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Ausflug nach Deutschland
Ein Gespräch mit dem Choreografen Graeme Murphy
Auf vergangenen Tourneen habe er auch ein paar Mal in Deutschland
Station gemacht, sagt Graeme Murphy. Aber sein Name habe hier wohl
noch keine Erinnerungsspuren hinterlassen – was sich bald
ändern könnte. In seiner Heimat Australien gehört
der 54-Jährige schon seit langem zu den maßgeblichen
Choreografen, wurde unter anderem 1999 vom National Trust of Australia
zum „National Living Treasure“ gekürt. Eine Auszeichnung,
die sich Murphy mit einer dichten, die Tänzerlaufbahn mitgerechnet,
rund 37-jährigen Karriere verdiente. 1976 gründete er
seine Sydney Dance Company (SDC), für die er jedes Jahr eine
große Produktion herausbringt. Nach einer vierwöchigen
Saison in der Sydney Opera geht die SDC als „kulturelles Aushängeschild“
auf nationale und internationale Tournee. Außerdem hat Murphy
bisher choreografiert für das renommierte Australian Ballet
– zuletzt 2002 seine hymnisch gefeierte moderne „Schwanensee“-Version
–, für das Nederlands Dans Theater, Den Haag, für
Mikhail Baryshnikov, für die Canadian Opera Company und für
die New Yorker Metropolitan Opera. Und seit 1984 ist er auch regelmäßig
gefragt als Opern-Regisseur. Für die Australian Opera inszenierte
er Brian Howard’s „Metamorphosis“, Puccinis „Turandot“,
Richard Strauss’ „Salome“ und Hector Berlioz’
„Die Trojaner“.
Diese Affinität zur Oper könnte den Australier jetzt
beflügeln: Fürs Bayerische Staatsballett choreografiert
er gerade ein neues Handlungsballett nach dem Libretto von Richard
Strauss’ „Rosenkavalier“, allerdings zur Musik
von Carl Vine. Im Dezember kommt das Ballett unter dem Titel „Die
silberne Rose“ im Nationaltheater zur Uraufführung. Malve
Gradinger sprach für „Oper&Tanz“ mit dem Choreografen.
Malve Gradinger: Herr Murphy, wie übersetzt man in Tanz, ganz
ohne Worte, eine solche Komödie, wie sie Hugo von Hofmannsthal
1909/10 für Richard Strauss geschrieben hat: Graf Octavian,
der ein Verhältnis hat mit seiner verheirateten reifen Cousine,
der Feldmarschallin Werdenberg, sich dann aber verliebt in die junge,
dem Baron Ochs von Lerchenau versprochene Sophie, just in dem Moment,
wo er ihr als Brautgabenüberbringer des Barons die silberne
Rose überreicht? Hinzu kommt, dass Octavian – eine Hosenrolle
für Sopran –, sich zwecks Vertuschung seiner Liaison
mit der Marschallin als deren Kammerzofe Mariandl verkleidet und
den sichtlich erotisch aufgeladenen Ochs schließlich in die
Entlarvungsfalle eines heißen Rendezvous lockt. Dies alles
ergibt doch eine um Liebesabenteuer, Ehe, Identität und Älterwerden
kreisende höchst komplizierte Geschichte...
Graeme Murphy: Eine sehr operettige Geschichte,
ein in der Tat sehr wortreiches Libretto. Manche Geschichten lassen
sich nur schwer in Tanz übersetzen. Aber ich finde, dieses
Werk ist sehr visuell. Baron Ochs in seiner lüsternen Annäherung
an Mariandl lässt sich ja leicht in einer bestimmten Bewegungsart
ausdrücken. Und auch Sophie kann ohne Worte sehr gut als
unschuldiges junges Mädchen geschildert werden. Für
die Marschallin, ihre Angst vorm Älterwerden, habe ich einen
Kunstgriff gefunden. Das Ballett beginnt mit ihrem Alptraum über
Uhren. Die Uhr, der Feind der Jugend, der Spiegel, der Porträtist
des Alterns. Man weiß sofort: Hier ist jemand mit seinem
Alter beschäftigt. Die Geschichte der Marschallin ist ja
auch die Geschichte jeden Tänzers. Jeder Tänzer lebt
mit der Angst vor der tickenden Uhr, weil die Karriere so kurz
ist.
Gradinger: Haben Sie das Libretto geändert,
vielleicht gekürzt?
Murphy: Es ist ganz erstaunlich, aber alle
Hauptfiguren sind vorhanden, auch Faninal, Sophies Vater. Aber
es gibt auch Nebenfiguren, die Handlanger des Ochs und diejenigen,
die ihm mit bösen Tricks mitspielen, ihn damit als Schürzenjäger
entlarven. Ich bin also ganz dicht an der Opernhandlung, einfach
schon dadurch, dass das Libretto eine wirklich gute Struktur hat.
Richard Strauss wollte ganz eindeutig viele verschiedene Stimmen.
Und was mich so fasziniert: Es ist eine „comedy of errors“,
eine Komödie der Missverständnisse. Manche Charaktere
meint man aus der Commedia dell’arte zu kennen. Humor ist
so wichtig in diesem Stück. Damit das Ensemble nicht zu kurz
kommt, habe ich sichergestellt, dass es zumindest in Akt II eine
große Ballszene zu tanzen hat – und schwieriger choreografiert
als normale Corps-de-ballet-Arbeit.
