Sorbische Traditionen bewahren
Ein Gespräch mit der Intendantin des SNE, Milena Vettraino
Christian Tepe: Zu den wichtigsten Obliegenheiten des SNE gehören
die Pflege des sorbischen Musikerbes wie auch die Förderung
des neuen Schaffens. Wird dem SNE durch den nun von Ihnen umzusetzenden
Stellenabbau die Erfüllung seiner Aufgaben nicht unmöglich
gemacht?
Milena Vettraino: Nein, der Meinung
bin ich nicht. In letzter Zeit sind die sorbische Historie und
die Aufführung des originalsorbischen
Materials ein bisschen in den Hintergrund gerückt worden.
Es gibt noch sehr viele unbekannte sorbische Bühnenwerke,
und zwar Dreispartenwerke, die handschriftlich in Privatarchiven
liegen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, wieder verstärkt unsere
Historie ins Gedächtnis zu rufen und meinen Schwerpunkt mehr
auf die Sprache zu legen. Außerdem möchte ich die Jugend
wirksamer einbeziehen. Natürlich, es wurden Kindermusicals
gespielt, aber weniger in der Lausitz. Das Ensemble ist schon sehr
aus dem Bewusstsein der Basis herausgerückt. Gerrit Wedel: Um einen so gravierenden
Einschnitt wie die jetzt erfolgenden Kürzungen noch zu verhindern, haben die Gewerkschaften
immer wieder eine sensible Integration des SNE in das Deutsch-Sorbische
Volkstheater gefordert. Das künstlerische Zusammenführen
der Sparten „sorbisches Schauspiel“ einerseits und „sorbisches
Musiktheater“ andererseits hätte den Vorteil, dass sich
die künstlerische Ausrichtung beider Ensembles ideal ergänzen
würde. Wie ist denn Ihre Einstellung zu einer institutionalisierten
Form der Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Sorbischen Volkstheater?
Vettraino: Ich habe mit Intendant
Hillmann schon geredet und wir sind beide aufgeschlossen für Kooperationen. Aber das Volkstheater
ist ein Schauspiel. Außerdem hat der Monat nur vier Samstage,
an denen sowohl das Schauspiel als auch das Ensemble die Bühne
für sich beanspruchen würden. Und nicht zuletzt; große
Einsparmöglichkeiten eröffnen sich durch eine Fusion
ja gar nicht.
Wedel: Aber das SNE hätte eine eigene Bühne in der Stadt.
Vettraino: Und wie soll die dann heißen?
Wedel: Das ist für mich nachrangig. Wichtig ist doch, dass
man eine Identifikation hat und sagen kann: Das ist hier unser
Kernstandort - und der muss doch eigentlich Bautzen sein. Bisher
ist eine Fusion ja wohl insbesondere daran gescheitert, dass der
Bund als maßgeblicher Geldgeber der „Stiftung für
das sorbische Volk“ im Falle einer Fusion nicht indirekt
ein Stadttheater finanzieren wollte.
Vettraino: Richtig.
Wedel: Aber
da gibt es selbstverständlich, wenn man sich das
mal ein bisschen kreativ überlegt, diverse Möglichkeiten
genau dies zu verhindern. Ich fand es erstaunlich, dass wir von
jedem Betroffenen, mit dem wir über eine Kooperation gesprochen
haben, zu hören bekamen: „Ja, ja, wäre sinnvoll,
würden wir eigentlich auch gerne machen. Aber es klappt nicht,
weil die anderen das nicht wollen.“ Also jeder will es eigentlich,
aber keiner will es im Endeffekt wirklich.
Suche nach neuen Wegen
Vettraino: Ich bin mit Herrn Hillmann ständig
im Gespräch.
Wir sind beide Menschen, die immer wieder nach neuen kreativen
Lösungen und Wegen suchen und sie auch finden; demnächst
geht es sogar um Koproduktionen in der Region.
Tepe: Im Zusammenhang mit der Reform
des SNE haben Sie kürzlich
gesagt, das Ensemble leide nicht nur unter einer finanziellen,
sondern auch unter einer Sinnkrise. In den Ohren mancher Betroffener
klingt das so, als ob die nun erfolgenden Kündigungen beziehungsweise
Nichtverlängerungen ein Mittel zur Bewältigung dieser
Sinnkrise sind, quasi die notwendige Reaktion auf eine künstlerische
Minderleistung.
Vettraino: An allen Theatern kommt
es in Einzelfällen zu Nichtverlängerungen
aus künstlerischen Gründen. Aber meinem ganzen Ensemble
werde ich niemals mangelnde Qualität vorwerfen. Durch die
langen Kündigungsfristen der Tarifverträge ist es für
jeden künstlerisch kreativen Menschen natürlich unvorstellbar
schwer, loyal und mit aller Kraft den Spielbetrieb zu gewährleisten.
