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Kulturpolitik

Was nun, Herr Pierwoß?

Durch die aktuelle Finanzkrise um das Bremer Theater gerät das, worum es eigentlich gehen sollte, die Theaterkunst, leicht in das mediale Abseits. In Ergänzung zum Porträt über das Bremer Theater sprach Christian Tepe für „Oper&Tanz“ mit Generalintendant Klaus Pierwoß sowohl über das Musiktheater an dem Vierspartenhaus als auch über die Kulturpolitik in Bremen.

Christian Tepe: Herr Pierwoß, mit der legendären Reihe von neun Uraufführungen seit 1995 an der Bremer Oper sind Sie dabei, bundesdeutsche Theatergeschichte zu schreiben.

Klaus Pierwoß: Ich habe mich zu dieser Reihe von Auftragswerken relativ früh entschieden, weil ja im Musiktheater fast nur noch auf diese Weise Uraufführungen zustande kommen. Ich habe es für unverzichtbar gehalten, auch im Musiktheater zeitgenössische Werke herauszubringen, obwohl man weiß, dass sie in der Regel keine Kassenknüller sind, dass sie je nach Dramaturgie und musikalischem Material schwer beim Publikum durchzusetzen sind. Aber auf der anderen Seite sind diese neuen Werke der entscheidende Begründungszusammenhang dafür, dass wir für unsere Theaterarbeit öffentliche Gelder bekommen. Ich bin froh darüber, dass wir auch eine gewisse Kontinuität in der Zusammenarbeit mit Komponisten aufzuweisen haben. Je zweimal haben ja Giorgio Battistelli, Detlev Glanert, Johannes Kalitzke und Sidney Corbett für uns gearbeitet. Tadeln muss ich die größeren und auch in den finanziellen Ressourcen reicheren Häuser, dass sie nicht jedes Jahr ebenfalls eine solche Produktion herausbringen.

 
Klaus Pierwoß. Foto: Theater
 

Klaus Pierwoß. Foto: Theater

 

Tepe: Wie gelingt es Ihnen in Bremen, zeitgenössisches Musiktheater aus seiner Nischenexistenz herauszuholen?

Pierwoß: Wir haben ein Stück wie „Inferno“ oder ein Stück wie „Intolleranza“ nicht innerhalb einer kurzen Zeit ein paar Mal hintereinander gespielt und dann abgesetzt, sondern wir haben möglichst immer über ein Dreivierteljahr versucht, es im Spielplan zu halten, um einem Stück, was nicht so vertraut ist für das Publikum, auch die Chance zu geben, dass es sich beim Publikum durchsetzen kann. Wenn ich, wie das in Berlin in der Deutschen Oper gewesen ist, „Intolleranza“ in zwei Wochen fünf Mal spiele, wird das wenig bewirken. Wir haben dieses Stück, über einen längeren Zeitraum verteilt, bei uns 13 Mal gespielt, was natürlich immer wieder eine Probe vor der nächsten Aufführung notwendig machte. Aber ich glaube, diese Anstrengung lohnt sich.

Tepe: Glaubwürdigkeit gewinnt die ästhetische Programmatik erst durch die Sängerdarsteller im Chor und im Ensemble. Warum sind in Bremen ganz unabhängig von einem kulinarischen Starkult so erstrangige Singschauspieler zu sehen und zu hören?

Pierwoß: Die theatralische Dimension, welche die Aufführungen bei uns haben, kommt sicher zum Teil auch daher, dass ich viele Schauspielregisseure zur Oper habe verführen können wie David Mouchtar-Samorai oder Konstanze Lauterbach. Da wir keine hohen Gagen zahlen können, richten wir unser Augenmerk auf junge Sänger, die eine wichtige Entwicklungsetappe ihres Berufes hier in Bremen durchleben können, obwohl natürlich in dem Ensemble so unverwüstliche und auch im reiferen Alter von keinerlei Abnutzungserscheinungen geprägte Instanzen wie Eva Gilhofer, Karsten Küsters und Mihai Zamfir wichtige Faktoren sind.

Tepe: Was kann das Musiktheater dem durch die neuen Medien veränderten Rezeptionsverhalten entgegensetzen, ohne dabei selber in die Freizeitindustriefalle zu tappen?

Pierwoß: Es muss seine Eigenständigkeit als theatralische Kunstform ganz vehement immer wieder zur Ausprägung bringen. Die Oper muss den Mut haben, von allem Eingängigen und schnellfertig Rezipierbaren abzusehen. Ich bin kein Freund von Schocktherapien und ich habe zunehmend eine große Abneigung bekommen gegen modisches Theater, aber Irritationen, Infragestellungen und Verstörungen sind meines Erachtens unverzichtbar.

Tepe: Das Bremer Theater hat in den letzten Wochen mit gravierenden Liquiditätsproblemen zu kämpfen. Wie konnte es so weit kommen?

