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Gescheiterte Markenoffensive
Bremen nach der Entzauberung Hans-Joachim Freys · Von Christian
Tepe
Als Manager-Intendant war Hans-Joachim Frey 2007 in Bremen angetreten.
Jetzt gibt er zum Ende der laufenden Spielzeit vorzeitig auf, nachdem
sein Musical-Projekt „Marie Antoinette“ ein ökonomisches
Debakel wurde. Zu den Hinterlassenschaften Freys zählen neben
einem Gesamtdefizit von 4 Millionen Euro die Zerschlagung des Solistenensembles
und die Umstellung des bewährten Repertoiretheaters auf ein
Semi-Stagione-Modell.
„Das Bremer Theater ist ein modernes Unternehmen, eine
schlagkräftige
Marke, die effizient geführt wird und ein erfolgreiches Produkt
betreibt und verkauft – nämlich Kunst auf hohem Niveau.“ Mit
einem Vokabular, das auch der Werbebroschüre eines Möbelhauses
entnommen sein könnte, kommentierte Generalintendant Frey
die Verleihung des Bremer Marketing-Innovationspreises an das Theater
Bremen im Oktober 2008. Wie man inzwischen weiß, hat sich
die Jury des Marketing-Clubs Bremen mit dieser Entscheidung ein
Armutszeugnis ausgestellt, ist doch die „Marke“ Theater
Bremen zu einem Synonym für das finanzielle Fiasko geworden,
mit dem die Verwandlung des Stadttheaters in ein marktorientiertes
Unternehmen endete. Die kleine Posse um den Innovationspreis wäre
nicht weiter erwähnenswert, würde sie nicht verdeutlichen,
wie eine Phalanx aus Wirtschaft, Politik und Kulturmanagement den
verheerenden Führungskurs des Generalintendanten protegiert
hat. Dass Frey mit seinem an den plattesten Unternehmens-ideologien
orientierten neoliberalen Jargon in eine solche Position gelangen
konnte, ist primär Ausdruck der Unerfahrenheit, Inkompetenz
und faktischen Dummheit derer, die ihn gewählt haben. Wo künstlerische
Urteilskraft und wirtschaftlicher Sachverstand gefragt gewesen
wären, ersetzten offenkundig Sprechblasen wie „Effizienzsteigerung“, „Synergieeffekte“, „Markenwert“, „Event“ oder „Label“ das
selbständige Denken. Mit der Person Freys ist die Aufarbeitung
des Skandals um das Theater Bremen also mitnichten erledigt, so
sehr sich auch Bürgermeister und Kultursenator Jens Böhrnsen
bei der Entmachtung des einstigen Wunschkandidaten der Politik
in der Rolle des rückhaltlosen Aufklärers gefiel.
Die Fairness gebietet dennoch daran zu erinnern, dass man am Theater
Bremen mit Produktionen wie Peter Ruzickas Oper „Celan“ (siehe „Oper&Tanz“ 3/2009)
auch unter Frey bestrebt war, an die große Tradition des
Hauses als Impulsgeber für ein progressives zeitgenössisches
Musiktheater anzuknüpfen. Natürlich verdanken sich solche
Erfolge besonders der ungebremsten Leistungsfreude der Kollektive,
darunter auch des Chores, und dem Kunstwillen einer starken Dramaturgie.
Und so existiert vielleicht schon ein tragfähiges Fundament
für die Zukunft. Doch wie ist es dabei um die stark ramponierten
Säulen des Ensembles und des Repertoires bestellt? Das fragte
Christian Tepe den Chefdramaturgen Hans-Georg Wegner für „Oper&Tanz“.
Oper&Tanz: Herr Wegner, Sie gehören als Spartenchef der
Oper zusammen mit Patricia Stöckemann (Tanz), Marcel Klett
(Schauspiel), Rebecca Hohmann (Jugendtheater) und Martin Wiebcke
(Künstlerischer Betriebsdirektor) dem kommissarischen Leitungsgremium
des Theaters Bremen an. Zugleich amtiert Hans-Joachim Frey noch
bis zum Ende der laufenden Spielzeit als Generalintendant. Nun
ist bekanntlich eine mehrjährige Vorausplanung für die
Funktionsabläufe eines Opernhauses unabdingbar. Wie weit reichen
da Ihre konkreten Gestaltungsbefugnisse?
