit eine Vielzahl renommierter
sorbischer Einrichtungen in Wissenschaft, Verlagswesen, Kunst und
Kultur am Leben zu erhalten. Das ist angesichts der Geschichte
des sorbischen Volkes mit seinen fortwährend von deutscher
Seite erlittenen politischen und kulturellen Repressionen ein brüskierend
geringer Betrag! Hier wird offenkundig versucht, einen hochpolitischen
Konflikt um die moralische Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft
für eine lange unterdrückte ethnische Minderheit in die
innersorbischen Instanzen auszulagern. Und so hoffen und bangen
nun die einzelnen sorbischen Einrichtungen jeweils um die Zuwendungen,
die ihnen die Stiftung aus ihrem schmalen Budget zumessen kann.
Geradezu tragisch ist dabei aber die Rolle des SNE, dessen Beschäftigte
den erfolgreichen sorbischen Kampf gegen die angedrohte Kürzung
der ohnehin schon bescheidenen Fördersumme aufopferungsvoll
unterstützt haben und die jetzt den Stuhl vor die Tür
gesetzt bekommen sollen.
Unterdessen hat die Stiftung mit Milena Vettraino die seinerzeitige
Leiterin der Arbeitsgruppe „Sorbische Kunst/Bühne“ zur
Nachfolgerin des beurlaubten Intendanten Wolfgang Rögner bestellt.
Rögner hatte mit einer extensiven Gastspieltätigkeit
versucht, der vom Stiftungsrat geforderten Erhöhung der Eigeneinnahmen
Rechnung zu tragen und damit finanziell Schiffbruch erlitten. Zudem
hatte sich Rögner gegen die anvisierten Personaleinsparungen
ausgesprochen. Mit Frau Vettraino steht nun wieder eine Sorbin
an der Spitze des Hauses. Gerrit-Michael Wedel und Christian Tepe
haben die bekannte Hornistin sowie studierte Kunst- und Medienmanagerin
in Bautzen am Stammsitz des SNE getroffen.
Christian Tepe
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