Tepe: Seitens der AG „Sorbische Kunst/Bühne“ wurde
daran Anstoß genommen, dass einige Künstler des SNE
nicht eine der sorbischen Sprachen als Umgangssprache im Haus pflegen.
Wo sollen dann ungeachtet aller in der Tat einzigartigen Liebe
des sorbischen Volkes zu Musik, Kunst und Tanz bei schätzungsweise
25.000 sorbisch sprechenden Menschen die Künstler für
ein professionelles Ensemble herkommen? Und schließlich:
Glauben Sie denn, dass zum Beispiel nur eine mährische Sängerin
Janáceks „Jenufa“ authentisch interpretieren
kann? Ist Nationalgeist in der Kunst nicht vielmehr eine Frage ästhetischer
Formen und Figuren als eine Frage der Abstammung der Künstler?
Vettraino: Also in erster Beziehung
würde ich mir wünschen,
dass ich eine Versammlung wieder in sorbischer Sprache abhalten
könnte, dass die Umgangssprache in meinem Ensemble Sorbisch
ist. Hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation kann ich das wirklich
nur als Wunsch äußern. Bei gleicher Qualifikation ist
die sorbische Sprache natürlich das Zünglein an der Waage.
Wer hier vorspielt, vorsingt, vortanzt, der weiß, er kommt
an ein sorbisches Haus. Deshalb sind die Dienstpläne auch
in Sorbisch geschrieben. Darauf bestehe ich. Wenn jemand dazu keine
Lust hat, finde ich das nicht in Ordnung. Ich möchte nämlich
schon, dass in meinem Haus die sorbische Sprache gehört wird,
auch in Liedern und Gesängen auf der Bühne und in den
Moderationen!
Tepe: Vor den Mitarbeitern des SNE liegt eine weitere
Saison mit kräftezehrenden Abstechern und zugleich werden
dann die Nichtverlängerungen
im Raume stehen. Wo erkennen Sie da für sich eine Möglichkeit,
den Künstlern und Menschen in dieser Lage ein Rückhalt
zu sein?
Jede Kündigung ein Schicksalsschlag
Vettraino: Darüber
denke ich selber noch Tag und Nacht nach, denn jede Kündigung
ist ein Schicksalsschlag. Was ich in zwei Fällen getan habe,
ist, gemeinsam mit den Betroffenen, die mir gesagt haben, welche
Interessen sie haben, zu überlegen,
was sie machen könnten. Ich habe Leute angesprochen, wo ich
weiß, da gibt es Ausbildungsplätze bzw. einen Studiengang,
in den sie eventuell einsteigen könnten. Ich versuche Türen
zu öffnen, wenn die Menschen zu mir kommen.
Wedel: Ihre Bemühungen gehen, wenn ich Sie jetzt gerade recht
verstanden habe, in die Richtung, die Leute, die sich eine berufliche
Umorientierung vorstellen könnten, noch einen Teil ihres Weges
zu begleiten, ihnen aus einer sozialen Verantwortung heraus vielleicht
eine Unterstützung zu geben, die dann auch Sinn macht und
Früchte trägt. Hatten sie da schon einmal Gelegenheit
mit der Stiftung zu reden?
Vettraino: Da sind wir mitten in Gesprächen.
Tepe: Die Transformation des SNE
ist nicht auf allen Positionen mit Stellenkürzungen verbunden, so soll die Dramaturgie verstärkt
werden, um die Rettung des musikkulturellen sorbischen Erbes voranzutreiben.
Vettraino:
Es gibt ganz viele, leider schon ältere Sorben,
die haben einen unbeschreiblichen Wissensschatz. Da gibt es ein
paar Koryphäen, die leben nicht laut, die werden Sie in keinem
Zeitungsinterview finden, und deren Wissen will ich sammeln. Dann
existieren ganz viele sorbische Regionen: Sie haben Bautzen; Sie
haben die kleinen Dörfer; die Niederlausitz ist unglaublich
reich an Sagen und Geschichten. Das alles, die Fülle von Tänzen,
Sprachformen, Erzählungen und Legenden will ich in verschiedenen
Bühnenprogrammen unter dem Titel „Sagenhafte Lausitz“ vorstellen.
In meinem Archiv, da liegen noch Schätze drin, das glauben
Sie gar nicht, zum Beispiel Handschriften Kocors aus dem Jahr 1890!
Ich habe die Befürchtung, dass uns das alles allein schon
durch das Alter verloren geht, wenn wir jetzt nicht handeln.
Tepe: Herzlichen Dank für dieses Gespräch-! Dzakuju so!
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