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Ein „Weiter so!“ ist nicht mehr möglich
Das Sorbische Nationalensemble vor dem Exitus · Von Gerrit
Wedel Der Abbau von 27 Stellen stellt das SNE vor eine sehr schwierige
Lage in Hinblick auf das künstlerische Profil des Hauses,
dessen Sinn und Zweck es ja ist, dem Erhalt und der Pflege der
Sorbischen Kultur zu dienen. Bereits im Jahr 2002 beim Antritt
von Intendant Rögner war der Personalbestand des SNE um 26
Stellen reduziert worden. Die dadurch notwendigen Zahlungen von
Abfindungen oder Übergangsgeldern an zu entlassende oder nicht
zu verlängernde Ensemblemitglieder bedeuteten schon eine unglaubliche
Belastung für das SNE, die nicht zuletzt durch die per Haustarifvertrag
vereinbarten Gagen- und Lohneinbußen der verbliebenen Beschäftigten
ausgeglichen wurde. Das Ensemble steht mit dem nun von der neuen
Intendantin umzusetzenden Personalabbau kurz vor dem künstlerischen
Exitus. Ein Stellenabbau innerhalb von 10 Jahren von 133 auf 80
Mitarbeiter macht für die verbliebenen Mitglieder ein „Weiter
so!“ nahezu unmöglich.
Der Vorsitzende des alle Sorben vertretenden „Domowina“-Vereins
Jan Nuk hat darauf hingewiesen, dass ein Grund für die personelle
und finanzielle Kürzung des SNE die inhaltliche Entfernung
des Theaters von der sorbischen Bevölkerung und ihrer Sprachen
sei. Das Perfide daran ist, dass die bisherige Ausrichtung gerade
durch die Stiftung vorgegeben wurde: Die im Finanzplan seinerzeit
festgehaltene Forderung, ein hohes Einspielergebnis zu erzielen,
war unmöglich in der Lausitz mit sorbischsprachigen Bühnenproduktionen
zu erreichen. Dies war nur mit Veranstaltern in den alten Bundesländern,
in Österreich, der Schweiz oder auch in Südtirol zu bewerkstelligen.
Für die sorbischen Anteile im Spielplan bedeutete das das „K.O.“ in
Zeitlupe, für die Künstler eine kaum vorstellbare Belastung:
sie müssen sehr flexibel sein, die Sänger mal mit und
mal ohne verstärkendes Mikroport singen, die Tänzer lange
Busfahrten wegstecken, die Orchestermusiker im Hotelzimmer üben.
Mitglieder des Chores z.B. haben zuletzt jährlich bis zu 100
mal im Hotel übernachtet. Da braucht man einen Stimmapparat
aus Eisen! Alle würden lieber daheim in der Lausitz spielen.
Alle Hinweise der Gewerkschaften im Rahmen der HTV-Verhandlungen
auf das Missverhältnis zwischen Einnahmen und tourneebedingten
Ausgaben und den damit verbundenen künstlerischen Sinn der
Aktivitäten, stießen auf taube Ohren. War denn der Domowina-Vorstand nicht in der Lage, rechtzeitig
eine konstruktive Kritik zu äußern, um eine Anpassung der
Ausrichtung zu ermöglichen? Schließlich hat die Domowina
einen erheblichen Einfluss auf die „Stiftung für das
sorbische Volk“, die als alleiniger Geldgeber und Gesellschafter
maßgeblich die Geschicke der SNE GmbH bestimmt. Von den insgesamt
15 Mitgliedern des Stiftungsrates werden neben den Vertretern des
Bundes, der Länder Sachsen und Brandenburg und der einschlägigen
kommunalen Gremien sechs Mitglieder als Vertreter des sorbischen
Volkes benannt. Und von diesen sechs gehören allein vier schon
in offizieller Funktion der Domowina an. Es spricht für sich,
was dies für den Einfluss der Domowina auf die Arbeit des
Stiftungsrates bedeutet. Wenn die „Stiftung“ oder der
Vorsitzende der Domowina nun indirekt oder direkt behaupten, das
SNE habe jahrelang schlechte Arbeit geleistet, dann haben sie schlicht
und ergreifend selbst in ihrer Rolle als Gesellschafter versagt.
