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Mit Vladimir Malakhov auf eine Tasse Tee
„Als Tänzer ist man nie am Ziel“: Vladimir Malakhov
im Gespräch mit Jan Stanislaw Witkiewicz, aus
dem Polnischen übersetzt
von Anna Leniart, 160 S. (gebundene Ausgabe), 64 Abb., Schott
Music, Mainz 2009,19,95 Euro, ISBN 978-3795706814
Jedes Mal, wenn ich auftrete, ist es für mich ein richtiges
Fest! (...) Es kommt Freude, sogar Euphorie auf darüber, dass
ich auf der Bühne stehe.“ Diese Freude Vladimir Malakhovs
am Tanz ist es, die vielleicht am stärksten und am spürbarsten
aus dessen Worten dringt, ja „überschwappt“ und
beim Leser seines Gesprächs mit dem Journalisten und langjährigen
Vertrauten Jan Stanislaw Witkiewicz unmittelbar ankommt.
Unmittelbar und sehr direkt wirkt das gesamte, im Klappentext
als „Porträt“ ausgewiesene
Buch – ein Eindruck, der nicht zuletzt dadurch entsteht,
dass auf klar strukturierte und unterteilte Kapitel verzichtet
wurde, sondern, ohne erkennbare Überarbeitung, ein unverfälschter
Gesprächsfluss wiedergegeben wird, mit Gedankensprüngen
und -brüchen, wie sie im Laufe einer Unterhaltung ganz natürlich
vorkommen. Es ist, als würde Witkiewicz dazu einladen, sich
mit Malakhov auf eine Tasse Tee zusammenzusetzen und sich dabei
entspannt und zugleich mit großer Intensität zu unterhalten: über
das Dasein als sogenannter „Jahrhunderttänzer“, über
die ersten Tanzschritte des 1968 in Kriwoj Rog in der Ukraine geborenen
Malakhov, seine Ausbildung in Moskau, die Entscheidung im Jahr
1992, im Westen zu bleiben und damit einen Neubeginn zu wagen,
der es ihm ermöglichte, auch zeitgenössische Choreografien
zu tanzen und der ihn darüber hinaus auf die bedeutendsten
Bühnen der Welt bringen sollte.
Die Weltkarriere Malakhovs scheint dabei jedoch eher zur Rahmenhandlung
zu werden, denn der Tänzer, Choreograf und Intendant gewährt
vielmehr immer wieder sehr offene Einblicke in seine Gefühle
und Erfahrungen, wirkt ehrlich und unverstellt, sodass man tatsächlich
meinen könnte, ihm gegenüberzusitzen und ihn persönlich
kennen zu lernen. Auch wenn er Beruf und Privates stark trennt, äußert
er sich offen zu persönlichen Themen. „Mein Privatleben
sieht aus wie Berg und Tal, mein Berufsleben dagegen wie eine gerade
Linie, die immer nach oben geht.“ Er erzählt von beglückenden
wie auch von leidvollen Erfahrungen, von Partnerschaft, dem Verhältnis
zu seinen Eltern, und bekennt sich offen zu seiner Homosexualität. „Trotz
meines Coming-outs fragen mich meine Eltern ununterbrochen, wann
ich heirate, wann die Kinder kommen. Ich antworte ihnen ganz ruhig,
dass das nie passieren wird, dass das nicht mein Leben ist. Ich
will nicht – wie es viele tun – eine Frau heiraten,
um meine Homosexualität zu verbergen. Das darf man nicht machen.“
Geradlinigkeit und Ehrlichkeit – sich selbst und anderen
gegenüber – setzt Malakhov beruflich genauso um wie
im Privatleben. Verbunden mit ausgeprägter Emotionalität,
mit Talent und viel harter Arbeit sind sie bedeutende Faktoren
seines Erfolges – was vor Selbstzweifeln nicht schützt: „Wenn
ich tanze, scheint es mir, dass ich alles falsch mache. Ich höre
sehr genau auf alle an mich adressierten Kritiken. (...) Und wenn
mir der Pädagoge am nächsten Tag sagt, dass ich das Eine
falsch gemacht habe, dass man das Andere besser machen kann und
so weiter, dann packe ich alles mit verdoppelter Energie an und
korrigiere diese Mängel.“
Auf 156 Seiten lässt sich so auf spannende und angenehme Weise
eintauchen in Malakhovs (Tänzer-)Welt, die durch die zahlreichen
in den Text eingestreuten Fotos – viele aus Malakhovs Privatarchiv – noch
lebendiger wird. Umrahmt wird das Gespräch durch das Vorwort
Witkiewicz’ und durch eine Chronik zu Malakhovs Leben und
Stationen, Rollen, Preisen und Choreografien, die hilft, das Erzählte
chronologisch einzuordnen.
An das Ende des Gesprächs setzt Witkiewicz die ihm merklich
unangenehme Frage nach dem Karriereende Malakhovs als aktiver Tänzer,
die dieser wie folgt beantwortet: „Noch nicht. Ich betrete
die Bühne immer noch mit Euphorie und Ekstase, weil es mir
immer noch große Freude macht.“ Birgit A. Liebl
Vladimir Malakhov
Biografische Daten
• geb. 1968 im ukrainischen Kriwoj Rog
• Beginn der Tanzausbildung im Alter von vier Jahren
• 1978 Moskauer Bolschoi-Ballettschule
• 1986 Engagement an das Moskauer Klassische Ballett
•
1992 Vertrag als Erster Solotänzer beim Wiener Staats-opernballett
• 1994 National Ballet of Canada
•
1995 Debüt beim American Ballet Theatre an der Metropolitan
Opera in New York City; seitdem Erster Solotänzer beim
American Ballet Theatre
•
1999 erste eigene Choreografie: „Die Bajadere“ nach
Marius Petipa zur Musik von Ludwig Minkus (Wiener Staatsoper)
• 2002 Berufung zum Ballettdirektor an der Staatsoper Unter den Linden
• 2004 Ernennung zum Intendanten des Staatsballetts Berlin
•
Seit kurzem ist Vladimir Malakhov Ehrenbürger der Stadt Kiew
und Ehrenprofessor der Ukrainischen Akademie für Choreografie
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