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Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Bautzen
Dem Wunsch der Theaterleitung des sorbischen National-Ensembles,
den Haustarifvertrag des Jahres 2004 rückwirkend auch für
2005 anzuwenden, sind die Ensemble-Mitglieder und die Künstler-Gewerkschaften
gerne nachgekommen, war er doch mit der Zusage des Theaters verbunden,
im Jahr 2006 den Gehaltsverzicht nicht mehr in Anspruch nehmen zu
müssen. Das 2004 entstandene Defizit sei Ende 2005 ausgeglichen;
gleichbleibende Zuschüsse vorausgesetzt, werde das SNE wieder
in den Flächentarifvertrag zurückkehren. Voilà:
Zeitlich begrenzte wirtschaftliche Notsituationen überbrücken
zu helfen, ist der eigentliche Zweck von Haustarifverträgen.
Berlin, Schaubühne
„Difficile est, satiram non scribere“ lautet übersetzt:
Über den jüngsten Krach in der Schaubühne am Lehniner
Platz nicht zu lachen, fällt schwer. Deren Sorgen, nämlich
auf rund 200.000 Euro pro anno verzichten zu müssen, wünscht
sich manch Theaterleiter statt der seinen, bei denen es sich in
der Regel um fehlende Millionen handelt.
Sasha Waltz, die gefeierte Chefin und Choreografin ihrer Tanzcompagnie,
deren letzte Premiere in der Schaubühne den Titel „Gezeiten“
(Tsunami?) trug und fast drei Stunden einen unfreiwillig beziehungsreichen
Prozess der Zerstörung darbot, Sasha Waltz also, seit 1999
in zunehmender Entfremdung in Kohabitation mit Thomas Ostermeiers
Schauspiel-Ensemble lebend, will sich selbstständig machen
und schrittweise die Schaubühne verlassen, dort zunächst
nur noch 26 Vorstellungen geben, Tendenz abnehmend, um, so boshafte,
dennoch nicht lügende Mäuler, um also die von ihrem Mann
für viel Geld, für sehr viel Geld, sagen die genannten
Mäuler, bereits angemieteten neuen Immobilien mit tänzerischem
Leben zu füllen. „Salve regina“ lautet übersetzt:
Good Luck, Frau Waltz, oder: Reisende soll man nicht aufhalten.
Wer Schaubühnen-Direktor Jürgen Schitthelm kennt, darf
sicher sein, dass er den Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses
vom 9. November 2005 verkraften wird, Sasha Waltz mit rund 600.000
Euro aus der bis dahin 12,3 Millionen Euro betragenden Schaubühnen-Zuwendung
ziehen zu lassen, und dass er in Thomas Ostermeiers Drohgesang nicht
einstimmen wird, die Schaubühne müsse Insolvenz anmelden,
weil Sasha Waltz nur 400.000 Euro, ihre Morgengabe zu Beginn der
Kohabitation, zustünden.
Bleibt: Die Schaubühne ist unterfinanziert, musste aus eigener
Kraft und mit gagenminderndem Haustarifvertrag bereits zusätzlich
eine Million erwirtschaften. Und der Tanzcompagnie Waltz ist zu
raten, eine auf Goldadern reagierende Wünschelrute zu suchen.
Bremen
Dem Porträt des Bremer Theaters und dem von Christian Tepe
geführten Interview mit Generalintendant Klaus Pierwoß
(siehe S. 8 dieser Ausgabe) ist lediglich hinzuzufügen, dass
am 24. November 2005 unter Moderation des Finanzstaatsrats und KAV-Vorsitzenden
Henning Lühr ein „Informationsgespräch“ stattfand,
an dem Vertreter der einschlägig befassten Senatsbehörden,
der im Bremer Theater vertretenen Gewerkschaften, des Deutschen
Bühnenvereins und die Theaterleitung teilnahmen. Glich der
eingangs seitens des Wirtschaftsprüfers gegebene Bericht insofern
einer Geisterbahnfahrt, als Verantwortlichkeiten für das Entstehen
der einzelnen Defizitpositionen nur blitzartig auftauchten und sofort
wieder im Nebel verschwanden, sagten Henning Lühr und die Kulturstaatsrätin
Elisabeth Motschmann zum Ende des Gesprächs dann doch zu, den
Gewerkschaften das Zahlenmaterial und die Ergebnisse des PWC-Prüfungsberichts,
der im Dezember vorliegen soll, zur Verfügung zu stellen. Die
Feststellung der institutionellen und persönlichen Verantwortlichkeiten
sei, so die Auffassung der Gewerkschaften, aus zweierlei Gründen
von Bedeutung: um eine Wiederholung des Desasters zu vermeiden und
um feststellen zu können, in welchem Umfang die Beschäftigten
sich an einer Konsolidierung beteiligen sollen. Der Verlauf des
Gesprächs, in dem die Vertreter des Senats immer wieder auf
die desolate finanzielle Situation des kleinen Stadtstaates hinwiesen,
dessen Haushalt 2006 erneut ein Defizit von 170 Millionen Euro aufweist,
machte allerdings auch deutlich, dass die rechts- und tarifwidrige
Insolvenzdrohung nicht etwa eine Panne, sondern wohl gezielt eingesetztes
Mittel in der Tarifauseinandersetzung zwischen der TdL und der Dienstleistungsgewerkschaft
ver.di war. Die Beschäftigten eines Theaters um politischer
Zwecke willen in Form der Gehaltsverweigerung in Geiselhaft zu nehmen,
ist beispiellos. Die Gewerkschaften haben inzwischen einer befristeten
Aussetzung der Weihnachtsgeld- beziehungsweise anteiligen Zuwendungszahlung
tarifvertraglich zugestimmt, der Senat hat dem Theater einen bis
zum 31. Juli 2006 befristeten, liquiditätssichernden Kredit
eingeräumt. Die Gespräche sollen Anfang 2006 mit dem Ziel
eines von allen Gruppierungen getragenen Konsolidierungskonzepts
fortgesetzt werden.
