Unter Kultur ist auch ein angemessener und würdiger Umgang
miteinander zu verstehen, den der Staat jedoch gegenüber seinen
Bürgern zunehmend vernachlässigt. Die konsequente Gängelung
des Bürgers durch den Staat findet derzeit ihren vorläufigen
Höhepunkt mit ELENA.
Nein, ELENA ist nicht die schöne Tochter des Zeus und es ist
auch kein Tief, das uns weitere Schneestürme in dem schon
so arg gebeutelten Lande beschert. ELENA ist der neueste Coup der
Bundesregierung, die allgemeine Verwaltung angeblich zu vereinfachen – ein „Meilenstein
in Sachen Entbürokratisierung“, wie es so schön
heißt. Der Staat bekommt damit endlich einen konkreten Überblick über
die persönlichen Verhältnisse seiner Bürgerinnen
und Bürger, glasklar sozusagen.
ELENA (ELektronischer EntgeltNAchweis) ist ein
Verfahren, mit dem zukünftig in Deutschland der Zugang zu bestimmten staatlichen
Leistungen geregelt werden soll, für die Einkommens- und andere
Beschäftigungsnachweise des Arbeitgebers notwendig sind, wie
etwa die Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III.
Betroffen sind rund 40 Millionen Arbeitnehmer. Kommuniziert wird
mit der Arbeitsagentur, der Kindergeldstelle oder den Justizbehörden
(etwa bei Berechnung von Unterhaltszahlungen in Scheidungsfällen),
die so auf die jeweils relevanten Daten zugreifen können. Das Problem ist, dass die so aufgebaute Datenbank neben Angaben
zu Gehalt und Sozialabgaben auch Kündigungsgründe wie
Abmahnungen und detaillierte Angaben zur Art von Fehlzeiten festhalten
soll. Und dazu gehört auch die streikbedingte Abwesenheit
vom Arbeitsplatz. Neben dem Verdacht des eklatanten Verstoßes
gegen das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung sehen Datenschützer
hierin zu Recht die Gefahr, dass die personenbezogenen und sensiblen
persönlichen Daten in einer zentralen Datenbank zu stark der
Gefahr des Missbrauchs ausgesetzt sind. Bürgerrechtler kritisieren
die Datenbank als eine zentrale, anlasslose und damit unzulässige
Vorratsdatenspeicherung von personenbezogenen Daten. Auf dem Wege
zum gläsernen Menschen zumindest sollte dieses Teilstück
tatsächlich einen Meilenstein darstellen, Big Sister ELENA
sei Dank.
Es gibt jedoch bereits erste Korrekturen, nicht nur aufgrund
der im Hinblick auf Datenschutz verfassungsrechtlich bedenklichen
Auskunftsdetails,
sondern auch wegen der praktischen Unmöglichkeit, den Anforderungen
an die gestrenge ELENA gerecht zu werden. Sprich, die IT-Infrastruktur
ist ihr ebenso wenig gewachsen wie die mit ihr arbeitenden Menschen.
Sogar die ursprünglichen Mitinitiatoren, die Bundesvereinigung
der Arbeitgeberverbände, bezeichnet den Nutzen von ELENA als
marginal und das System als ineffizient und kostenverursachend.
Der Gipfel indes ist, dass keiner weiß, welche Angaben denn
nun tatsächlich konkret zu erheben sind. Die Justizministerin
zumindest lässt hoffen, indem sie unlängst im SPIEGEL äußerte: „Ich
finde, wir sollten uns auf Daten beschränken, die für
das Ausstellen der fraglichen Bescheinigungen unbedingt erforderlich
sind.“ Es stellt sich dann nur die
Frage, wer bestimmt, was erforderlich
ist. Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, dass sich das Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe mit dem Informationshunger des Staates wird befassen
müssen, wie es ja aktuell bereits mit der Vorratsdatenspeicherung
von Telekommunikationsdaten geschieht, bei der ebenso der Verstoß gegen
den Erforderlichkeitsgrundsatz auf dem Prüfstand steht.
In Sachen kulturellen Umgangs miteinander bleibt für den Staat
zumindest ein Hoffnungsschimmer mit der neuen Vorsitzenden des
Bundestags-Kulturausschusses Monika Grütters, die als ausgewiesene
Bildungsbürgerin der Kultur auf politischer Ebene hoffentlich
wieder zu der Bedeutung verhilft, die ihr zusteht. Einem aktuellen
Zeitungsbericht zufolge wird es ihr ein Herzensanliegen sein, ihre
Kollegen dafür zu sensibilisieren, dass die Blüte von
Malerei, Musik, Theater und Tanz in diesem Land wesentlich das
Bild bestimmt, das sich die Welt von uns macht. „Nationale
Identität erwächst doch nicht aus der Qualität der
Autobahnen, sondern aus dem kulturellen Leben.“
In diesem Sinn wollen wir die Hoffnung auf Besserung
nicht aufgeben und wünschen ein kulturell bereicherndes gutes neues Jahr. Gerrit Wedel
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