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Die Oper ist uns lieb und teuer
Ein Kongress über die Kosten der Oper · Von Frieder
Reininghaus
Periodisch befasst sich das Forum Alpbach, eine internationale
Akademie mit wirtschafts-, bildungs- und kulturpolitischer Schwerpunktsetzung,
auch mit Fragen der Oper. Zusammen mit der Europäischen Musiktheater-Akademie
veranstaltete sie im Rahmen einer breit gefächerten Veranstaltungs-
und Publikationsreihe zu „Kultur und Wirtschaft“ am
29. und 30. Oktober unter der Fragestellung „Teure Kunstform
Oper“ eine Tagung zu Strategien und Konzepten für das
Opern-Metier im Innsbrucker Congress Center.
Erfolgreiches Modell
Indem die Innsbrucker Opern-Intendantin, die renommierte Mezzosopranistin
Brigitte Fassbaender, am Morgen den Ist-Zustand des von ihr geleiteten
Unternehmens beschrieb und am Abend zu einer von Dietfried Bernet
meisterhaft geleiteten „Meistersinger“-Aufführung
einlud, wurde deutlich, dass auch im Südwesten der Alpenrepublik
die Opern-Hausaufgaben mehr als ordentlich erledigt werden: Das
Tiroler Landestheater wurde in eine GmbH umgewandelt, verfügt
nun dadurch über flexiblere Strukturen und effektivere Arbeitsabläufe.
Das Sängerensemble präsentiert sich auf bemerkenswert
hohem Niveau in einer gediegenen Inszenierung von Andreas Baumann.
In ihr wendet sich Hans Sachs entgeistert von seinen Mitbürgern
ab, als diese nach seiner deutsch-national gefärbten Ansprache
in allzu grobschlächtigen und bedrohlich wirkenden vaterländischen
Brustton verfallen. Selbst die letzte Klippe des kontaminierten
Stücks wurde mithin politisch korrekt umschifft. (Die Bühnenausstattung
und die Kostüme von Bettina Munzer suchten einen klugen Kompromiss
zwischen einem zeitlos-historischen Nürnberg und bürgerlicher
Repräsentation der Gegenwart.)
Oper als Event
Auch wenn Tirol nicht in allem als Insel seliger Musiktheater-Geister
gepriesen werden kann, so wurde doch deutlich, dass in Österreich
bis hinunter nach Klagenfurt und Eisenstadt Oper und Musikperformance
in Staatstheatergestalt wie als sommertouristisches Event erheblichen
Rang und Gewicht haben. Das wird, wie der Burgenländische Landesrat
Helmut Bieler bündig darlegte, „sehr ernst genommen“.
Weit wichtiger jedenfalls als selbst in fremdenverkehrsorientierten
deutschen Landen, in denen sich freilich das Bewusstsein für
die ökonomische Bedeutung dieses Kultursektors notwendigerweise
ebenfalls schärfte. „In den letzten ein oder zwei Jahren
ist das intensiver Gegenstand von Diskussionen, die von der Befürchtung
geprägt sind, dass im Zuge der drohenden Überalterung
des kulturinteressierten Publikums uns die Besucher allmählich
mehr und mehr wegbrechen“, meinte zum Beispiel Michael Mihatsch,
der zuständige Beamte im Bayerischen Staatsministerium für
Wissenschaft, Forschung und Kunst. „Man könnte natürlich
auch den gegenläufigen Schluss ziehen: Je mehr ältere
Menschen anteilig da sind, desto intensiver könnte der Zulauf
gerade aus dieser Altersgruppe zu unseren Kulturinstituten werden.“
Also wurde nicht nur sehr genau über die Funktion des Musiktheaters
in der „Wertschöpfungskette“ und die wachsende
Notwendigkeit ihrer Mitfinanzierung durch die Industrie diskutiert,
sondern auch über die „Wertschätzungskette“
– die repräsentative und imagepflegende Dimension gut
funktionierender und in die überregionale Öffentlichkeit
hinausstrahlender Opernbetriebe. Ohne Geld für Glanz kann Musiktheater
in der Regel nicht „magnificent“ sein. „Wenn der
Tagesbetrieb uns die Zeit ließe, strategisch zu denken, dann
würden wir das gerne noch viel mehr tun“, ergänzt
Michael Mihatsch. „Im Moment schlagen wir nur Abwehrschlachten,
absorbiert von früh bis abends vom Kampf um die Erhaltung des
Status quo der bestehenden Einrichtungen.“
Ästhetischer Wandel
Den teilweise rückläufigen Besucherzahlen bei den traditionellen