Hans-Georg Wegner: Wir sind als Leitungsgremium vom Senator für
Kultur Jens Böhrnsen mit einer Vollmacht ausgestattet worden,
die uns die künstlerische Leitung des Hauses erlaubt, bis
ein neuer Intendant gefunden ist. Das heißt für die
Oper am Theater Bremen, dass ich in Abstimmung mit Martin Wiebcke
und unserem GMD Markus Poschner den Spielplan und die Besetzung
für die kommende und, soweit für die Gewährleistung
des Spielbetriebs nötig, auch für die darauffolgende
Spielzeit entwerfe.
Erweiterung im Opernstudio
O&T: Das Konsolidierungskonzept für das Theater Bremen
sieht die Rückkehr zum Repertoirebetrieb und eine Aufwertung
der Spartenensembles vor. Es ist jedoch nur schwer vorstellbar,
wie dies mit dem nach der Ära Pierwoß deutlich reduzierten
Solistenensemble der Oper gelingen kann. Wird das Theater Bremen
demnach in der kommenden Saison die Zahl der fest engagierten Sänger
wieder aufstocken?
Wegner: Wir sind leider nicht in der Lage, das Solistenensemble
weiter auszubauen. Rechnet man allerdings unser Opernstudio mit,
das es bei Klaus Pierwoß nicht gegeben hat, dann ist die
Zahl der Solistinnen und Solisten nicht geringer. Die Mitglieder
des Opernstudios übernehmen kleinere Rollen, covern bestimmte
Partien und bekommen bei Eignung die Gelegenheit, auch größere
Partien zu singen. Das heißt für die Planung, dass wir
sehr genau Spielplan und Ensemble aufeinander abstimmen. Da sind
unsere Künstler stark gefordert, sie bekommen aber umgekehrt
auch die Möglichkeit, ihr Repertoire auszubauen, zumal wir
viele junge Solistinnen und Solisten beschäftigen. Wir sind
da in der Planung sehr eng in Kontakt mit dem Ensemble. Glücklicherweise
haben wir ein Ensemble, das sowohl sängerisch als auch darstellerisch
sehr gut ist und sich beim Publikum hervorragend etabliert hat.
Was die Disposition betrifft, so hat es sich für die Sparte
Oper allerdings bewährt, die Stücke über einen bestimmten
Zeitraum hinweg anzusetzen und gegebenenfalls wieder aufzunehmen.
Das ist gut für die Qualität der Aufführungen und
ist vom Publikum auch akzeptiert. Wir werden in der Oper also nicht
zum klassischen Repertoire zurückkehren. Im Schauspiel und
im Tanz sieht das anders aus, die werden wieder richtiges Repertoiretheater
machen.
Weg von kurzfristigen Erfolgen
O&T: Spätestens seit dem
finanziellen Fiasko mit „Marie
Antoinette“ ist die von der Theaterleitung in den letzten
Jahren forcierte Innovationsoffensive mit glamourösen Eventspektakeln
in Verruf geraten. Liegt die Stärke des Hauses also doch in
einer künstlerischen Inhaltsästhetik, mit der Bremens
Oper jahrzehntelang reüssieren konnte und die ja auch von
Generalintendant Hans-Joachim Frey nie ganz aufgegeben wurde?
Wegner: Meine Überzeugung ist, dass wir nur mit künstlerisch
und inhaltlich fundierter Arbeit langfristig unser Publikum erreichen.
