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Berichte

Dem Vergessen entrissen

Peter Ruzicka dirigiert in Bremen seine Oper „Celan“ · Von Christian Tepe

Als Paul Celan seine „Todesfuge“ in deutschen Schulbüchern entdeckte, empfand der Dichter dies als eine Vereinnahmung seiner Sprache durch die Täter und ihre Nachkommen. Zwei Generationen später figuriert die Person Celans bereits auf der Opernbühne und sein Name prangt goldgrundiert auf dem Hochglanz-Programmheft des Theaters Bremen. Hatte Adorno also doch Recht, als er behauptete, es sei „barbarisch“, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben und damit auch die unbekümmerte Kontinuität des Kulturbetriebs seit 1945 anprangerte? Mit Blick auf Celan hat Adorno sein Urteil später revidiert: „Die authentischen Künstler der Gegenwart sind die, in deren Werken das äußerste Grauen nachzittert.“ Hier setzt auch Peter Ruzicka an. Seine Oper „Celan“ handelt in sieben Entwürfen von der Isolation und Verzweiflung des Künstlers, der einer inhumanen Einrichtung der Welt nichts Rettendes entgegenzusetzen weiß als allein seine ohnmächtig gewordene Sprache. In diese Thematik haben Ruzicka und Librettist Peter Mussbach szenisch mehrfach überblendete Spuren aus dem Leben Celans eingelassen, wie die quälenden Schuldgefühle des Dichters, den Holocaust überlebt zu haben, während seine Eltern – und nicht nur sie – den Tod fanden.

 
Chor, Extrachor und Statisterie des Theaters Bremen in Peter Ruzickas „Celan“.
 

Chor, Extrachor und Statisterie des Theaters Bremen in Peter Ruzickas „Celan“.
Foto: Jörg Landsberg

 

Ruzicka hat in seiner Oper kein einziges Wort Celans vertont. Gleichwohl lässt sich eine kompositorische Anverwandlung des dichterischen Idioms bemerken, die tief an das Mitgefühl des Hörers appelliert. Ein schwermütiger, einsam monologischer Grundton durchzieht die sinfonisch ausgerichtete Partitur, unterbrochen von jähen, rasch wieder in sich zusammenfallenden Ausbrüchen, die das Scheitern des künstlerischen Individuums verdeutlichen. Die Bruchstückhaftigkeit des Vorgetragenen paart sich in der Interpretation der Bremer Philharmoniker unter der Leitung des Komponisten mit einem Ernst und einer Emphase des Vortrags, die besonders dann spürbar werden, wenn die Musik wie am Schluss in einem zeitlos wirkenden Unisono der Streicher nur noch von der Leere der Welt nach der „Endlösung“ spricht: Klänge, die in ihrer weit ausgreifenden Flächigkeit von Ferne an die schwermütigen Langzeilen der „Todesfuge“ erinnern. Die Bremer Philharmoniker sichern dieser Musik am äußersten Rand des Sagbaren eine hohe emotionale Fasslichkeit und Prägnanz.

Dass die Ausdruckskraft der Stimmbehandlung mit Ausnahme des Chors gegenüber dem Orchestersatz zurückfällt, begründet sich von dem Ort der Oper her, die gleichsam im Schatten der Sprachlosigkeit steht. Abgesehen von dem innig schlichten Ton, mit dem Celans Frau (eindringlich: Nadine Lehner) den Dichter in den Freitod verabschiedet, prägt sich trotz eines gut disponierten Ensembles nur wenig Gesungenes der Erinnerung ein. Ganz anders der von Tarmo Vaask probat einstudierte Chor, der eindeutig im vokalen Zentrum der Aufführung steht. Wie der Chor und Extra-Chor des Theaters Bremen die litaneiähnlich wiederholten „Jerusalem“-Klanggebärden in ihrem meditativ-reflexiven Gestus zugleich mit einem Maximum an expressiver Spannung intonieren, ist eine interpretatorische Leistung von singulärem Rang.

Regisseurin Vera Nemirova zeigt in dieser großen Chorszene mit dem Titel „Das Grauen – Bildlose Welten ferner Gewissheit“ keine in die Distanz des Klischees entrückten Juden auf dem Weg in die Gaskammern. Wir sehen Menschen von heute, die von den flehentlichen Anrufungen der Ermordeten übermächtigt werden und ihre Kleider ablegen, während sich ein monumentaler, die ganze Bühne beherrschender Bücherkubus anhebt, um den Blick auf das von ihm gleichermaßen verdeckte wie aufbewahrte moralische Universum freizugeben. Ein irritierend starkes Bild – und ein Schock für zahlreiche Zuschauer, die an dieser Stelle das Theater verlassen. Nemirova dringt mit ihrer Arbeit tief in die Welt der Erinnerung ein und macht die unsichtbare Anwesenheit der Toten nicht allein für Celan, sondern für alle Nachgeborenen spürbar: „Wahr spricht, wer Schatten spricht“, schrieb Celan.

In der Form eines sarkastischen Intermediums entlarvt Nemirova dagegen die Verlogenheit einer politisch organisierten und pädagogisch kanalisierten Vergangenheitsbewältigung und macht die frivole Verhöhnung der Opfer kenntlich, wenn die Judenverfolgung schließlich gar zum Objekt touristischer Neugierde wird. Damit korrespondieren die Herzlosigkeit und Indifferenz, die eine 2009 in Bremen eigens für diese Opernproduktion entstandene Filmsequenz mit Interviews zum Holocaust bei vielen Befragten offen legt: Nicht gedacht soll ihrer werden, lautet die unausgesprochene Devise zahlreicher Stellungnahmen. Eine Gesellschaft steht moralisch auf der Kippe. Rettendes Eingedenken liegt allein in der Kunst. Aber diese ist von der Grundfarbe schwarz – ohne Goldgrund und Hochglanzästhetik.

Christian Tepe

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