innerstädtischen Spielstätten steht wachsendes Interesse
an Musiktheater im Kontext von Urlaubsangeboten, an „alternativen“
Orten und mit jugendfrischem Zuschnitt gegenüber: „Es
wird zusätzlich zu den bestehenden Angeboten in den Zentren,
die möglicherweise nicht mehr in der gleichen Intensität
wahrgenommen werden, eine lebendige Szene an Festivals und kleineren
Einrichtungen in der Peripherie entstehen – das beobachten
wir jetzt mit ,Orff in Andechs’, der Pasinger Fabrik, Richard
Strauss in Garmisch et cetera. Das geht natürlich den etablierten
Institutionen in den Zentren teilweise an die Besucherzahlen, wenn
sie von ihrer Programmatik her nicht stark genug sind, kein individuelles
Profil aufweisen können. Auf lange Sicht wird es erforderlich
sein, dass der Staat beides fördert – sowohl die institutionellen
Angebote im Zentrum der Städte als auch diese lebendige Festivalszene
im Umland.“
Das ist eine Sorge, die zum Beispiel Dominique Meyer, den Leiter
des Théâtre des Champs-Elysées überhaupt
nicht umtreibt. Er bietet an einem Ort im Ballungsraum, der über
eine besondere Ausstrahlung verfügt, konkurrierend zu den beiden
Riesenhäusern der Pariser Nationaloper und zum Städtischen
Théâtre du Châtelet, allerdings auch gestützt
auf einen sehr potenten Sponsor, eine Mischung aus Konzert- und
Opernaufführungen ohne öffentliche Mittel an – sowohl
das Bestgängige als auch Spezialitäten. Der Intendant
verweist auf die Zuwachsraten seit den 80er-Jahren. „Da hatten
wir insgesamt zwischen 90 und 100 Vorstellungen – da gab es
nur die alte Oper, das Palais Garnier; jetzt haben wir die Bastille,
das Châtelet spielt viele Opern, wir spielen von Zeit zu Zeit
Oper und die Opéra-comique auch. Wir haben heute zusammen
420 bis 430 Vorstellungen, fast immer voll besetzt. Das heißt,
wenn die Leute eine gute Zusammenarbeit machen, wenn sie ein bisschen
daran denken, was sie machen und ihre Häuser nicht wie Kinder
ihr Spielzeug behandeln, dann kann man Erfolg haben und Publikum
finden.“
Das in manchen Ländern in den letzten Jahren enorm aufgestockte
Angebot an Oper in den traditionellen Häusern tritt nicht unbedingt
in ruinösen Wettbewerb zu den Opernaufführungen „im
Grünen“. „Wie Sie wissen“, erläuterte
Meyer, „findet im Sommer in Paris selbst keine kulturelle
Aktivität statt – deshalb freue ich mich auf die Festivals.
Man kann manchmal auch junge Künstler entdecken – die
haben Gelegenheit, dort zu arbeiten. Und das halte ich für
sehr positiv.“
Solidargemeinschaften
Die Zeit des Jammerns über die sinkende Zuwendung der öffentlichen
Hände gehört dort der Vergangenheit an, wo sich die Experten
zusammensetzen, mit Wirtschaftsfachleuten beraten und auch geduldig
den Haien der Branche zuhören – zum Beispiel dem Züricher
Operndirektor Alexander Pereira, der unverdrossen eine „Solidargemeinschaft
von Theater, Staat und Wirtschaft“ beschwört, wie sie
vor 70 oder 80 Jahren bestanden habe. Gegenüber solchem Nostalgiegetön,
das bei manchen Sponsoren gewiss gut ankommt, repräsentierte
der jungdynamische Wirtschaftsberater Clemens Hoegl (ebenfalls Zürich)
die Zukunft: Er erläuterte effektive Methoden zur Auswahl und
Evaluierung von Intendanten – von graphologischen Gutachten
und angewandter Astrologie rät er ab.
Obwohl auch der eine oder andere Konzert- oder Festivalveranstalter
Kritik am „monströsen Welt- und Menschenbild der Wirtschaft“
übte und vor dessen Übertragung auf die kulturelle Sphäre
warnten: Die Opern-Manager und die Zirkulationsagentinnen sind fest
gewillt, auf dem Weg von Privatisierung, Deregulierung, Outsourcen,
Lohndumping und „Niveauanpassung“ (nach unten und hinten)
zu funktionieren. Ob diese Spezies sich als Retterin der Gattung
Oper profiliert oder als ruinöse Glücksritterschaft, wird
wohl erst die Geschichte zeigen.
Frieder Reininghaus
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