Chemnitz
Dank der wohltuend sachlichen und theaterfreundlichen Moderation
des Chemnitzer Oberbürgermeisters Dr. Peter Seifert (SPD) ist
es im letzten Augenblick gelungen, das bereits absehbare Scheitern
der Verhandlungen über einen neuen, nunmehr dritten Haustarifvertrag
abzuwenden (siehe Oper&Tanz,
Ausgabe 5/05, S. 6). Der neue Vertrag läuft bis Ende der
Spielzeit 2007/08 und sichert bei rund 7,5 prozentigem Gehaltsverzicht
und nachgezogener Ost-West-Angleichung Ensemble und Theater.
Dresden, Staatsoperette
Nachdem der Finanzausschuss des Stadtrats der Landeshauptstadt
der Ausschreibung für einen Neubau am Wiener Platz zugestimmt
hat, in dem auch die Staatsoperette Dresden, dann in eine städtische
GmbH umgewandelt, ihre neue Heimat finden soll, wurden die Gespräche
über einen Haustarifvertrag wieder aufgenommen. Unter den Voraussetzungen
des erfolgten Neubaus und des Umzugs der Staatsoperette dorthin
sowie eines Zuschüsse in gleichbleibender Höhe garantierenden
Theaterfinanzierungsvertrages sollen die Vergütungen der Beschäftigten
der Operette bis Ende 2015 eingefroren werden.
Leipzig
Ein Unikum in der unendlichen Geschichte der Theater-Haustarifverträge
ist zu vermelden. Oberbürgermeister, Stadtrat und Theaterleitungen
handeln Tarifverträge aus und legen sie dann, als handle es
sich um beglaubigende Notariate, den Tarifpartnern zur Unterschrift
vor. Auch wenn eine der seitens der Gewerkschaften erhobenen Forderungen,
der haustarifvertragliche Gehaltsverzicht müsse bei allen Kultureigenbetrieben
der Stadt Leipzig gleich sein (vergleiche Oper&Tanz,
Ausgabe 5/05, S. 7) wenigstens annähernd erfüllt wurde
– lediglich das Gewandhausorchester kommt ungeschoren davon
–, verstimmen das Nichteinhalten anderer Verabredungen und
das tölpelhafte Vorgehen. Einem Tarifdiktat sich zu beugen,
ist Gewerkschaften nicht zuzumuten.
Neubrandenburg/Neustrelitz
Der leisen Erleichterung ob der um 81.000 Euro angehobenen Landeszuwendungen
für die Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz
folgte der Schock auf dem Fuße: Die Stadt Neubrandenburg strich
den für die Durchführung von Schulkonzerten bisher gewährten
Zuschuss von 100.000 Euro. Das Theater hat den Deutschen Bühnenverein
gebeten, Haustarifverhandlungen aufzunehmen.
Schwerin
Die Landeshauptstadt Schwerin hat angekündigt, angesichts
ihrer kritischen Haushaltslage die Zuwendung für das Staatstheater
ab 2008 um jeweils 1,6 Millionen Euro pro Jahr kürzen zu müssen.
Um auch die ohnehin schon zu erwartenden Finanzierungslücken
zu schließen, hat der Aufsichtsrat der Staatstheater gGmbH
die Theaterleitung aufgefordert, umgehend Verhandlungen über
Haustarifverträge einzuleiten und/oder einen Stellenabbau beziehungsweise
Spar- tenschließungen vorzubereiten.
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