Gradinger: Schwieriger wohl auch, weil Sie zeitgenössisch
arbeiten und Ihren eigenen Stil entwickelt haben...
Murphy: Ich habe ja meine eigene Compagnie
gegründet, damit ich meinen Stil kontinuierlich entwickeln
kann. Deshalb lehne ich Gastaufträge meistens ab, weil ich
in kurzer Zeit fremden Tänzern meinen Stil beibringen muss.
Außerdem macht es mich furchtbar traurig, wenn ich nach
der Premiere ins Flugzeug steige und mein Stück nicht mehr
sehe. Das ist wie ein Kind weggeben und nicht wissen, wie es sich
weiterentwickelt. Aber Ivan Liska hat alle seine Überzeugungskünste
angewandt. Also versuche ich jetzt, die klassische Qualität
seines Ensembles nicht zu vergeuden. Ich komme vom Klassischen.
Ich habe im Australian Ballet und im Londoner Royal Ballet getanzt.
Dann, in der modernen Compagnie von Felix Blaska in Paris, erkannte
ich, dass ich in diese moderne Richtung gehen wollte. Und jetzt
möchte ich hier in München auch einen Touch Abenteuer
hineinmischen. In meiner „Schwanensee“-Inszenierung
zum Beispiel sieht man den See, die Schwäne, auch Schwanenbewegungen.
Aber es gibt keinen einzigen Original-Schritt von Petipa-Iwanow,
und dennoch ist da das Parfum dieser beiden Uraufführungs-Choreografen,
die Lyrik, die Atmosphäre. Die Entwicklung der Handlung ist
jedoch anders, komplizierter.
Gradinger: Sie haben Musik von Carl Vine genommen.
Warum keine aus der Strauss-Oper?
Murphy: Die Strauss-Erben sind äußerst
zurückhaltend, speziell bei dieser Oper. Wir hätten
die Rechte sicher nicht erhalten oder uns mit einem Arrangement
zufrieden geben müssen. Mit Carl habe ich schon sehr oft
zusammengearbeitet, wir kennen uns seit unseren Zwanzigern. Zwischen
uns stimmt die Chemie. Da Ivan Liska mich erst Ende letzten Jahres
mit dieser Kreation beauftragte und keine Zeit mehr für eine
neue Komposition war, haben Carl und ich eine Partitur aus seinem
Oeuvre der letzten 20 Jahre zusammengestellt. Keine kleinen Schnipsel,
manche Stücke sind sogar ziemlich umfangreich. Und das Schöne
daran ist: Carl ist zwar ein zeitgenössischer Komponist,
aber er hat doch einen ausgesprochenen Sinn für das Romantische.
Seine Musik ist sinnlich, hat orchestrale Fülle.
Gradinger: Der „Rosenkavalier“ spielt
in Wien Mitte des 18. Jahrhunderts...
Murphy: Ich habe die Handlung ins frühe
20. Jahrhundert verlegt, eine Zeit, in der Wien künstlerisch
ungeheuer spannend war. Und Roger Kirk, ein berühmter australischer
Bühnendesigner, hat auch ganz im Art-Nouveau-Stil ausgestattet.
Es gibt also keine Rokoko-Krinolinen, die ja keine Körperlinien
zeigen und ohnehin fürs Tanzen ungeeignet sind. Und der Dekor
sieht aus wie aus milchig weißem Glas gebaut, so dass das
Ballett leicht und luftig wirkt.
Gradinger: Sie inszenieren auch Oper...
Murphy: Ja, sehr gerne. Es ist so viel weniger
Stress. Wenn man ins Opernstudio kommt, kennen die Sänger
schon den Text. Die Story und die Musik sind ja schon da. Man
kann direkt ans Inszenieren gehen. Im Tanz beginnt man generell
mit Nichts. Man muss die Partitur in Auftrag geben oder mühsam
Musik suchen. Und dann arbeitet man sich in Schichten vorwärts,
choreografiert eine Figur nach der anderen. Und bei der Erarbeitung
eines Pas de deux geht das so: „Du greifst die Frau da,
sie macht daraufhin das. Du hebst sie so, sie kommt dann so und
so wieder runter.“ Und immer so weiter in ganz kleinen Schritten.
Ein sehr langwieriger Prozess. Deshalb hänge ich auch so
an meinen Arbeiten, weil ich so intensiv daran arbeite, immer
versuche, neue Formen zu finden, dies und das wieder abändere,
im Grunde so richtig wie ein Bildhauer meißelt.
Gradinger: Und dann ein solches Arbeitspensum...
Murphy: Im Moment bin ich wirklich halb tot.
Ich habe gerade ein Stück in meinem „homestate“
Tasmanien gemacht. Außerdem ein abendfüllendes Stück
zu Klavierkompositionen, eine Hommage an meine im letzten Jahr
verstorbene Mutter, die als Pianistin, als Künstlerin mich
überhaupt zu Musik und Tanz hingeführt hat. Im August
war ich in London, weil dort das Australian Ballet mit meinem
„Schwanensee“ gastierte. Anschließend bin ich
nach China, wo ich eine Choreografie mit meiner Compagnie und
chinesischen Tänzern erarbeitet habe. Sehr schwierig wegen
der sprachlichen Hindernisse, aber sehr aufregend. In zwei Tagen
fliege ich direkt von München nach Schanghai zur Premiere.
Und komme dann noch mal zurück zu den Endproben von „Silberne
Rose“.
Malve Gradinger
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