Man könnte fast meinen, es geht gar nicht um künstlerische
Inhalte, sondern vielmehr um die Verteilung der – sicherlich
viel zu knapp bemessenen – Mittel zwischen den verschiedenen
sorbischen Einrichtungen. Das SNE mit seinen jahrelangen finanziellen
Schwierigkeiten stellt da natürlich eine hervorragende Zielscheibe
dar – zu Lasten der Beschäftigten, die durch die Haustarifverträge
schon sehr viel zum Erhalt des SNE beigetragen haben. Die Geschäftsgrundlage
dieser insgesamt drei Haustarifverträge war übrigens
die dauerhafte Erhaltung der künstlerischen und personellen
Struktur des SNE. Dies hat nun offensichtlich keinen Bestand mehr,
denn diejenigen, die damals verzichtet haben, werden nun auch noch
abgebaut. Die Kündigungen und Nichtverlängerungen sind
ausgesprochen, dementsprechend wird es nicht verwundern, dass gegen
diese Vorgehensweise seitens der betroffenen Beschäftigten
nun mit Unterstützung der Gewerkschaften alle möglichen
rechtlichen Schritte erfolgen werden. Das wird eine sehr schwierige
Spielzeit.
Bezeichnend ist auch die Art und Weise, wie die Arbeitsgruppe „Sorbische
Kunst/Bühne“, an der die inzwischen neu ernannte Intendantin
und Geschäftsführerin Milena Vettraino entscheidend mitgearbeitet
hat, an ihre Aufgabe herangegangen ist: Aus nicht nachvollziehbaren
Gründen durften nach der Vorgabe der Stiftung mit dem SNE
verwobene Personen in dieser Arbeitsgruppe nicht mitarbeiten, d.h.
auch die unmittelbar betroffenen Beschäftigten am Haus sind
in die Diskussionen um die Reform des SNE überhaupt nicht
mit einbezogen worden. Der Betriebsrat konnte lediglich bei einem
Beratungstermin Bedenken vortragen, sich jedoch nicht verbindlich
einbringen. Besonders die Gewerkschaften haben immer wieder gebetsmühlenartig
ihre Unterstützung für eine sachgerechte und den Beschäftigten
gerecht werdende sozial verträgliche Umstrukturierung angeboten.
Das Ergebnis dieser AG stand aber offensichtlich in den Rahmenbedingungen
ohnehin vorher fest: ein Jahresetat von 4 Millionen Euro (statt
4,86 Millionen) und ein Personalstamm von 62 Mitarbeitern. Nicht
zuletzt als Ergebnis der Öffentlichkeitsarbeit von Gewerkschaften,
des unermüdlichen und beständigen Einsatzes unseres Ortsdelegierten
Michael Janze und auch der fortwährenden Bemühungen des
Betriebsrats sowie der ins Leben gerufenen Bürgerinitiative
(http://www.rettet-das-sorbische-national-ensemble.de) werden dem
SNE nun jährlich noch 4,25 Millionen Euro und 80 Mitarbeiter
zugestanden. Das ist immerhin noch deutlich mehr, als die Intendantin
zur Umsetzung ihres eigenen Konzeptes ursprünglich vorgesehen
hat.
Bei der nun grundsätzlich richtigen, künftig beabsichtigen
Ausrichtung des SNE auf die Lausitz muss man sich von Anfang an
der Tatsache bewusst sein, dass dies auch ein geringeres Einspielergebnis
bedeuten wird. Andererseits erhöht sich damit – wunschgemäß – auch
automatisch der Anteil an sorbischsprachigen Produktionen.
Die schlichte Reduzierung der Anzahl der Beschäftigten des
SNE jedenfalls hat nicht automatisch eine Veränderung hin
zu mehr sorbischen Inhalten zur Folge, sondern gefährdet das
eigentliche und satzungsgemäße Ziel – das der
Erhaltung und Pflege der sorbischen Kultur, das mit dieser Personalausstattung
für ein Mehrspartenhaus zunehmend zur Farce wird. Das SNE
und die Menschen in der Lausitz werden damit alle ein Stück ärmer.
Gerrit Wedel
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