Pierwoß: Die Realität ist, dass dieses Theater ein unterfinanziertes Theater ist. Als zehntgrößte Stadt in Deutschland steht Bremen auf der Rangliste der Theaterzuweisungen an zweiundzwanzigster Stelle, das macht eine ziemliche Schere deutlich. Es ist seit Jahrzehnten so, dass dieses Theater bei einem Etat von jetzt aktuell knapp 30 Millionen Euro eine Kapitalrücklage hat von nur 184.000 Euro. Jeder Unternehmer lacht sich tot, wenn er diese Zahlenrelation hört. Es gibt im finanziellen Umgang mit diesem Theater große Versäumnisse des Theaterträgers, die nun uns angelastet werden. Das ist ja ein Teil der kulturpolitischen Strategie, dass die Finanzprobleme des Theaterträgers gerne zu Finanzierungsproblemen des Theaters gemacht werden. Man möchte uns kürzungsreif schießen.

Tepe: Gab es in der Vergangenheit keine Kooperation mit dem Kulturressort, um die strukturelle Situation des Bremer Theaters zu verbessern?

Pierwoß: Ich habe jetzt in der zwölften Spielzeit den achten Kultursenator. Das ist ein negativer Rekord. Diese extrem häufigen Ämterrotationen haben natürlich nicht zur finanziellen Konsolidierung des Theaters beigetragen. Aber das sagt vielleicht etwas darüber aus, auf welcher Seite die Instabilität, die Unzuverlässigkeit, die Planungsunsicherheit, das kulturpolitische Hasardeurstum vorzufinden sind.

Tepe: Konnte das Theater auch nicht von der Kulturhauptstadtbewerbung Bremens profitieren?

Pierwoß: Ein halbes Jahr nach meiner letzten Vertragsverlängerung hat man unseren Etat um 1 Prozent gekürzt – wegen mangelnder Kulturhauptstadtrelevanz. Das ist eine Begründung, die insofern in ihrem grotesken Gehalt nicht mehr zu überbieten ist, als wir in Bremen die künstlerische Institution waren, die mit dem Kulturhauptstadtteam die meisten Projekte vereinbart hat. Und diese Kürzung wird auch jetzt aufrechterhalten, obwohl nach der fehlgeschlagenen Bewerbung die Kulturhauptstadt ja gar kein relevanter Faktor mehr ist. Das heißt, diese mühsam ausgehandelten Verträge, die gelten nichts in einer Stadt, die sich oft auf den hanseatischen Kaufmannsgeist beruft.

Tepe: Sind die permanenten finanziellen Repressionen nicht als Votum der Theaterträger gegen das ästhetische Profil des Hauses zu werten, besonders wenn man im Vergleich dazu die finanzielle Freigebigkeit des Senats für die gescheiterten kommerziellen Großprojekte Space Park (200 Millionen Euro) und Musicaltheater berücksichtigt?

Pierwoß: Um gegen eine ästhetische Ausrichtung Politik zu machen, müsste man sie ja wenigstens kennen. Der Kultursenator Perschau hat sich während seiner einjährigen Amtszeit ein Mal im Theater verloren. Der Kultursenator Gloystein ist bis zu seiner Sektdusche für einen Obdachlosen zwei Mal von mir im Theater begrüßt worden. Den Gesellschafter, den Finanzsenator, habe ich hier noch nie gesehen. So makaber das klingt: Die permanente Auseinandersetzung über die Finanzierung des Theaters hat es zu Diskussionen über das Programm nie kommen lassen, was aber diese Finanzkämpfe deswegen nicht angenehmer macht.

Tepe: Sie sind bekannt dafür, dass Sie Ihre Intendanz auch als Mandat für eine kämpferisch eingreifende Kulturpolitik verstehen. Wie kam es dann im März 2005 doch zu Ihrem Entschluss, sich nach Auslaufen Ihres Vertrages im Sommer 2007 aus Bremen zurückzuziehen?

Pierwoß: Bei den vielen Konflikten ist eine der häufigsten Fragen von Journalisten an mich gewesen: ‚Wann treten Sie zurück?’ Ich habe auf diese Fragen immer wieder ausweichend reagiert, weil ich einen Rücktritt in verschiedenen Konfliktsituationen nicht richtig gefunden hätte. Aber jetzt hatte ich das Gefühl, man geht unwürdig mit mir um, man behandelt mich wie einen alten Hund, den man vom Hof treiben möchte, und diese Art von Umgang muss ich mir nicht gefallen lassen. Und ich glaube, man will auch deswegen hier ein Ende haben, weil man die Situation des Intendantenwechsels dazu benutzen wird, die finanzielle Basis dieses Theaters weiterhin abzusenken.

Tepe: Herr Pierwoß, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

 

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