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Nochmals: Doppelte Entfernungspauschale
Kürzlich haben wir über die erneute Klage eines VdO-Mitglieds
gegen die steuerliche Nichtanerkennung der doppelten Kilometerpauschale
bei geteiltem Dienst berichtet (O&T 2/10, S. 6). Zwischenzeitlich
hat die Redaktion erfahren, dass zumindest ein Finanzgericht den
mit dem Einspruch gegen einen ablehnenden Bescheid verbundenen
Antrag auf Ruhen des Verfahrens mit Verweis auf § 363 der
Abgabenordnung (AO) abgewiesen hat, da kein Verfahren beim Europäischen
Gerichtshof, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht
anhängig sei. Hierzu ist Folgendes anzumerken: § 363
Abs. 2 AO, der das Ruhen des Einspruchsverfahrens regelt, enthält
zwei Alternativen: Zum Einen in Satz 2 die in Bezug genommene,
die zwingend zum Ruhen des Verfahrens führt. Zum Anderen aber
kann die Finanzbehörde gemäß Satz 1 das Verfahren
ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig
erscheint. Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung, die nach
so genanntem pflichtgemäßem Ermessen zu treffen ist.
In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass es seit den
abgeschlossenen Ursprungsverfahren eine Grundsatzentscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zur allgemeinen Frage der steuerlichen
Anerkennung von Wegekosten gegeben hat, deren Inhalt die Überprüfung
der bisherigen Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeiteit
der doppelten Entfernungspauschale zumindest nicht als unsinnig
erscheinen lässt. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Ruhen
gleichgelagerter Verfahren aus verfahrensökonomischen Gründen
bis zur abschließenden Entscheidung im Pilotverfahren zumindest
zweckmäßig, wenn nicht gar geboten. Im Streitfall sollte
ein Steuerberater/Fachanwalt für Steuerrecht eingeschaltet
werden.
Neue BAG-Rechtsprechung zur Tarifeinheit
DGB und Arbeitgeber wollen ihre Kreise nicht stören lassen
Durch zwei vielbeachtete Beschlüsse vom 27. Januar und 23.
Juni 2010 (Az. 4 AZR 549/08 und 10/ AW 2/10) hat das Bundesarbeitsgericht
(BAG) seine bisherige Rechtsprechung zum Grundsatz der so genannten
Tarifeinheit radikal geändert. Nach diesem bisher vom BAG
vertretenen Grundsatz, der gesetzlich nirgends verankert ist, sollte
im Falle der unmittelbaren Tarifgebundenheit eines Arbeitgebers
an mehrere sich überschneidende Tarifverträge der dem
Betrieb räumlich, fachlich und persönlich am nächsten
stehende Tarifvertrag andere Tarifverträge unabhängig
davon verdrängen, dass Arbeitnehmer nach diesen Tarifverträgen
(eigentlich) tarifgebunden sind. Die bekannten Schlagworte zu diesem
Grundsatz sind „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ und,
daraus folgend, der traditionelle Grundsatz des Deutschen Gewerkschaftsbundes
(DGB) „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“. Der
Vierte Senat des BAG sieht nunmehr für diesen Grundsatz keine
hinreichende Rechtsgrundlage im Tarifvertragsgesetz und hält
ihn überdies für mit dem Grundrecht der kollektiven und
individuellen Koalitionsfreiheit unvereinbar.
Der Beschluss hat kennzeichnenderweise beim DGB und den Arbeitgeberverbänden
eine Welle der Empörung hervorgerufen, stärkt er doch
die Position kleiner Berufsgewerkschaften, die mit den im DGB vereinten
Großgewerkschaften mit zunehmendem Erfolg konkurrieren, erheblich.
Da die Überlegungen des BAG rechtlich schwer angreifbar erscheinen,
wurde umgehend der Ruf nach dem Gesetzgeber laut. Hinter diesem
Ruf stecken knallharte Machtinteressen: Die Arbeitgeber fürchten,
dass Gewerkschaften, die gezielt Schlüsselberufsgruppen organisieren,
trotz ihrer relativ geringen Mitgliederzahl Konditionen erzwingen
könnten, die eine Großgewerkschaft, die sich traditionell
den Mehrheitsinteressen verpflichtet sieht, niemals auch nur fordern
würde. Der DGB fürchtet, dass seinen Mitgliedsorganisationen
gerade die schlagkräftigen Mitgliederpotentiale weglaufen
und sie ihre Monopolstellung einbüßen. Ohne Rücksicht
auf die grundgesetzlich verbürgte Tarifautonomie auch der
ihm nicht angehörenden Gewerkschaften fordert er daher: „Wenn
mehrere Tarifverträge von unterschiedlichen Gewerkschaften
in einem Betrieb existieren, soll der Tarifvertrag gelten, der
von der Gewerkschaft geschlossen wurde, die die meisten Mitglieder
in dem Betrieb hat.“
Sicher ist die Entsolidarisierung von Arbeitnehmergruppen im
Interesse derer, die über besondere Druckmittel verfügen,
letztlich für alle gefährlich und kann zu einem sozial
nicht akzeptablen „Abhängen“ schwächerer
Gruppen führen. Auch wäre eine Zersplitterung des Tarifrechts
mit sich überschneidenden Geltungsbereichen unter den Gesichtspunkten
der Rechtsklarheit und der Praktikabilität insbesondere für
betroffene Arbeitgeber grundsätzlich problematisch. Andererseits
zeigt die Praxis, wie schwer sich die Großgewerkschaften
mit Binnenpluralität und der sachgerechten Vertretung der
Interessen von Minderheitsgruppen gerade auch in so atypischen
und schwierigen Bereichen wie dem der künstlerischen Berufe
tun. Nicht umsonst haben sich hier Berufsgruppengewerkschaften
wie die VdO seit Jahrzehnten erfolgreich etabliert. Die Umsetzung
der DGB-Forderung würde die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit
dieser Gewerkschaften massiv gefährden.
Der Ansatz des BAG ist daher uneingeschränkt zu begrüßen;
ihn durch gesetzgeberische Hyperaktivität sofort wieder eliminieren
zu wollen, ohne abzuwarten, ob sich tatsächlich Handlungsbedarf – in
welche Richtung auch immer – entwickelt, ist Ausdruck eines
höchst fragwürdigen Demokratie- und Verfassungsverständnisses.
Berufsgruppengewerkschaften haben die besondere Verantwortung,
ihre Interessen nicht einseitig auf dem Rücken der jeweils
anderen Arbeitnehmergruppen zu verfolgen, sondern wechselseitig
für einander als Zugpferde zu wirken. Tun sie dies, dient
die nun eröffnete Tarifpluralität als eine solide Grundlage
für sach- und interessengerechte Lösungen auf breiter
Basis.
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