|
Viele Blicke, wenig Substanz
Die 12. Münchener Musiktheater-Biennale · Von Marco
Frei
Unsere Mottos sind eine Gesamtbilanz. Es hat sich herausgestellt,
dass das Publikum dies als roten Faden willkommen heißt.
Manchmal gibt es Unschärfen bei dieser Zuordnung, aber es
wäre verkehrt, ein Motto als Teil des Kompositionsauftrages
vorzugeben. Das würde zu einem ästhetischen Diktat führen.
Ich müsste Komponisten allzu sehr eingrenzen, indem ich ihnen
inhaltliche Vorgaben mache.“ Damit begründet der Komponist
Peter Ruzicka, warum bei der Münchener Biennale für neues
Musiktheater zwar Mottos formuliert, diese aber den eingereichten
Werken nachträglich übergestülpt werden. Seit 14
Jahren leitet Ruzicka die Münchener Biennale.
Und in diesem Jahr wurde – als kleinster gemeinsamer Nenner
der vier musiktheatralischen Hauptwerke – der „Blick
des Anderen“ aus dem Hut gezaubert. In „Maldoror“ des
Aachener Komponisten Philipp Maintz, für das mit den Theatern
in Aachen und Basel kooperiert wurde (Regie: Georges Delnon und
Joachim Rathke), ist es die „Sicht des Bösen“.
Denn Maldoror ist die böse Kopfgeburt aus Isidore Ducasses „Les
Chants de Maldoror“ von 1868/69. Dagegen wollte der Ungar
Márton Illés in seiner „Weißen Fürstin“ nach
Rainer Maria Rilke den Blick auf den Abgrund der Not schärfen
(Regie: Andrea Moses): Eine Fürstin wartet auf den Geliebten,
der nicht kommt, während um sie herum die Pest wütet.
Die Chinesin Lin Wang zieht wiederum für „Die Quelle“ ein
Buch von Can Xue heran, das eine Identitätssuche im Stil von „Alice
im Wunderland“ reflektiert (Regie: Andreas Bode). In der
dreistündigen Kurzopern-Trilogie „Amazonas“ von
Klaus Schedl, Tato Taborda und Peter Weibel werden die Abholzung
des Regenwalds und ihre Folgen
kritisch betrachtet. Bei so vielen Blicken schielt schnell das
Allerlei, zumal die Musiktheater weder thematisch noch musikalisch
in irgendeiner Beziehung zueinander standen. Auch taten die Komponisten
nicht viel, um mit schöpferischer Originalität Abhilfe
zu schaffen. Denn man kann Maintz vieles vorhalten; dass seine
Musik zu wenig dramatisch sei, sicherlich nicht.
In die luzid-fragilen Klänge drängen sich energische
Ausbrüche, die von der nahenden Katastrophe künden.
Am Ende hängen die Getöteten zwischen den Gittern des
Laufrads, ein grelles weißes Licht schattiert die Körper
aus, die Musik verharrt lange im höchsten Diskant. Mit diesem
Bild ist der stärkste Moment der 12. Münchener Biennale
geglückt. Gleichwohl bewegt sich Maintz auf dem allzu sicheren
Terrain der spektralistisch-impressionistischen Klangergründung.
Dagegen bemüht Wang den bereits vielfach erprobten Spagat
zwischen fernöstlichen und westlichen Vokalstilen und Spielweisen.
Zwar ist das handwerklich durchaus gut gemacht, wirkt aber schnell
dekorativ und globalisiert.
Der Rihm-Schüler Illés arbeitet wiederum mit blockhaften
Akkord- und Klangballungen. Erst gegen Ende der „Weißen
Fürstin“ wird die Musik dynamisch differenzierter, bis
sich das Orchester ausdünnt und nur noch die Stimmen bleiben.
Doch da ist es schon zu spät: Wenn Illés mit seinem
ersten Musiktheater den 17-teiligen Werkzyklus „Scene polidimensionali“ vollenden
wollte, so wirkt diese Musik eher eindimensional. Die Inszenierung
von Moses, die ab 2011/12 an der Staatsoper Stuttgart unter dem
neuen Intendanten Jossi Wieler als „Hausregisseurin“ wirkt,
beschwor wiederum eine Ironie herauf, der sie geistig nicht gewachsen
war.
Unfreiwillig komischer Höhepunkt war das inzestuöse
Plantschen der Fürstin mit ihrer Schwester in einer gläsernen
Wanne, diese stand für die Weite des Meeres: Die vorderen
Sitzreihen im Publikum wurden etwas feucht, auch wohltemperiertes
Plantschen will gelernt sein. Schöpferischer Tiefpunkt war
indes „Amazonas“. Denn bevor man durch einen künstlichen
Wald irrte, in dem es kreischte und quiekte (in Tabordas „A
Queda do Céu“ stößt – recht austauschbar – Lautakrobatik
auf Geräuschhaftes, Tradition und Folklore), musste man sich
durch eine einfach gestrickte Collage von elektronischen, improvisierten
und rockmusikalischen Klängen mühen (Schedls „Tilt“).
Schließlich wurden in einer fiktiven „Amazonas-Konferenz“ die
Politik und Wirtschaft als böse entlarvt.
Der Urwald brennt, die Bühne pennt – das war das Ergebnis
dieses Projekts, das zu den aufwendigsten und teuersten in der
Geschichte der Biennale zählte. Natürlich darf Musiktheater
scheitern, aber: Die Münchener Biennale beauftragt immer seltener
jene Jungtalente, denen man aufregende Befragungen des Musiktheaters
zutraute; ihrer gäbe es viele. Auch braucht die Biennale frische
Ideen, wenn es um die Programmgestaltung und Vermittlung geht.
Das sind die zentralen Probleme und nicht Ruzickas Vorliebe für
die nicht-narrative Bühne, wie häufig bemängelt
wird. Das Musiktheater hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg vielfältig
entwickelt, zudem funktionieren die außereuropäischen
Traditionen anders: Wer das Musiktheater einzig durch die Brille
der europäischen Opern- und Theatertradition betrachtet, ignoriert
all dies.
Marco Frei
|