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Bitte Abstand halten
„Dreiklang“: 50 Jahre Musiktheater im Revier · Von
Georg Beck Monteverdi, Mozart, Feldman – auf jedem Opernspielplan wäre
solcher Dreiklang Programm und Zierde. Am Musiktheater im Revier,
das sein großes Haus damit nach längerer Umbaupause
wiedereröffnet hat, ist es zugleich ein Versprechen: das anspruchsvolle
Werk alter und neuer Zeit soll hier eine Heimstatt haben. Nur – zu
welchen Konditionen?
Ein Film läuft ab. Gesichter in Nahaufnahme. Durchs Bild huschen
die Akteure der Compagnie Schindowski, des langjährigen Ballettdirektors
am MIR. Material wie nach dem Zufallsgenerator abgespult. Postpostmodern.
Beliebig. Und doch: Die Position der Leinwand in der geometrischen
Mitte des Kirchenschiffs von St. Georg, dem Ausweichquartier des
MIR während der siebenmonatigen Umbauphase, ist zu prominent,
als dass hier die pure Absichtslosigkeit walten würde. Die
transparente Projektionsfläche fungiert als Raumteiler, als
Abstandshalter. Auf der einen Seite das Publikum, auf der anderen
das Orchester. Letzteres im Begriff, Morton Feldmans Genre-Unikum „Neither“,
Oper in einem Akt für Sopran und Orchester nach einem Text
Samuel Becketts, auszuführen – was Alexandra Lubschansky
und der Neuen Philharmonie Westfalen unter der klaren Zeichengebung
von Johannes Klumpp sehr gut gelingt. Nur – warum hat sie
die Regie zum Fernorchester herabgestuft? Warum ist die orchestrale
Hauptsache meilenweit entfernt vom Publikum, getrennt, gefiltert
von einem diffusen Leinwandzauber? Vergleichbar das Geschehen vor
der Pause, wo sich ein erster Teil dieses Jubiläumsabends
mit dem anspielungsreichen Titel „Unsprechbares Zuhause“ als
Monteverdi-Collage gibt: „Lamenti über Liebe und Tod“.
Sechs Ensemblemitglieder errichten das „Lamento della Ninfa“,
das „Lamento d’Ariana“ sowie Monteverdis „Combattimento
di Tancredi e Clorinda“ als klingende Stelen. Nur, dass es
schwer ist, die Aufmerksamkeit darauf gerichtet zu halten. Wieder
gelingt es dem Ballett Schindowski, die Musik, Sänger und
ein kleines Instrumentalensemble, zur Begleitmusik abzustempeln.
Die Compagnie, aufgeteilt in dreifach kämpfende Tancredi-Clorinda-Paare,
schiebt sich auch hier zwischen Publikum und Musiker: Monteverdi
als Ballettmusiklieferant. Schließlich der Höhepunkt dieses ambitionierten Wiedereröffnungsprogramms,
das unter der Überschrift „Dreiklang“ tatsächlich
eine schöne Alliteration der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
am MIR Wirklichkeit werden lässt: Drei Opern, an zwei Spielstätten,
an einem Tag – mit der „Zauberflöte“ als
Dritter im Bunde. Zu den schönsten Begegnungen dieser verspielten,
an Oberflächen dahinplätschernden Inszenierung gerät
dabei die Wiederbegegnung mit den Monteverdi-Solisten aus St. Georg.
Nach intensivem Besuch in der Maske erscheinen diese auf der Bühne
des Großen Hauses als Papagena (Alfia Kamalova), als Sprecher
und Priester (Joachim G. Maass, William Saetre), als Monostatos
(E. Mark Murphy), als 2. Dame (Noriko Ogawa-Yatake) – mit
beeindruckender sängerischer und schauspielerischer Leistung.
Ein Ensemble mit Bandbreite.
Dass Regisseur Michiel Dijkema nun strengstes Augenzwinkern verordnet
hat, um so gut wie alles in diesem ewigen Musik-Rätsel ins
Buffo zu wenden, kommt dem Ensemble zumal im ersten Teil ausgesprochen
entgegen. Ein Tamino (Lars-Oliver Rühl), der von seinem Pamina-Bildnis
fast erschlagen wird; ein Papageno (Piotr Prochera), dessen Ausflüge
ins Publikum für besondere Heiterkeit sorgen und eine Königin
der Nacht (Diana Petrova) im Fantasylook mit Spielzeugknarre. Höchst
spiellaunig dabei die Drei Damen als verrückte Alte, nicht
weniger Drei lustige Knaben als vom Schnürboden herabschwebende
Zwerge mit Rauschebart. So gelsenkirchen-barockig spielt man Mozart
nur am MIR. Dem gegenüber hat die Regie für die Sarastro-Welt
nur einen folkloristischen Blick. Was ein Tempel der Weisheit ist
oder sein könnte, weiß Dijkema jedenfalls nicht. Ober-Priester
Dong-Won Seo, mal im quietschgrünen, dann knallroten Outfit,
setzt sein schönstes Buddha-Lächeln auf wie ein zum Schabernack
aufgelegter Besuchs-Onkel. Dazu lässt Dijkema den von Christian
Jeub musikalisch bestens präparierten Chor in lebenden Panorama-Bildern
erstarren, mal als quietschfidele Jägergesellschaft, dann
als würdevoll tuende Tempelpriester: Ideen sehen anders aus.
Wäre nicht Petra Schmidt mit ihrer ergreifenden Verzweiflungsarie
der Pamina – diese MIR-Zauberflöte hätte gar keine
Tiefe gehabt. Ganz und gar schuldlos daran Rasmus Baumann am Pult
der (nicht immer sicheren, aber geschmeidig mitgehenden) Neuen
Philharmonie Westfalen.
Gewiss. Für Stadttheatermaßstäbe war dies ein
exzeptioneller Abend. Zum 50-jährigen Jubiläum des MIR
hat sich das Haus mit diesem Programm selbst in die Pflicht genommen.
Hier, im Herzen Gelsenkirchens, soll, so darf man das wohl verstehen,
das anspruchsvolle Werk eine Heimstatt haben, wozu ein vergrößerter,
akustisch verbesserter Zuschauerraum tatsächlich allerbeste
Voraussetzungen bietet. Nur eben, dass besagte Darstellung des
anspruchsvollen Werkes Alter, Klassischer, Neuer Musik gegenwärtig
(wenn überhaupt) nur mehr mit zeitgeisttributigen Einschränkungen
möglich scheint: Monteverdi geht nur, wenn er (auch) vertanzt
wird; Mozart nur, wenn er das Schenkelklopfen fördert und
ein Morton Feldman braucht den Film und den (noli me tangere) berührungsfreien
Abstand zwischen Publikum und Orchester. Sonst, so wohl die geheime
Befürchtung am MIR, ist all diese (je auf ihre Weise) bedingungslos
Neue Musik nicht auszuhalten.
Georg Beck
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