Zwar wird es auch im kommenden Spielplan für jede Inszenierung
einen besonderen Aspekt geben, mit dem wir dem Publikum den Opernbesuch
nahelegen. Das kann eine besondere Besetzung sein oder auch ein
spezielles ästhetisches Konzept. Wichtig ist aber, den Besuchern
zu erklären, was diese besonderen Konstellationen zur künstlerischen
Aussage des Stückes beitragen. Das bloße Auflisten von
prominenten Namen steht der Rezeption der Inhalte des Stückes
im Wege und führt daher nur kurzfristig zu Erfolgen. Wenn
wir nicht mehr erklären könnten, warum wir ein Stück
heute hier in Bremen spielen, dann hilft uns auch kein Glamour
weiter. Aber wie Sie richtig bemerkt haben, man kann über
den bisherigen Spielplan in Bremen auch eine ganz andere Geschichte
erzählen: Wir haben hier 6 zeitgenössische Opern in drei
Spielzeiten gezeigt und mit der Uraufführung von „Gegen
die Wand“ eine hochinteressante Publikumsschicht von Menschen
mit Migrationshintergrund für die Oper gewonnen. Wer einmal
eine berührende, emotionale und nachdenkenswerte Erfahrung
mit bzw. in der Oper gemacht hat, der kommt davon nicht mehr los.
Diese Erfahrung wollen wir ermöglichen, darin liegt die Chance.
Oper für junge Menschen
O&T: Wird es eine Zukunft des
Hauses als Labor für neues
Musiktheater geben, so wie es die 2007 dem Rationalisierungskurs
geopferte experimentelle Raumbühne „Concordia“ versinnbildlichte?
Wegner: Bremen hat eine ungewöhnlich starke und ungebrochene
Tradition, was zeitgenössische Oper betrifft. In dem Bereich
ist auch unser Orchester, die Bremer Philharmoniker, sehr profiliert.
Diese Tradition setzen wir fort, z.B. mit einer Uraufführung
von Jörn Arnecke in der kommenden Saison. Aber nicht in der „Concordia“,
sondern im Theater am Goetheplatz. Da erreichen wir wesentlich
mehr Menschen. Weniger neu, aber extrem wichtig ist, dass wir die
Vermittlung von Oper an junge Leute durch unsere Theaterpädagogik
noch verstärken. Wir bieten deshalb auch wieder eine Oper
an, die sich direkt an Kinder wendet. Insgesamt geht es darum,
dass wir den Bremerinnen und Bremern dabei helfen, das zu lieben,
was wir selbst auch lieben. Es ist essentiell für unsere Kultur,
dass wir den Erfahrungsbereich Musiktheater erhalten.
O&T: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Bremens „Chronique scandaleuse“
3/2006: Kultursenator Jörg Kastendiek stellt den künftigen
Generalintendanten des Bremer Theaters vor: „Mit Hans Joachim
Frey haben wir einen Intendanten gefunden, der die veränderten
Anforderungen an die Leitung eines Mehrspartentheaters sowohl im
künstlerischen als auch im betriebswirtschaftlichen Bereich
hervorragend erfüllen wird.“
8/2007: Beginn der Intendanz
Frey. „Mit wesentlich weniger
Mitteln, einem entschlackten Haushalt und mehr Effizienz“ will
Frey mehr Besucher anlocken und höhere Einnahmen erzielen:
Das Solistenensemble wird reduziert, das Repertoiresystem aufgegeben
und die Spielstätte Concordia geschlossen.
10/2008: „Für die erfolgreiche Markenentwicklung vom
Bremer Theater zum Theater Bremen“ (!) verleiht der Marketing-Club
Bremen Frey und seinem neuen Team den Marketing-Innovationspreis
2/2009: Mit „Marie Antoinette“ stürzt Frey als
Produzent das Theater Bremen in ein kommerzielles Musical-Abenteuer.
Das Stück wird en suite im 1999 eröffneten Musical-Theater
am Richtweg gegeben, wo sich mit „Jekyll & Hyde“ sowie „Hair“ bereits
zwei Compagnien am ausbleibenden Publikumszuspruch verschlissen
hatten. Trotz der damaligen Insolvenz von „Hair“ verspricht
Frey nun Einnahmen im siebenstelligen Bereich.
8/2009: „Marie Antoinette“ spielt ein Defizit von 2,5
Millionen Euro ein. Eine vom Senat beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
attestiert der Theaterleitung gravierende Mängel in der Geschäftsführung.
Frey gibt seine vorzeitige Vertragsauflösung zum Ende der
Saison 2009/10 bekannt. Ein „Maßnahmenpaket“ für
das Theater sieht unter anderem die Absenkung des künstlerischen
Etats um 845.000 Euro bis zum Jahr 2014 und die Erhöhung
der Eintrittspreise vor.
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